Die Teuerung trifft Alleinerziehende und Familien besonders. Wie der „Breakfast Club“ hilft.
Rund 420.000 ÖsterreicherInnen waren im Vorjahr laut einer Studie der Gesundheit Österreich GmbH von schwerer Ernährungsarmut betroffen: Sie mussten Mahlzeiten auslassen oder hatten einen Tag lang nichts zu essen, weil sie das Geld für etwas anderes dringender brauchten – etwa die Miete oder die Stromrechnung. Frau Lampl, was bedeutet Ernährungsarmut?
Christina Lampl: Wir haben im Rahmen der Studie festgestellt, dass es hierbei einen Mangel auf mehreren Ebenen gibt. Einerseits mangelt es grundsätzlich an Lebensmitteln, andererseits fehlt es an gesunden und frischen Lebensmitteln – zum Beispiel, weil man auf Sozialmärkte und Tafeln angewiesen ist und es dort nicht immer ausreichend gesunde Nahrungsmittel gibt. Neben dem materiellen Mangel ist auch die soziale Teilhabe betroffen. Essen mit Freunden und Bekannten sowie gemeinsame Erlebnisse sind schwer möglich. Betroffen sind Alleinerziehende, aber auch Familien mit Kindern, Arbeitslose und Personen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeitsfähig sind.
Frau Kurath, Sie leiten den „Breakfast Club“ der Volkshilfe Kärnten. Kinder erhalten dort ein gesundes Frühstück. Wie erleben Sie Ernährungsarmut?
Stephanie Kurath: LehrerInnen und DirektorInnen erzählen uns, dass Kinder sie fragen: „Ich habe so ein Loch im Bauch, bitte, haben Sie etwas zu essen?“ Im „Breakfast Club“ erleben wir Kinder, die sich bei uns noch viel Jause einpacken, um den Tag über etwas zu essen zu haben. Manche können sich auch den Beitrag von 50 Cent nicht leisten. Neben dem finanziellen Aspekt gibt es auch den zeitlichen. Viele Eltern müssen früh in die Arbeit, es fehlt die Zeit für ein Frühstück oder, um eine Jause herzurichten. Von alleinerziehenden Müttern höre ich oft: „Ich würde gerne gesünder kochen, aber die finanziellen Mittel reichen dafür nicht.“ Eine Schüssel Müsli mit Joghurt und Obst zum Frühstück ist nun mal teurer als eine Scheibe Toast mit Butter. Von LehrerInnen erhalten wir bereits viel positives Feedback auf den „Breakfast Club“: Die Kinder sind im Unterricht konzentrierter und können sich besser integrieren. Ich erinnere mich etwa an ein Kind aus schwierigen Verhältnissen, das am Anfang immer allein am Tisch saß, mittlerweile hat es Freunde gefunden.
„Als Sozialarbeiterin habe ich mit vielen Menschen und häufig Frauen zu tun, die sich trotz Arbeit das Leben nicht mehr leisten können. Es liegt nicht an den Personen, der Fehler liegt im System.“
Wie kommt es, dass in einem reichen Land wie Österreich mit gut ausgebautem Sozialsystem Kinder zu wenig zu essen haben?
Kurath: Österreich hatte zuletzt den höchsten Preisanstieg in Westeuropa zu verzeichnen, und immer noch steigen die Lebensmittelpreise. Als Sozialarbeiterin habe ich mit vielen Menschen und häufig Frauen zu tun, die sich trotz Arbeit das Leben nicht mehr leisten können. Es liegt nicht an den Personen, der Fehler liegt im System.
„Es müssten Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit die gesunde und klimafreundliche Wahl auch die einfachere ist – egal, wie viel Geld zur Verfügung steht.“
Frau Lampl, was sind die Folgen von Armut und Ernährungsarmut?
Lampl: Armut oder Ernährungsarmut – beides hat Folgen nicht nur für die unmittelbar Betroffenen, sondern für die gesamte Gesellschaft. Ein hoher Anteil an pflanzlichen, ballaststoffreichen und frischen Lebensmitteln wie zum Beispiel Obst und Gemüse hat nicht nur einen großen Vorteil für die Gesundheit, sondern schützt auch präventiv vor Herz-Kreislauf- oder Stoffwechselerkrankungen. Hoch verarbeitete Lebensmittel sind hingegen oft salzreich und wirken krankheitsfördernd. In manchen Familien gibt es am Ende des Monats nur noch Nudeln mit Butter oder Toastbrot mit Butter, weil es sich finanziell nicht anders ausgeht, oder die Mütter stecken selbst beim Essen zurück. Dazu kommt der chronische Stress als Folge und dessen negative Auswirkungen auf die Gesundheit. Es müssten Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit die gesunde und klimafreundliche Wahl auch die einfachere ist – egal, wie viel Geld zur Verfügung steht. Maßnahmen wären eine kostenlose Gemeinschaftsverpflegung, die Senkung der Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse oder etwa die Ausweitung des „Breakfast Club“.
Kurath: Ich würde mir wünschen, dass der „Breakfast Club“ bundesländerweit ausgebaut wird, und es bräuchte mehr Ernährungsbildung: Wie bereite ich gesundes Essen zu? Man sollte schon im Kindergarten ansetzen und die Eltern miteinbeziehen. Ich würde mir wünschen, dass wir in Zukunft nicht mehr über Kinderarmut sprechen müssen. Auf Basis verschiedenster Maßnahmen wie der Einführung einer Kindergrundsicherung sollten alle Kinder in Österreich gut versorgt werden.
Wie kann man sich auch mit kleinem Budget bewusst ernähren?
Lampl: Leitungswasser trinken, einen Einkaufzettel schreiben, sich nicht von vermeintlichen Aktionen im Supermarkt verleiten lassen.
Kurath: Ich schreibe einen Menüplan für die ganze Woche und notiere, welche Lebensmittel eingekauft werden müssen. Ich empfehle, mit dem Taschenrechner durch den Supermarkt zu gehen und Zwischenrechnungen zu machen sowie ein Wochenbudget zu fixieren. Betroffene Menschen können sich auch an eine Beratungsstelle wenden.
Christina Lampl, Diätologin im Kompetenzzentrum Klima und Gesundheit, Gesundheit Österreich GmbH
Stephanie Kurath, Bereichsleitung „Kinderarmut abschaffen“ der Volkshilfe Kärnten, Leiterin des „Breakfast Club“