Was ist los mit der Jugend?

Was ist los mit der Jugend?
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  • Veröffentlicht: 21.07.2022
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Klimakrise, Krieg, Pandemie: Die vielen Krisen beeinflussen das Leben von jungen Menschen nachhaltig.

Herr Heinzelmaier, Sie haben ein Buch geschrieben über die Generation Corona. Was bedeutet denn Jungsein in Zeiten einer Pandemie und eines Krieges in Europa?

Bernhard Heinzelmaier: Eine Generation ist geprägt durch gemeinsame Erfahrungen. Bisher gab es oft einen einzigen massiven Einschnitt für eine Generation, jetzt aber erleben wir verschiedene Krisen, die sich überlagern: Klimakrise, Pandemie, Inflation und nun noch ein Kriegsereignis ganz in der Nähe. Das führt dazu, dass die junge Generation einen skeptisch in die Zukunft blickt, sie sehnt sich in die Vergangenheit zurück. Wesentlich für diese Generation sind Skepsis und Angst, dass noch mehr kommt als das, was eh schon zu ertragen ist.

Susanna Öllinger: Ich kann dem nur zustimmen. Es gibt heute sehr viele Brennpunkte. Viele junge Menschen wissen nicht mehr, ob sie später Kinder bekommen wollen – weil sich die Folgen der Klimakrise in ein paar Jahren noch drastischer zeigen werden. Dass die Jugend sehr belastet ist, zeigt auch die Zunahme an psychischen Problemen und Erkrankungen unter den Jugendlichen.

Muss die Jugend heute mehr ertragen als Vorgänger-Generationen?

Öllinger: Meine Großeltern sind in der Nachkriegszeit geboren. Ich finde es schwierig zu sagen: Was war schlimmer? Wir haben das Privileg, hier in Österreich in Sicherheit zu leben, den meisten geht es gut. Aber was wird die Zukunft bringen?

Heinzelmaier: Wir leben in Mitteleuropa unter sehr günstigen Bedingungen. Wir haben ein funktionierendes Gesundheitssystem, eine Pensionsversicherung, und es gibt viele Institutionen, die dafür sorgen, dass Menschen nicht komplett abstürzen. Allerdings vergleicht sich die junge Generation mit der Elterngeneration. In unseren Untersuchungen sagen viele junge Leute: „Die Eltern hatten noch eine Stabilität in ihrem Leben. Sie konnten sich darauf verlassen, dass sie einen sicheren Job bekommen.“ Ein 29-Jähriger erzählte mir im Interview, er habe schon dreimal Job wechseln müssen, weil eine Firma zugrunde gegangen ist.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass 42 Prozent der Jugendlichen „eher düster“ in die Zukunft schauen – das ist besorgniserregend.

Heinzelmaier: Man muss unterscheiden zwischen der gesellschaftlichen und der persönlichen Zukunft. Bei der persönlichen Zukunft sagen die meisten: „Was ich mir vornehme, werde ich erreichen.“ Sich zu ermutigen: „Ich werde das alles schaffen!“ ist eine Strategie, um mit dieser krisenhaften Zeit umzugehen. Das heißt nicht, dass die Leute ihre Ziele tatsächlich erreichen. Insgesamt sind die jungen Leute so pessimistisch wie noch nie seit ich die Untersuchungen mache.

Öllinger: Man merkt, dass bei der Jugend ein gewisser Pessimismus vorherrscht. Es ist alles so instabil. Die jungen Leute sagen: „Ich lebe im Hier und Jetzt, denn große Pläne zu machen bringt eh wenig.“

Heinzelmaier: Die meisten jungen Menschen beklagen sich darüber, dass es keine Planungssicherheit mehr gibt. Da kann man nicht verlangen, dass sie besonnen und mit Engagement ihre Zukunft planen. Sie werden genauso sprunghaft wie die Zeit.

Julia Langeneder

Julia Langeneder,
Familienredakteurin, lädt jeden Monat zum Familienrat ein.

 

 

Warum ist gerade die Jugend so betroffen?

Heinzelmaier: Die jungen Menschen sind noch nicht etabliert. Sie sind gerade dabei, den Sprung ins Leben zu tun machen und erleben dabei massiv widrige Umstände. Wenn jemand 40 oder 50 Jahre alt und situiert ist, kann er besser damit umgehen. Wir brauchen wieder mehr Stabilität und Planbarkeit – das würden die jungen Leute sich von der Politik wünschen.

Fühlt sich die Jugend von der Politik im Stich gelassen?

Heinzelmaier: 70 Prozent der Jugendlichen sagten im Vorjahr in unseren Untersuchungen, sie fühlten sich in der Corona-Krise von der Politik vernachlässigt, niemand kümmere sich um ihre Probleme.

Öllinger: Themen, die die Jugend belasten, werden meiner Meinung nach von PolitikerInnen und EntscheidungsträgerInnen nicht so aufgegriffen. Da wundert es nicht, dass das Vertrauen der jungen Menschen in die Politik fehlt. Es fehlt nicht ihnen das politische Interesse, jedoch das Vertrauen. Daher wollen sich die jungen Menschen auch nicht in einer Partei engagieren; die Jugend engagiert sich vielmehr, indem sie auf die Straße geht oder bei Initiativen mitarbeitet. Die Jugend möchte schon etwas ändern, aber sie nimmt es lieber selbst in die Hand als sich auf Parteien zu verlassen, weil sie das Gefühl hat, dass in der Politik nichts weitergeht.

Was würden Sie sich von der Politik konkret wünschen?

Öllinger: Die Jugend sollte mehr eingebunden werden! Es gibt viele ExpertInnen, aber die Jugend hat oft das Gefühl, dass sie nicht mitreden kann. Die jungen Leute haben in den vergangenen zwei Jahren sehr gelitten, man denke nur an die Schulschließungen. Schule ist ein Fixpunkt im Leben von Jugendlichen, auch sozial. Sie ist ein Halt, auf einmal war dieser weg, und das ist umso schwieriger, wenn man familiär vielleicht auch keine Stütze hat. Die Jugend braucht die Schule und es ist wichtig dass, wie zuletzt, die Schule im Lockdown zuletzt schließt und als Erste wieder aufmacht.

Heinzelmaier: Es müsste Anlaufstellen für junge Menschen geben, die tatsächlich psychische Krisen haben. Begleitende Maßnahmen braucht es auch für den Schlüsselbereich Arbeit und Ausbildung. Ich höre in Unternehmerkreisen, dass man die Leute, die jetzt maturieren nicht so gerne nimmt, weil sie nicht so gut ausgebildet sind.

Die jungen Menschen aus den unteren sozialen Schichten trifft es am stärksten, oder?

Heinzelmaier: Ja. Auch die Inflation trifft sie am stärksten. Sie müssen das Geld für basale Dinge des Lebens ausgeben und können nicht in Bildung investieren. Gerade junge Menschen aus bildungsfernen Schichten brauchen daher eine besondere Unterstützung. Beim Zugang zur Universität haben wir in den vergangenen zwei Jahren gesehen, dass die Zahl der StudienanfängerInnen, deren Eltern keinen akademischen Abschluss haben, zurück gegangen ist. Bald werden nur noch die Akademiker-Kinder studieren und das ist nicht gerecht!

Öllinger: Der Bildungsweg ist oft vorgegeben und die Schere, welche Möglichkeiten Kinder einmal haben werden, klafft immer weiter auseinander. Das ist sehr bedenklich, wenn man weiß, dass die Zukunft eh schon schwierig wird.

Julias Gäste

Susanna Öllinger

Susanna Öllinger, Bundesschulsprecherin und Maturantin am Europagymnasium Baumgartenberg.

Bernhard Heinzlmaier

Bernhard Heinzelmaier, Jugendforscher, Mitbegründer des Instituts für Jugendkulturforschung und Autor („Generation Corona“, Hirnkost Verlag, 18 Euro).

 

Herr Heinzelmaier, Sie sagen, dass die Jugend in ihren Wertvorstellungen sehr konservativ ist. Hält die Jugend so sehr am Kokon Familie fest, weil in der heutigen Zeit alles so unsicher ist?

Heinzelmaier: Da haben Sie recht! Wir sehen ein Wiederaufleben von traditionellen Werten – wie Sparsamkeit, eine starke Familien- und Gemeinschaftsorientierung und eine Renaissance der Vorliebe für ländliche Wohnformen. Das sind Signale dafür, dass die Jugend mit der modernen Welt Probleme hat und auf der Suche nach Stabilität ist. Die Beamtenlaufbahn ist wieder sehr attraktiv. Es gibt auch eine gravierende Zunahme an Österreich-Bewusstsein.

Öllinger: Ich habe nicht das Gefühl, dass die Jugend konservativ ist, aber ich assoziiere das hauptsächlich politisch. Viele sagen: „Wenn ich Kinder habe, will ich zurück aufs Land.“ Es gibt aber auch viele, die das System neu denken wollen. Die Klimakrise zeigt, dass etwas geändert werden muss. Ich glaube, dass die jungen Menschen in viele verschiedene Richtungen gehen. Jeder sucht seinen eigenen Überlebensweg.

Herr Heinzelmaier, Sie schreiben in Ihrem Buch, dass es unter den Jugendlichen keine Revoluzzer mehr gebe. Aber wie verorten Sie dann die Klimabewegung samt Greta Thunberg? Ist das nicht ein Zeichen von Rebellion?

Heinzelmaier: Die Jugend ist per se rebellierend, sie will ja das, was die Eltern gemacht haben, ändern. Aber die Radikalität der Wandervogelbewegung vom Beginn des 20. Jahrhunderts oder die der 68er Bewegung hat die heutige Jugend bei weitem nicht. Greta Thunberg ist ja auch keine Rebellin, sie fährt zur Uno, versucht mit Entscheidungsträgern zu reden. Rebellion hat heute den Charakter des Anpassens und Mitmachens. Man muss aber auch sagen, dass sich die jungen Leute heute die Rebellion der 68er nicht mehr leisten können. Die 68er konnten leicht aufbegehren, die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt war gering, die Akademikerquote lag bei drei Prozent. Die Neigung einer Generation zur Anpassung hat immer auch etwas mit der wirtschaftlichen Lage und mit den Freiräumen zu tun, die eine Generation zur Verfügung hat. Wenn junge Leute heute rebellieren, bringen sie sich eventuell um ihre Lebenschancen. Da halten sie lieber die Klappe. Das ist nicht Feigheit, sondern Realismus.

Herr Heinzelmaier, was denken Sie, wie wird es weitergehen mit der jungen Generation?

Heinzelmaier: Ein Ausblick ist immer das Schwierigste. Was man heute schon sagen kann, ist, dass die Jugend in den nächsten Jahren damit beschäftigt sein wird, etwas nachzuholen. Das klingt banal, aber es sind wichtige Dinge. Man spricht in der Pädagogik von „transition markers“: Die Jugend ist eine Übergangszeit und es gibt bestimmte „mile stones“, also Markierungspunkte, die anzeigen, dass man eine Stufe weiter gegangen ist. Das kann zum Beispiel eine Sprachreise sein, wenn man zum ersten Mal ohne die Eltern wegfährt oder ein Maturaball. Worüber rede ich heute mit einem 80-Jährigen? Das ist seine Jugend. Die Jugendzeit ist unvergleichlich relevant, sie ist der Schlüssel-Lebensbereich. Ich glaube, dass den Leuten schon viel genommen wird, wenn man diesen magischen Bereich zerschneidet und verkürzt.

Öllinger: Manchmal habe ich das Gefühl, als sei ich noch in der sechsten Klasse. Dabei habe ich gerade die Matura gemacht. In den vergangenen zwei Jahren hat die Jugend viel verpasst. Es gab in meiner Oberstufenzeit keine Sprachreise. Ich kann mit meinen Freundinnen im Sommer nach Frankreich reisen, aber in der 6. Klasse zu einer Gastfamilie zu fahren, das hatte ich halt nicht. Ich weiß, das ist Jammern auf hohem Niveau. Man kann einen Teil der Erfahrungen nachholen, aber nicht alles.

Heinzelmaier: Wir werden erleben, dass jetzt viele Entscheidungen, zum Beispiel die, eine Familie zu gründen, hinausgeschoben werden. Man wartet lieber noch zwei Jahre und versucht in dieser Zeit, etwas von der verlorenen Jugend nachzuholen.

Es wird sich also vieles nach hinten verschieben: die Ablösung von den Eltern, das erste Kind, das erste selbst verdiente Geld, das Haus am Land?

Heinzelmaier: Ja. Wir sehen schon seit zehn Jahren, dass sich die Abnabelung vom Elternhaus verzögert und so wird es weitergehen. Dinge, welche die Leute früher mit 17 gemacht haben, tun sie jetzt mit 24.

Öllinger: Der Prozess des Erwachsenwerdens ist in den vergangenen zwei Jahren unterbrochen worden und dementsprechend gibt es das Bedürfnis, Dinge nachzuholen. Ich stelle das auch an mir selbst fest. Im Herbst möchte ich studieren gehen, dann will ich arbeiten. Der Gedanke an eine Familiengründung ist sehr weit weg, wie bei den meisten jungen Menschen. Der Fokus liegt eher darauf: Was wird mit mir selber einmal sein?

 

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julia.langeneder@welt-der-frauen.at

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