In der Kommunalpolitik sind Frauen unterrepräsentiert. Vier Ortschefinnen geben Einblicke in ihren Alltag an der Spitze einer Gemeinde.
Die Zahlen sind fern jeder Gleichstellung: Nur 221 von 2093 Gemeinden in Österreich werden von einer Frau geleitet. Damit hat nur jeder zehnte Ort unseres Landes eine Bürgermeisterin. Zusätzlich dazu engagieren sich rund 500 Vizebürgermeisterinnen und etwa 10.300 Mandatarinnen (von insgesamt 39.300) in den Gemeinden. In Summe erreichen die weiblichen Vertreterinnen in der Kommunalpolitik somit nur einen Anteil von 26 Prozent.
Zwar ist der Wert auf kommunaler Ebene im Vergleich zur Spitzenpolitik in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen, von einer Ausgewogenheit der Geschlechter ist man jedoch weit entfernt.
Studie zeigt Unterschiede auf
Ursache dafür sind jahrzehntelange, einzementierte Unterschiede zwischen Frauen und Männern im Amt. Das offenbarte im Vorjahr eine Studie der Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle (Fachhochschule Kärnten). Im Auftrag des Österreichischen Gemeindebundes befragte sie 318 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zu zentralen Themen rund um ihre Position.
Frauen werden demnach oft dazu überredet, die Funktion der Ortschefin anzunehmen (27 Prozent), erleben während ihrer Amtszeit häufiger Beleidigungen, Bedrohungen oder Übergriffe und sorgen sich mehr als ihre männlichen Kollegen um ihre soziale Absicherung (knapp 55 Prozent). Viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister vertreten außerdem die Ansicht, dass an Frauen höhere Erwartungen gestellt werden und sie sich stärker beweisen müssen. Die Frauenförderung in der Politik sei zwar 70 Prozent der Befragten ein großes Anliegen, das Bewusstsein für entsprechende Fördermaßnahmen fehlt aber vielerorts. Die Studienautorin gibt zu bedenken: „Wenn 83 Prozent der Bürgermeister meinen, an ihre Kolleginnen würden dieselben Anforderungen gestellt, verkennen sie die Lebensrealität von Frauen in der Politik.“
„Und wie macht sie das mit den Kindern?“
Vier Frauen, die sich den Herausforderungen in dieser Männerdomäne jeden Tag stellen, sind Angelika Schwarzmann, Verena Gstaltner, Annemarie Wolfsjäger und Nicole Thaller. Sie stehen einer österreichischen Gemeinde vor und kennen die Schwierigkeiten, die mit dem Amt einhergehen.
Angelika Schwarzmann ist seit 2013 Bürgermeisterin der Vorarlberger Gemeinde Alberschwende. Die 63-Jährige bringt mehr als 30 Jahre kommunalpolitische Erfahrung mit. 1990 zog sie als erste Frau in die Gemeindevertretung ein. An die Reaktionen erinnert sie sich gut: „Kann sie das? Und wie macht sie das mit den Kindern? Das war immer die erste Frage.“ Das Amt der Bürgermeisterin bot ihr 2013 ihr Vorgänger an. Erst nach Rücksprache mit der Familie – Schwarzmann ist Mutter von vier Kindern – willigte sie ein. „Ausschlaggebend war der Gedanke: Wenn man dich schon fragt als Frau, dann musst du Ja sagen.“ Die negativen Reaktionen haben über die Jahre abgenommen, die Ortschefin ist jedoch überzeugt: Politikerinnen müssen mehr leisten als ihre männlichen Kollegen. Obwohl sich Schwarzmann mehr Kolleginnen wünscht, tritt sie ihr Amt demnächst an einen männlichen Nachfolger ab. Sie macht deutlich: „Heutzutage muss man auch froh sein, wenn man überhaupt jemand findet, der das Amt übernehmen möchte.“
„Man soll die Chancen wahrnehmen, die einem das Leben bietet“
Für Verena Gstaltner kam die Position der Bürgermeisterin am Anfang nicht in Frage. Seit 2018 im Gemeinderat von Bad Pirawath, übernahm sie 2019 die Position der geschäftsführenden Gemeinderätin. 2020 gab ihr Vorgänger bekannt, nach drei Amtszeiten nur mehr für eine halbe Periode anzutreten. Für sie stand daraufhin nicht ihre eigene Kandidatur, sondern die Suche nach einer/r NachfolgerIn für die niederösterreichische Gemeinde an der Tagesordnung.
„Es war für mich zuerst ausgeschlossen. Der Grund waren meine Familie und meine Kinder. Ich dachte gar nicht daran.“ Doch als man ihr die Position anbot, nahm sie, in dem Wissen um die große Verantwortung, an. Entscheidender Faktor: dass ihre Kinder ein für sie vertretbares Alter erreicht hatten. „Man soll die Chancen wahrnehmen, die einem das Leben so bietet“, begründet die Ortschefin, die sich besonders für das gemeinschaftliche Leben einsetzt, den Schritt.
Gegen sie gerichtete, negative Reaktionen erlebte sie bisher nicht, veraltete Denkweisen von älteren Bürgern kamen ihr aber sehr wohl zu Ohren: „Es war früher einfach kein Thema, dass eine Frau eine derartige Position innehat oder sich generell engagiert. ‚Sie hat zuhause bei den Kindern zu sein.‘ Das habe ich einmal gehört und dachte ich mir: ‚Mein Gott, wo leben wir?‘“
„Mir wurde der Weg geebnet“
Annemarie Wolfsjäger steht seit 2015 der Gemeinde St. Ulrich bei Steyr, dem diesjährigen Austragungsort des 16. österreichischen Bürgermeisterinnentreffens, vor. Sie ist bereits die zweite Ortschefin in Folge. Eine Tatsache, die ihr vieles erleichterte: „Mir wurde der Weg geebnet. Die Feuerwehr war es schon gewöhnt, wenn bei der Jahreshauptversammlung eine Frau als oberste Befehlshabende auftrat“, schmunzelt sie.
Die Mutter von fünf Söhnen bewarb sich ebenfalls nicht aktiv um eine Kandidatur. Nachdem ihre Kinder ein entsprechendes Alter erreicht hatten, wollte sie an der Fachhochschule Linz studieren. Doch es kam anders, die 54-Jährige wurde gefragt, ob sie die freiwerdende Stelle übernehmen möchte. Wolfsjäger, die aus einem sehr politischen Haushalt stammt, entschied sich dafür, die Herausforderung anzunehmen.
Das Gefühl, in ihrer Position auf ihr Geschlecht reduziert zu werden, kennt sie nicht. Für sie sei es eine Frage des Auftretens und betont: „Es gibt sicher spezielle Situationen, aber ich könnte nicht sagen, dass ich Nachteile erlebe, weil ich eine Frau bin.“
„Ich bin aktiv auf den Bürgermeister zugegangen“
Eine Sonderstellung unter den Bürgermeisterinnen nimmt Nicole Thaller ein. Die jüngste Gemeindevorsteherin Österreichs ist 27 Jahre alt. Anders als zahlreiche Kolleginnen musste sie nicht erst überzeugt werden. „Ich bin aktiv auf den ehemaligen Bürgermeister zugegangen, als ich erfahren habe, dass er nicht mehr antritt.“
Die junge Frau, die sich zwar in Vereinen, aber nicht in der Kommunalpolitik engagierte, fand rasch zahlreiche UnterstützerInnen – nicht nur von ihrem Vorgänger, sondern auch von VertreterInnen der anderen Fraktion und zahlreichen, darunter auch älteren, BürgerInnen.
Einige Reaktionen fielen jedoch hinsichtlich ihres Alters ambivalent aus. „Es hat Personen gegeben, die mir gesagt haben, dass sie es mir nicht zutrauen. Sie wünschten sich jemanden mit mehr Erfahrung.“ Doch die selbstsichere junge Frau bestand die Wahl. Im November 2021 folgte die Angelobung. Heute setzt sie sich besonders dafür ein, jungen Menschen eine Stimme zu geben. Bereits den Kleinsten will sie vermitteln: Dass eine Frau das BürgermeisterInnenamt innehat, ist ganz normal.
Vorbilder machen den Unterschied
Damit dies zur Realität wird und sich mehr junge Frauen für Politik interessieren, ist noch viel Arbeit nötig. Darin sind sich die vier Vertreterinnen einig. Zum einen genießt das Amt, ähnlich wie viele politische Funktionen, in der Öffentlichkeit nicht den besten Ruf. Für eine Veränderung braucht es daher eine Vielzahl an positiven Vorbildern. Ein Projekt, dass es sich zum Ziel gemacht hat, Mädchen diesen Berufsweg näher zu bringen, heißt „Girls in Politics“. Bei der ersten Bundesfachtagung für Bürgermeisterinnen im März 2022 ins Leben gerufen, dürfen Teilnehmerinnen im Zuge dessen einen Tag lang eine Bürgermeisterin begleiten.
Doch all das wird nicht ausreichen, um langfristig und nachhaltig den Frauenanteil anzuheben. Vielmehr ist es dafür nötig und an der Zeit, traditionelle Geschlechterrollen und Strukturen aufzubrechen und die Rahmenbedingungen an die realen Lebensverhältnisse von Frauen anzupassen.