Wenn die Erde bebt

Wenn die Erde bebt
Foto: ADEM ALTAN / AFP / picturedesk.com
Dieses Foto geht um die Welt: Mesut Hancer lässt die Hand seiner toten 15-jährigen Tochter nicht los. Das Bild wurde zum Sinnbild der Tragödie in der Türkei und in Syrien.
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  • Veröffentlicht: 08.02.2023
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In der Nacht auf Montag gab es in der türkisch-syrischen Grenzregion das stärkste Erdbeben seit Jahrzehnten. Zehntausende Menschen warten auf Hilfe. Warum bebt die Erde in der Türkei so oft und was bringen Frühwarnsysteme?

Eisige zwei Grad Celsius hatte es am Mittwochvormittag in der türkischen Region Gaziantep. In der Nacht wird die Temperatur auf minus sechs Grad Celsius fallen. Für viele Menschen bedeutet das den Tod. Zwei Tage sind seit dem Erdbeben nordwestlich der Stadt Gaziantep in Südostanatolien in der Türkei, etwa 45 Kilometer von der syrischen Grenze, vergangen. Die Überlebenschance der verschütteten Menschen unter den Trümmern sinkt stark. Mehr als 9.400 Tote und rund 40.000 Verletzte: die traurige, derzeitige Bilanz des Bebens, die Zahlen steigen stetig an. Das Erdbeben hatte im Epizentrum eine Stärke von 7,7 (andere Messungen ergaben 7,8). Nur ein paar Stunden danach kam es zu einem schweren Nachbeben 100 Kilometer nordöstlich des Hauptbebens. Insgesamt gab es laut ExpertInnen 22 zum Teil starke Nachbeben.

Schlimmstes Erdbeben seit Jahrzehnten

Grafik: APA-Grafik / picturedesk.com

Das Erdbeben hinterlässt Verwüstung, Schock und Leid. Es sind Szenen wie aus einem Kriegsgebiet: eingestürzte Wohnhäuser, zerstörte Flughäfen und Straßen, Menschen, die in der Eiseskälte nach ihren Liebsten suchen, Personen, die unter den Trümmern nach Hilfe schreien, Obdachlose, die im Schnee ausharren. Die Bergungsarbeiten gehen aber nur schleppend voran, dabei zählt jede Minute. Alleine in der Türkei sind zehn Provinzen mit 13,5 Millionen Menschen von dem Beben betroffen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan rief einen dreimonatigen Notstand in den betroffenen Gebieten aus. Die Regierung bezeichnete die Beben als eine der schlimmsten Katastrophen der vergangenen Jahrzehnte. Seit 1.000 Jahren habe die Erde in dieser Region nicht so stark gebebt wie am Montag, hieß es von ForscherInnen.

Während in der Türkei die Hilfe in vielen Gegenden angelaufen ist, warten im kriegszerstörten Syrien Tausende Menschen auf Rettung. Unter den Trümmern werden noch immer über Hundert Familien vermutet. Das Beben trifft dort vor allem Menschen, die bereits in großer Not leben und auch vor der Katastrophe in baufälligen Unterkünften wohnten.

Neugeborenes Baby lebend gerettet

Foto: RAMI AL SAYED / AFP / picturedesk.com
Es ist ein Wunder: Inmitten der Trümmer kam dieses kleine Mädchen zur Welt. Über die Nabelschnur war sie noch mit ihrer toten Mutter verbunden.

Inmitten der Tragödie gibt es aber auch Wunder und Momente des Glücks: Noch können Menschen gerettet werden. So wurden etwa eine 58-jährige Frau nach 52 Stunden und ein vierjähriges Mädchen nach 42 Stunden lebend aus den Trümmern geborgen.
Freude und Trauer zugleich: Im Erdbebengebiet im Nordwesten Syriens ist aus den Trümmern eines Hauses ein Baby gerettet worden, das noch durch die Nabelschnur mit seiner toten Mutter verbunden war. Die Mutter dürfte unter den Ruinen Wehen bekommen haben. Das neugeborene Mädchen ist die einzige Überlebende ihrer Familie.
Die Überlebenden brauchen nun dringend humanitäre Hilfe. Unterstützung gibt es aus dem In- und Ausland.

Wie entsteht ein Erdbeben und warum ist die Türkei besonders von Beben betroffen?

Die Erdkruste besteht aus festem Gestein, den tektonischen Platten. Diese äußerste Schicht der Erde besteht aus Krustenplatten, Lithosphärenplatten und kleineren Krustenbruchstücken. Von den Gesteinsplatten gibt es fast 60 kleine und sieben große: die Pazifische und Antarktische Platte, die Nord- und die Südamerikanische Platte, die Afrikanische Platte sowie die Eurasische und die Australische Platte. Die Platten schwimmen wie Eisschollen auf dem flüssigen Inneren der Erde. An manchen Stellen unseres Planeten wölbt sich die Erde zu riesigen Bergen auf. An anderen ziehen sich kilometerlange tiefe Gräben durch den Boden, wie bei der San-Andreas-Verwerfung in Kalifornien. Pro Jahr bewegen sich die Erdplatten wenige Zentimeter. Wird durch die Reibung der Platten der Druck zu groß oder verkeilen sich zwei Platten ineinander, kommt es zu einem Bruch. Dort, wo die Platten aufeinandertreffen, entstehen gewaltige Spannungen. Wird der Druck zu groß, entladen sich diese – die Erde bebt. Die Türkei befindet sich in einer der seismologisch aktivsten Regionen der Welt. Denn es treffen gleich mehrere Platten aufeinander: die Afrikanische, die Arabische und die Eurasische. Deshalb kommt es dort auch vermehrt zu Beben. In den kommenden Wochen und Monaten muss in der Region mit weiteren Nachbeben gerechnet werden. Deren Häufigkeit und Stärke nehmen mit der Zeit ab, wobei dieser Prozess über Monate dauern kann.

Wie funktionieren Frühwarnsysteme und warum können Erdbeben so schwer vorausgesagt werden?

Ein Erdbeben konkret vorherzusagen ist wissenschaftlich noch nicht möglich. Es gibt aber Frühwarnsysteme, die Erschütterungen erkennen können, wie der Forschungsbereich „Erde und Umwelt“ des deutschen Forschungsinstituts Helmholtz-Gemeinschaft erklärt. Regionale Systeme sind in den Gebieten installiert, in denen Erdbeben zu erwarten sind. Dort erfasst ein seismisches Beobachtungsnetzwerk starke Erschütterungen im Boden. Bei einem Erdbeben entstehen verschiedene Arten seismischer Wellen, darunter eine Kompressionswelle (P-Welle) mit relativ geringer Schwingung und die zerstörerische Scherwelle (S-Welle). Zwischen ihnen liegen nah am Epizentrum wenige Sekunden. „Je weiter man davon entfernt ist, desto mehr Zeit bleibt für einen Alarm. Ist man nah am Epizentrum, ist die S-Welle schon vor diesem angekommen“, sagt Professor Stefano Parolai von der Universität Triest.

In dieser Zeit empfangen Software-Plattformen die Echtzeit-Signale des Beobachtungsnetzwerkes, verarbeiten sie und senden einen Alarm aus. Die verknüpfte Infrastruktur sorgt dafür, dass sofort Warnungen herausgegeben werden und etwa Strom- und Gasleitungen abgeschaltet, Züge gestoppt, Brücken gesperrt und gefährliche industrielle Prozesse angehalten werden. Ein anderes Frühwarnsystem arbeitet mit folgender Strategie: Dort werden die seismischen Messungen an dem Punkt vorgenommen, der geschützt werden soll, etwa in einer Stadt oder an einer Industrieanlage. Beim aktuellen Erdbeben in der Türkei und Syrien wäre eine solche Frühwarnung unabhängig vom eingesetzten System nicht möglich gewesen, erklärt Marco Bohnhoff vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) Potsdam. Denn die betroffene dicht besiedelte Region liege in unmittelbarer Nähe des Epizentrums, so dass es keine Zeit für Warnungen gegeben hätte.

Wichtig und entscheidend bei einem Erdbeben sei die Baustruktur der Gebäude. In der Türkei gäbe es zwar gute Erdbebengesetze, diese werden jedoch meist nicht befolgt. Zudem sind die Häuser sehr alt, weshalb sie bei einem Beben wie ein Kartenhaus zusammenstürzen. Von zahlreichen ForscherInnen kommen vermehrt Rufe, sie hätten auf das drohende Erdbeben immer wieder hingewiesen. Die Warnungen seien jedoch nicht gehört worden.

Wenn Sie helfen möchten, diese Hilfsorganisationen bitten um Spenden: