Wohnen wie im Käfig

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  • Veröffentlicht: 27.12.2013
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In Hongkong, einer der reichsten Städte der Welt, leben Hunderttausende Menschen in winzige Wohnungen gepfercht. „Käfigmenschen“ oder auch „menschliche Batteriehühner“ nennt man dort diese Ärmsten der Armen.

Sie leben in „Apartments“, die nicht viel mehr als das Ausmaß von durchschnittlichen westlichen Toiletten haben. Und das meist nicht allein. Ganze Familien pressen ihre gesamte Existenz in wenige Quadratmeter. Oder es sind Wohngemeinschaften von eigentlich Fremden, die die Armut auf engstem Raum zusammengewürfelt hat. Viele dieser Unglücklichen sind ältere Menschen, Arbeitslose oder NeuzuwanderInnen aus China, die oft völlig mittellos Hongkong erreichen. Doch es sind auch mehr und mehr Familien aus den einkommensschwachen Schichten betroffen.

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Ein paar Quadratmeter – mehr haben Hundertausende von Hongkongs BürgerInnen nicht zum Leben. Menschen, eingepfercht wie Batteriehühner, die wenigen Habseligkeiten deckenhoch gestapelt, kaum Bewegungsfreiheit für den Einzelnen, das ist Alltag in Chinas Metropole.

Fotograf Benny Lam hat diese Menschen abgelichtet, im Auftrag der Society for Community Organization (SoCO), die damit auf das Elend der Unterprivilegierten aufmerksam machen will. Entstanden ist ein beklemmendes Sittenbild von der Kluft zwischen Arm und Reich. Es ist ein bedrückender Blick hinter die schillernden Fassaden einer der am meisten prosperierenden Städte der Welt, den Benny Lam mit seinen Fotos ermöglicht. Aufgenommen aus der Vogelperspektive – dem praktisch einzig freien Platz, an dem ein Fotograf in diesen Wohnräumen seine Kamera postieren kann.

Kein duftender Hafen

Mit über sieben Millionen EinwohnerInnen auf 1.100 Quadratkilometern ist Hongkong eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Erde. Die Bevölkerung hat sich in den letzten 60 Jahren etwa vervierfacht. Zurückzuführen ist das vor allem auf die massive Einwanderung aus China. Viele

FestlandchinesInnen erhoffen sich bessere Lebensbedingungen und vor allem eine bessere ärztliche Versorgung in Hongkong und wollen zudem der Einkindpolitik Chinas entkommen. Doch der Traum von Glück und Wohlstand bleibt für die meisten unerfüllt. Hongkong zählt heute zwar zu den reichsten Städten der Welt, doch es teilt seinen Reichtum längst nicht mit allen seinen BürgerInnen. Der Name Hongkong bedeutet übersetzt „duftender Hafen“. Doch das erscheint alles andere als passend, wenn man jene Bilder betrachtet, die Benny Lam gemacht hat. Sie zeigen, wie die Ärmsten der Armen in Hongkong leben, die man unschön, aber treffend „Käfigmenschen“ oder „menschliche Batteriehühner“ nennt.

Wenn man an Slums denkt, hat man Bilder von Wellblechhütten vor Augen. Von lehmigen Straßen und niedrigen Baracken mit Kartonpappe statt Fensterglas. Bis 1980 sahen die Armenviertel auch in Hongkong so aus. Doch heute versteckt sich das menschliche Elend woanders. In Hochhäusern, die dicht an dicht wie dünne Nadeln in den südchinesischen Himmel ragen. Auf sechs Quadratmetern in der 40. Etage, die von einer vierköpfigen Familie bewohnt werden. Ein winziges Zimmer ist Schlafstatt, Küche, Waschraum und Arbeitszimmer gleichzeitig.

Mit viel Improvisationstalent schaffen es die BewohnerInnen, ihre Habseligkeiten auf kleinstem Raum unterzubringen. Noch beengter sind die Wohnverhältnisse in den sogenannten Käfigwohnungen. Das ist die Bezeichnung für jene Apartments, in denen sich mehrere MieterInnen einen Raum teilen müssen. Die Räume sind dabei durch abschließbare Käfige oder Holzboxen, die etwa zwei Kubikmeter groß sind, in einzelne Bereiche geteilt, die meist nur wenig größer als eine Schlafstätte sind. Oft sind diese Käfige auch noch zwei- oder dreistöckig übereinandergestapelt.

100.000 Menschen leben nach offiziellen Angaben in Hongkong in solchen Käfigen. Die KäfigbewohnerInnen einer Wohnung nutzen dabei Küche und sanitäre Anlagen gemeinsam. Eine Toilette muss oftmals für zehn Menschen genügen. Der Mietpreis für einen solchen Käfig beträgt umgerechnet etwa 100 bis 150 Euro. Das ist angesichts der Wohnfläche selbst für Hongkonger Verhältnisse viel. Doch die regulären Mieten für ein eigenes kleines Apartment sind je nach Stadtteil drei- bis zwanzigmal so hoch und damit für immer mehr Menschen unerschwinglich.

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Es ist eine bedrückende Enge, die die Menschen in Hongkongs Slum-Hochhäusern umgibt. Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen haben die wenigsten von ihnen. Es gibt zwar den sozialen Wohnbau in Hongkong, aber die Wartelisten dafür sind viel zu lang und die Mieten trotzdem noch viel zu hoch.

Viel Licht und viel Schatten

Dabei erlebte Hongkong seit den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts einen nahezu vergleichslosen wirtschaftlichen Aufstieg. Gleichzeitig hatte die koloniale Regierung aber immer mit desaströser Korruption zu kämpfen. Die rapiden wirtschaftlichen und politischen Veränderungen in der Geschichte Hongkongs sowie die massive Zuwanderung aus dem Festlandchina trugen zu der immer größer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich bei. Und auf staatliche Unterstützung oder sozialen
Ausgleich konnten die Unterprivilegierten niemals zählen.

So formte sich schon 1971 die SoCO, eine Gruppe von Geistlichen und sozial Engagierten, die der wachsenden sozialen Ungerechtigkeit etwas entgegensetzen wollte. Vor allem mit Aktionen und Öffentlichkeitsarbeit will man gegen ein ungerechtes Gesellschaftssystem und für mehr soziales Bewusstsein kämpfen. Hongkong ist heute eines der wichtigsten Finanzzentren Asiens und gilt als eine der liberalsten Marktwirtschaften der Welt.

Was für Industrie, Tourismus, Handel und Bankwesen positiv ist, hat fatale Folgen für jene, die nicht auf der Sonnenseite dieses Systems stehen. So ist jeder Hongkonger und jede Hongkongerin selbst für seine bzw. ihre Krankheits- und Altersvorsorge zuständig. Eine Umverteilung der Einkommen, wie dies in vielen Wohlfahrtsstaaten praktiziert wird, ist in Hongkong unbekannt. Von menschwürdigen Wohnverhältnissen werden die Käfigmenschen also weiterhin träumen müssen.

Käfigmenschen

Die Society für Community Organization (SoCO) ist eine im Jahr 1971 von Geistlichen und MenschenrechtsaktivistInnen gegründete Organisation, die sich für sozialen Ausgleich und Unterstützung für die Ärmsten in Hongkong engagiert. Mit der Fotoserie von Benny Lam will sie auf die prekären Lebens­bedingungen Hunderttausender BürgerInnen der asiatischen Metropole aufmerksam machen. Hongkong liegt an der Mündung des Perlflusses an der Südküste der Volksrepublik China und blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Hongkong wurde 1841 während des ersten Opiumkrieges von den Engländern besetzt und 1843 zur britischen Kronkolonie. In der Folge wurde die Stadt an der Mündung des Perlflusses zum Zufluchtsort vieler ChinesInnen vor Bürgerkrieg und kommunistischem Regime. So hat sich die Einwohnerzahl Hongkongs in den letzten 160 Jahren vertausendfacht! Heute zählt Hongkong sieben Millionen BürgerInnen und ist seit der Rückgabe der Staatshoheit an die Volksrepublik China im Jahr 1997 eine Sonderverwaltungszone mit freier Marktwirtschaft.

Erschienen in "Welt der Frau" Ausgabe Jänner 2014