Wenn Hormone Stimmung machen

Wenn Hormone Stimmung machen
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  • Veröffentlicht: 08.11.2022
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Östrogen, Progesteron und Co. dirigieren nicht nur unseren Körper, sondern auch den Geist. Die klinische Psychologin Ulrike Ehlert erklärt, wie weibliche Sexualhormone unser Leben beeinflussen.

Viele Frauen erleben während ihres Zyklus extreme Stimmungsschwankungen. Mal sind sie ängstlich, gereizt, wütend, mal glücklich, energiegeladen, dann wieder lustlos und traurig. Sind die Hormone an all dem schuld?

Hormone beeinflussen die Psyche ständig. Frauen sind nicht nur innerhalb ihres Zyklus hormonellen Schwankungen ausgesetzt, sondern auch in ver­schiedenen Lebensphasen. So erleben sie während der Schwangerschaft, nach der Geburt und vor der Menopause eine massive Umstellung der weiblichen Sexualhormone. Das wirkt sich auch auf die mentale Gesundheit aus. Männer haben normalerweise keine extremen Schwankungen, ihr Hormonstatus bleibt relativ stabil.

Welche Hormonschwankungen erleben Frauen während ihres Zyklus?
Wenn bei Frauen die Regelblutung einsetzt, sind die Sexualhormonwerte vergleichsweise niedrig, das erklärt auch, warum Frauen während dieser Zeit mehr Ruhe brauchen. Bis zur Zyklusmitte steigt das Hormon Östrogen, das die Stimmung nicht nur positiv beeinflusst, sondern auch den Appetit zügelt. Denn das Östrogen bremst das hungerför­dernde Stoffwechselhormon Ghrelin. Frauen haben daher zur Zyklusmitte hin oft weniger Hunger. Das Östrogenhoch kann auch zu einer vermehrten intrasexuellen Konkurrenz bei Frauen führen, das heißt, sie können eifersüchtig und „zickig“ werden. Biolo­gisch hat das den Sinn, dass eine Frau im Wettstreit den besten Mann abbekommt. Nach dem Eisprung sinkt der Östrogenwert wieder, dafür steigt der des Gelbkörperhormons Progesteron bis zum Zyklus­ ende. Ein Stoffwechselprodukt von Progesteron, das Allopregnanolon, wirkt angstlösend und ent­spannend, kann aber auch aggressiv machen, ähn­lich wie bei Menschen, die zu viel Alkohol getrunken haben, denn es bindet sich an dieselben Rezeptoren im Gehirn. In der zweiten Zyklushälfte sind Frauen deshalb oft schlecht gelaunt und gereizt. Ist eine Frau schwanger, steigt unter anderem der Progesteron­spiegel sehr stark, nach der Geburt fällt er extrem ab. Das erklärt, warum manche Frauen nach der Geburt eine Depression bekommen. Um dies zu verhindern, wird Frauen etwa in den USA nach der Geburt phar­makologisches Progesteron verabreicht.

Hormone können also auch für psychische Krankheiten wie etwa eine Depression verantwortlich sein, und auch Sexualhormone spielen dabei eine Rolle?

Wir haben in unserem Forschungsteam beobachtet, wie Frauen auf die hormonellen Veränderungen vor der Menopause reagieren, also ob sie psychisch wider­ standsfähig bleiben oder depressiv werden. Wenn der Östrogenspiegel vor der Menopause rasant abfällt, kommt es zu einem instabilen Zyklus, das Wohlbe­finden der Frauen wird beeinträchtigt. Wir haben festgestellt, dass das nicht per se am Hormonspiegel liegt, also daran, ob das Östrogen hoch oder niedrig ist, sondern vielmehr an der Fluktuation während des Absinkens. Je stärker die Hormonschwankungen sind, umso schwieriger ist es, die Stimmung stabil zu halten. Aber es ist nicht nur ein einzelnes Hormon aus­ schlaggebend. Wir haben auch gesehen, dass Pro­gesteron eine wichtige Rolle spielt. Frauen zeigten eine höhere Resilienz, wenn ihr Progesteronspiegel nicht zu stark abfiel.

Erleben Frauen, die mittels Hormonen verhüten, ebenfalls Stimmungsschwankungen?
Bei Frauen, die mit der Anti­Baby­Pille verhüten, sind die natürlichen Prozesse eines Zyklus unter­ drückt, das heißt, ihr Hormonlevel schwankt auch nicht stark, deshalb kann es sein, dass es ihnen tatsächlich besser geht. Allerdings haben diese Frauen auch keinen Eisprung und erleben den damit ver­bundenen Östrogenhöhepunkt nicht. Die Stimmung der Frauen, die die Anti­Baby­Pille einnehmen, kann eher dauerhaft gedämpft sein, wofür das darin ent­haltene Progesteron verantwortlich ist.

Wie erkennt man, dass ein Zusammenhang zwischen psychischen Beschwerden und Hormonen besteht?
Wenn Frauen angeben, dass sie regelmäßig unter Verstimmung leiden, und feststellen, dass diese Probleme sich im Laufe eines Monats jeweils verän­dern, dann sollten sie, bevor die Hormone gemessen werden, die Symptome während eines Zyklus doku­mentieren. Oft zeigt sich dabei ein Muster.

Können die Symptome behandelt werden, etwa durch eine Hormontherapie?

Hormonstörungen können mit einer hormonellen Substitution in den Griff bekommen werden, es ist jedoch schwierig, diese Behandlung richtig zu dosie­ren. Es bräuchte hier GynäkologInnen, die auf dem Gebiet der Endokrinologie etabliert sind und sich mit der Wirkungsweise pharmakologischer Hormone gut auskennen.

Wirkt sich unser Lebensstil auf den Hormonhaushalt aus, und wie kann dieser in Balance gehalten werden?
Frauen sollten sich ausgewogen und ausreichend ernähren. Gerade Frauen, die häufig hungern, um schlank zu bleiben, kämpfen mit Hormonstörungen. Bei Magersucht stellt sich der Zyklus sogar ganz ein. Weil manche Hormone tagsüber schwanken, ist auch ein Schlafrhythmus wichtig. Starker Stress verur­sacht ebenfalls Zyklusstörungen, denn das Kortisol, das bei Stress ausgeschüttet wird, hemmt die Östro­genproduktion, was sich wiederum auf den Schlaf auswirken kann, und zu wenig Schlaf erzeugt erneut Stress. Das kann zu einem Teufelskreis werden.

Kann sich eine Psychotherapie positiv auf die Hormonproduktion auswirken?
Es bräuchte viel mehr Studien, die zeigen, ob und wie sich eine Psychotherapie auf Sexualhormone auswirken kann. Es gibt aber Hinweise darauf, dass bei Frauen, die sich psychisch stabilisieren, auch die Hormonschwankungen geringer werden.

 

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So steuern Hormone den Zyklus

> Der Zyklus beginnt mit der Regelblutung, das follikelstimulierende Hormon (FSH) steigt an, Follikel werden in den Eierstöcken produziert, jeder Follikel enthält eine Eizelle.

  • >  Die Eibläschen erzeugen die Östrogene.
    Nach 13 bis 14 Tagen steigt das luteinisierende Hormon (LH), es kommt zum Eisprung.
  • >  Der Follikel entwickelt sich zum Gelbkörper, der Progesteron ausscheidet. Das Östrogen sinkt wieder. Angeregt durch Progesteron und Östrogen verdickt sich die Gebärmutterschleimhaut und bereitet sich auf die Befruchtung vor.

> Bleibt die Eizelle unbefruchtet, bildet sich der Gelbkörper zurück und produziert kein Progesteron mehr, die oberen Schichten der Schleimhaut werden abgebaut und mit der Menstruationsblutung abgestoßen.

> Kommt es zu einer Befruchtung, arbeitet der Gelbkörper weiter, damit sich die Eizelle in der Gebärmutter einnisten kann.

 

Der Hormoncocktail im Körper

Das Stresshormon: Kortisol bereitet den Körper auf eine Flucht- oder Kampfsituation vor. Das kann sich in Nervosität und Schlafproblemen äußern. Der Körper setzt durch das Hormon Energiereserven frei und fährt dafür andere Prozesse im Körper zurück, etwa das Bedürfnis nach Sexualität und die Östrogenproduktion.

Das Bindungshormon: Das oft als „Kuschelhormon“ bezeichnete Oxytocin wird bei Berührung und beim Sex ausgeschüttet und fördert das Gefühl von Verbundenheit zwischen PartnerInnen. Es stärkt aber auch die Bindung zwischen Mutter und Kind. Das Hormon fördert empathische Reaktionen, mindert Stress, Ängste und Aggressionen.

Das Glückshormon: Östrogen. Das weibliche Geschlechtshormon steuert den Menstruationszyklus, zur Mitte des Zyklus ist der Östrogenspiegel am höchsten. Viele Frauen sind um diese Zeit glücklicher, kreativer, konzentrierter und fühlen sich attraktiver.

Das Beruhigungshormon: Progesteron. Das Geschlechtshormon bereitet die Gebärmutter auf eine Schwangerschaft vor und erhält sie aufrecht.

Das Schilddrüsenhormon: TSH. Das Thyreoidea-stimulierende Hormon, kurz TSH, reguliert die Bildung der Schilddrüsenhormone. Bei einer Schilddrüsenüberfunktion ist der TSH-Spiegel zu niedrig, bei einer Unterfunktion ist er erhöht. Ersteres geht oft mit Ängstlichkeit und Gewichtsverlust einher, Letzteres eher mit Depressivität und einem verlangsamten Stoffwechsel. Patientinnen nehmen dann zu, obwohl sie wenig essen.

Wann spielen die Hormone besonders verrückt?

In der Schwangerschaft: Der Körper verändert sich stark. Pro­gesteron und Östrogen steigen massiv an, was laut MedizinerInnen und WissenschaftlerInnen Auswirkungen auf die Herzleistung, Resorption von Nährstoffen im Darm, den Stoffwechsel, aber vor allem auf die Psyche der Frau hat. Denn Sexualhormone können in abgewandelter Form auch als Neurotransmitter fungieren. Progesteron in Form von Allopregnanolon gilt etwa als körpereigenes Antidepressivum. Haben wir jedoch zu viele dieser Hormone im Körper, führt dies nicht zu einer Verbesserung der Stimmung, sondern zu Konzentrations­- und Schlafstörungen, Bedrückung, Interessen­ und Freudlosigkeit, Antriebshemmung, Schuldgefüh­len oder einem verminderten Selbstwertgefühl.

Nach der Geburt eines Kindes: Die Plazenta, die während der Schwangerschaft sehr viele Hormone produziert hat, ist plötzlich nicht mehr da. Das Östrogen sinkt stark ab, das Hormon Progeste­ron reguliert sich auch wieder auf „normal“. Frauen reagieren hier­ auf oft mit Stimmungsschwankungen. Depressive Verstimmungen im Wochenbett können aber auch andere Ursachen haben, wie etwa die plötzliche Lebensumstellung und Verantwortung.

In der Menopause: Viele Frauen leiden in der Zeit um die Meno­pause an Stimmungslabilität, Reizbarkeit, Nervosität, Schlafstö­rungen und depressiven Verstimmungen. Auch schwere Depressionen und sogar Psychosen treten in dieser Zeit vermehrt auf. Häufig spielt der Verlust von Östrogen eine Rolle, aber auch die vielfältigen psychosozialen und körperlichen Veränderungen, die Frauen in dieser Zeit erleben, können Ursache für die Verstim­mungen sein. //

Ulrike Ehlert ist Professorin für klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Zürich und leitet die Forschungsgruppe „Verhaltensneurobiologie für Neurowissenschaften“ an der ETH und der Universität Zürich. Sie erforscht das Zusammenspiel von Hormonen, Verhalten und psychischer Gesundheit.

Dieser Artikel ist in der „Welt der Frauen“ Mai 2022-Ausgabe erschienen. Erhältlich als Einzelheft in unserem Shop, zum Testabo geht es hier.