Gärtnern tut Körper, Geist und Seele gut. Die Arbeit mit Pflanzen wird auch immer öfter als Therapie eingesetzt. Ein Gespräch mit der Landschaftsplanerin und Gartentherapeutin Bettina Strutzmann (51)
Frau Strutzmann, in Ihrem Erstberuf sind Sie Landschaftsplanerin. Wie sind Sie von der gestalterischen zur therapeutischen Seite gekommen?
Bettina Strutzmann: Im Kontakt mit Kunden habe ich festgestellt, wie gut Draußensein und Gärtnern nicht nur mir, sondern auch anderen Menschen tun. Über einen Zeitungsartikel stieß ich auf die Ausbildung zur Gartentherapeutin an der Donau-Uni Krems. Da wusste ich sofort: Das ist es!
Worum geht es denn bei der Gartentherapie?
Bei der Gartentherapie wird therapeutisch mit einem definierten Ziel mit Pflanzenmaterial gearbeitet. Es können auch mehrere Ziele sein: Training motorischer Fähigkeiten, Stärkung der Konzentrationsfähigkeit, Förderung von Kommunikation. Es geht darum, Gesundheit zu fördern und zu erhalten – psychisch, physisch und geistig. Wichtig ist auch der soziale Aspekt, man kann über neutrale Sachen wie Pflanzen reden und kommt so ins Gespräch.
Wo wird die Gartentherapie eingesetzt?
Die Gartentherapie kommt aus den USA und Großbritannien. In Österreich kommt sie seit 20 Jahren zum Einsatz – zum Beispiel in Gärten für geriatrische Personen oder zur Integration von geflüchteten Menschen, sie eignet sich aber auch für Suchtkranke sowie Kinder und Jugendliche. Als Gartentherapeutin schaue ich, welche Fähigkeiten die Teilnehmenden mitbringen, und passe die Tätigkeiten an. Wenn jemand kognitiv stark eingeschränkt ist, gebe ich eine Aufgabe, die genau definiert ist, sodass der Teilnehmende sie schaffen kann und ein Erfolgserlebnis hat, zum Beispiel: „Fülle diese Schüssel mit Paradeisern an.“
Sie haben auch auf der Palliativstation im AKH Wien gearbeitet. Inwiefern können Pflanzen für Menschen, die schwer krank sind oder am Lebensende stehen, hilfreich sein?
Die PatientInnen auf der Palliativstation sind nicht in der Lage, aus ihrem Zimmer hinauszugehen, daher nahm ich Materialien mit. Vorher stimmte ich mit der Stationsleitung ab, welche PatientInnen ich besuchen durfte. Schön war es, wenn PatientInnen gemeinsam mit ihrem Besuch etwas gemacht haben. Nicht immer nur die Krankheit zu thematisieren, sondern gemeinsam etwas Kreatives zu tun, war für beide Seiten bereichernd. Manchmal konnten die PatientInnen dabei sogar die Schmerzen kurz vergessen.
Haben Sie ein Beispiel?
Mir fällt eine Dame ein, die zuerst ablehnte, weil sie sich zu schwach fühlte. Dann erzählte sie mir ihre Lebensgeschichte und wir machten viele Blumensträuße, die wir an die anderen PatientInnen verteilten. Dass man anderen eine Freude machen kann, ist ein wichtiger Aspekt der Gartentherapie, und in einer Pflegeeinrichtung gibt es dafür nicht so viele Möglichkeiten.
Die Menschen erleben ein Gefühl von Selbstwirksamkeit.
Ja, genau. Die Person kann selber entscheiden, setze ich das dorthin, oder gibt es einen anderen Platz, der besser passt? Ich kann etwas ernten und kümmere mich um andere Lebewesen. Die Fürsorge für ein anderes Lebewesen ist etwas sehr Wichtiges, das einen antreibt – auch für die Zukunft. Ich will sehen, wie sich etwas entwickelt, und es gibt einen Grund, in der Früh aufzustehen.
Inwiefern profitieren Menschen mit Fluchthintergrund von der Gartentherapie?
Bei dem Integrationsprojekt für Asylwerber an der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik, an dem ich beteiligt war, ging es darum, die Geflüchteten aus dem Iran, Afghanistan und dem Irak aus der Rolle der passiv Abwartenden herauszuholen und ihnen zu ermöglichen, aktiv zu sein, soziale Kontakte mit anderen zu knüpfen, Selbstwirksamkeit zu erfahren und Deutschkenntnisse zu erwerben.
Wie sah die Arbeit konkret aus?
Wir pflegten den Gemüsegarten auf dem Areal der Hochschule, richteten Wege her, legten Beete an, schnitten Sträucher und kochten gemeinsam. Der kulinarische Austausch war sehr spannend. Die üppige Verwendung von Petersilie, Dille und Koriander der Asylwerber hat mich überrascht. Wir haben Kirschenmarmelade eingekocht, die kannten sie gar nicht.
Die Gartenarbeit hilft dabei, wieder Boden unter den Füßen zu bekommen?
Ja, man hat eine Aufgabe und etwas, wo man wieder ein bisschen Heimat finden kann. Es ist auch eine Strukturierung der Woche. Das Projekt lief 2019 aus. (Das Echo war sehr gut. Leider ist es oft schwierig, Geldgeber für Projekte zu finden, weil Gartentherapie noch nicht so bekannt ist.)
Gärtnern liegt im Trend. Auch ohne speziellen therapeutischen Zweck wirkt sich die Gartenarbeit positiv auf die Gesundheit aus. Warum tut das Herumwerken im Freien so gut?
Die Betätigung im Freien liegt in der Natur des Menschen. Studien haben nachgewiesen: Wenn man draußen ist, wirkt sich das positiv auf das Herz und den Blutdruck aus, die Atmung verbessert sich, das Stresshormon Cortisol geht zurück. Das Sonnenlicht hebt die Stimmung und die Betätigung wirkt sich positiv auf den Körper aus, man schläft auch besser. Dazu kommt das sinnliche Wahrnehmen: bewusst etwas zu hören, zu riechen oder anzugreifen. Im Garten erleben wir ein Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmung. Gerade in der jetzigen Zeit mit den vielen negativen Schlagzeilen ist das Bedürfnis nach etwas Positivem groß.
Sie sind auch Stress- und Burn-out-Präventions-Trainerin. Inwiefern hilft die Arbeit im Grünen, Stress zu reduzieren und zu entschleunigen?
Die ungerichtete Aufmerksamkeit bei der Gartenarbeit wirkt entschleunigend, man muss sich nicht auf eine Sache konzentrieren. Wenn man sehr im Stress ist, hat man oft dieses Gedankenkreisen. Wenn ich Unkraut jäte, bin ich ganz bei der Sache, es geschieht fast automatisch. Auf einmal wird der Kopf frei. Man kann überlegen: Was stresst mich eigentlich? Was muss ich selber machen, was kann ich delegieren, wo kann ich mir Hilfe holen? Man kann auch hinterfragen: Was brauchen Paradeiser, damit sie gut wachsen, und was brauche ich, damit es mir gut geht?
Was brauchen Sie für Ihr Wohlbefinden, wo tanken Sie auf?
Ich bin sehr gerne auf meiner Terrasse. Dort wuchert viel: ein Nektarinen- und ein Apfelbaum, Sommerblumen, Rosen, Kräuter – es ist eine bunte Mischung. Gerne werke ich auch in meinem Selbsterntegarten. Dort baue ich Gemüse und Blumen an. Wenn ich im Garten aktiv bin oder eine Runde gehe, relativiert sich vieles.
Was raten Sie hinsichtlich Gartengestaltung: Wie kann der Garten zum Wohlfühlort werden?
Wohlfühlen ist für jeden etwas anderes. Der eine will aktiv sein, der andere will in der Hängematte entspannen. Die Kunden sollten sich vor einer Planung überlegen, was sie gerne im Garten machen wollen und wie zeitintensiv die Pflege sein soll.
Wie gehen Sie die Gartenplanung an?
Am Anfang bespreche ich mit dem Kunden, welche Nutzung er für den Garten vorsieht. Ob er den Garten nur zur Erholung nutzen will, ob er einen Gemüsegarten möchte, Obstbäume oder ein Kräuterbeet. Ich schaue, wo Schatten und wo Sonne ist, und schlage in der Planung vor, welche Pflanzen sich wo eignen würden und welche Farben harmonieren. Schön ist, wenn man nur zwei oder drei Farben hat, sonst wird es schnell zu viel. Gelb mit Blau und Violett ist schön, weil das Kontrastfarben sind. Rot kommt stark in den Vordergrund, es lässt sich gut mit Weiß kombinieren. Man kann auch mit Blattgrün arbeiten. Es gibt Pflanzen mit sehr dunklen Blättern, andere sind grün-weiß gemustert, man kann Gräser kombinieren, sodass man interessante Bereiche schafft.
Was sollte in keinem Garten fehlen?
Schattige Sitzplätze im Sommer. Im Frühling und Herbst sind natürlich Sonnenplätze schön.
Inwiefern sollte bei der Gartenplanung der Klimawandel berücksichtigt werden?
Man sollte Pflanzen setzen, die an den Standort angepasst sind. Ich habe nichts davon, wenn ich Pflanzen setze, die man jeden Tag gießen muss. Es gibt Pflanzen, die auch gut Trockenheit vertragen. Beim Gießen sollte man die Tageszeit beachten. In der Mittagshitze verdunstet das Wasser schnell. Wenn man in der Früh gießt, geht das Wasser in die Erde und die Pflanzen haben es den ganzen Tag zur Verfügung. Man kann die offenen Flächen mulchen und so den Wasserbedarf noch einmal reduzieren.
Glauben Sie, dass der Hype um den Garten anhalten wird?
Ich glaube schon, dass das bleibt, weil die Menschen merken, dass es einfach guttut, wenn man draußen ist. Über die Jahre ist das ein bisschen verloren gegangen, jetzt kommt das Bewusstsein dafür wieder.
Bettina Strutzmann (51) ist Gartentherapeutin und Landschaftsplanerin sowie Vorstandsmitglied beim Österreichischen Verein akademischer Gesundheitstherapien.
Mehr zu unserer Coverstory „Liebe geht durch den Garten“ lesen Sie in unserer aktuellen Juni-Ausgabe, erhältlich auch als Einzelausgabe.