Kinderlosigkeit: Wenn sich der Kinderwunsch nicht erfüllt

Kinderlosigkeit: Wenn sich der Kinderwunsch nicht erfüllt
  • Teile mit:
  • Veröffentlicht: 02.05.2022
  • Drucken

Wie man sich vor übergriffigen Fragen schützt und wie es gelingen kann, die Kinderlosigkeit zu akzeptieren.

Frau Schatz, Sie haben ein Buch darüber geschrieben, wie schwierig es in unserer Gesellschaft ist, ungewollt kinderlos zu sein. Wie äußert sich das?

Anna Schatz: Mich ärgert, dass es so viele Fragen gibt: „Warum hast du keine Kinder?“ – das ist fast schon übergriffig. Ständig müssen sich kinderlose Frauen im gebärfähigen Alter rechtfertigen. Männer werden nicht gefragt. Mit meinem Buch wollte ich Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch eine Stimme geben.

Nadja Fritzer: Solche Fragen sind übergriffig! Auch in meiner Praxis ist dieser ständige Rechtfertigungsdruck, den die Frauen erleben, Thema. Unsere Gesellschaft setzt Frausein mit Muttersein gleich und es wird oft nicht verstanden, wenn Frauen nicht Mutter sein wollen oder können. Dieser Druck, Frau und Mutter sein zu müssen, führt dazu, dass Frauen Selbstzweifel haben, sich als insuffizient sehen, dass mit ihrem Körper etwas nicht stimmt, sie keine richtige Frau, keine richtige Partnerin sind. Ich plädiere immer dafür, dass die Leute offen damit umgehen, weil es langfristig entlastend ist mit Außenstehenden darüber zu sprechen, aber auch mit Professionisten.

Wie sollten Angehörige und „Eingeweihte“ mit diesem intimen Thema umgehen?

Fritzer: Wichtig ist, dass man Betroffenen signalisiert: Man ist für einander da, hat ein offenes Ohr, aber man drängt nicht. Wichtig ist, dass das Gespräch wertfrei abläuft und dass man nicht gleich mit tollen Ratschlägen kommt. Gerade bei einem Früh-Abort wird es oft nicht verstanden, wenn Frauen sehr trauern: „Du steigerst dich da rein.“ Man muss das als realen Verlust verstehen mit all der Trauer und Verzweiflung.

Schatz: Genau! Man braucht keine Ratschläge, sondern das Gefühl, der andere ist da, hört mir zu. Empathie ist das Wichtigste. Mein Partner war am Anfang so hilflos, er hat gesehen, wie traurig ich bin. Ich habe den Eindruck, Männer möchten immer was tun. Wenn es ein Problem gibt, möchten sie es lösen. Wir mussten lernen, dass wir uns gegenseitig traurig sein lassen dürfen und mein Partner musste lernen das auszuhalten.

Fritzer: Paare sollten wissen: Kinderlosigkeit ist keine Schwäche und es soll kein Tabu sein, aber es ist ein sehr persönliches Thema und sie ziehen die Grenzen. Man kann sich zum Beispiel einen Satz zurechtlegen, mit dem man die Kinder-Frage beantwortet. Mit einer meiner Patientinnen, die eher lustig ist, habe ich den Satz erarbeitet: „Nein, im Moment gibt es keine Kinder und wenn es so weit ist, bist du die erste, die es erfährt.“ Man braucht sich nicht verpflichtet fühlen, sich zu erklären und zu rechtfertigen.

Schatz: Ich gehe inzwischen sehr offensiv damit um, wenn übergriffige Fragen kommen: „Das ist eine sehr persönliche Frage. Warum stellst du mir die?“

Julia Langeneder

Julia Langeneder, ­
Familienredakteurin und Mutter von zwei Kindern, lädt jeden Monat zum Familienrat ein.

Frau Schatz, wie ist es Ihnen gelungen, die eigene Kinderlosigkeit zu akzeptieren?

Schatz: Ich habe über Jahre versucht, ein Kind zu bekommen und hatte drei Fehlgeburten.  Ich habe Verschiedenes abklären lassen und die Ursache ist nicht bekannt. Ich habe mich ganz bewusst gegen künstliche Befruchtung entschieden, unter anderem weil ich bei anderen erlebt habe, welcher Druck dahinter steckt. Auch aus Glaubensgründen wollte ich diesen Weg nicht gehen: Entweder es funktioniert natürlich oder eben nicht.

Fritzer: Es ist nicht selten, dass Frauen alles ausprobieren von Fruchtbarkeitstees bis zur Reproduktionsmedizin – das ist kosten-, zeit- und energieintensiv und es ist dann umso frustrierender, wenn es nicht klappt. Druck ist auch in der Partnerschaft ein Thema, wenn einer früher den Endpunkt sieht als der andere. Dann wäre es wichtig, dass man sich gemeinsam den Endpunkt überlegt und sich auch daran hält. In der Krise ist es umso wichtiger, dass man sich nicht verliert. Und dann ist es wichtig, die eigene Kinderlosigkeit ins Leben zu integrieren und sich neu zu orientieren: mit einem Hobby, einem Haustier, einer Weiterbildung oder einer Reise. Es muss auch nicht zwangsläufig etwas Neues sein. Es heißt ja nicht, dass das Leben keinen Sinn hat, weil man kein Kind hat. Man kann sich auch darauf besinnen, was man hat, was gut läuft und den Fokus mehr darauf lenken, um mehr Lebensqualität und Lebensfreude zu haben. Es muss nicht immer die Weltreise sein oder der Hund.

Schatz: Ich habe einen Hund. (lacht) Mir hat es sehr geholfen, mich zu entscheiden. Nicht mehr das Internet zu befragen. Ich habe mich um meinen Beruf gekümmert und viel Engagement in mein Buch gesteckt.

Julias Gäste

Anna Schatz

Anna Schatz, Autorin („Wenn ich noch eine glückliche Mami sehe, muss ich kotzen“, Rowohlt Verlag, 15,50 Euro)

Nadja Fritzer

Nadja Fritzer, Klinische und Gesundheitspsychologin, Rechtspsychologin, Notfallpsychologin (www.psychologin-fritzer.at)

Frau Fritzer, gerade Frauen, die keine Kinder bekommen können, plagen manchmal Schuldgefühle. Was sagen Sie Ihnen?

Fritzer: Ich gehe es gerne pragmatisch an: Wenn jemand Endometriose hat, ist das einfach so. Dagegen anzukämpfen führt ins Nichts. Man sollte schauen, welche Möglichkeiten es sonst noch gibt. Frauen geben manchmal den Partner frei, der sich ein Kind wünscht. Männer sagen dann meistens ganz klar: „Ich will dich! Ich sehe dich als Partnerin und nicht als Mutter meiner Kinder.“ Krisen führen oft auch dazu, dass Partner näher aneinander rücken.

Mütter und kinderlose Frauen tun sich manchmal schwer – wie sollten sie miteinander umgehen?

Schatz: Ladet euch gegenseitig ein und seid nicht beleidigt, wenn Frauen sagen: Nein, an dem Tag schaff ich es nicht. Da bin ich mit meiner Selbstfürsorge gefragt. Wichtig ist, dass man in Kontakt bleibt und keiner sollte beleidigt sein, wenn es die andere gerade nicht möchte.

Fritzer: Das würde ich unterstreichen und ich ermutige auch, das so zu kommunizieren. Es gibt gute und schlechte Tage: Da muss man einfach Verständnis füreinander aufbringen.

Schatz: Ich möchte noch ergänzen, dass Männer auch traurig sein dürfen und die haben es ganz schön schwer. Es kann auch sein, dass der Mann sehr unglücklich darüber ist, dass es kein Kind gibt.

Fällt es Männern schwerer, darüber zu sprechen?

Fritzer: Zu mir in die Praxis kommen hauptsächlich Frauen. Wenn die Partner mitkommen, erlebe ich in den meisten Fällen, dass sie sich sehr um die Frauen sorgen.

Was sagen Sie den Männern dann?

Fritzer: Man kann durchbesprechen, was beiden guttun würde. Vielleicht würden dem Partner mehr soziale Kontakte guttun, ein bisschen mehr Freiraum, wo der Kinderwunsch kein Thema ist. Oft ist das ja von morgens bis abends in der Partnerschaft Thema.

Schatz: Als kinderloses Paar würde ich auch schauen: Was mache ich in meiner Freizeit? Am Samstagnachmittag in den Zoo zu gehen ist keine gute Idee. Man sollte sich ein paar Sachen überlegen, wo das Thema Kinder keine Rolle spielt.

Sie haben eine Frage rund um Familie, Partnerschaft, Kinder­erziehung?

Dann schreiben Sie an

julia.langeneder@welt-der-frauen.at

Welt der Frauen - Mai 2022Möchten Sie gerne mehr zum Thema Mutterbilder lesen? Dann bestellen Sie hier die Ausgabe Mai 2022, in der auch dieser Artikel erschienen ist.