Krisen: wie erkläre ich es meinen Kindern?

Krisen: wie erkläre ich es meinen Kindern?
Foto: Canva
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  • Veröffentlicht: 19.01.2024
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Eine Krise nach der anderen, Bilder des Terrors in den Medien: Wie sollen Eltern darauf reagieren?

Pandemie, Ukrainekrieg, Nahostkonflikt und nicht zuletzt die Finanzkrise: All diese Krisen belasten nicht nur Erwachsene. Sollen wir mit Kindern aktiv darüber sprechen oder warten, bis sie mit Fragen kommen?

Melanie Schweinzer: Die Krisensituation beschäftigt uns alle. Primär sind es Emotionen von Angst und Sorge, die aufkommen. Wie wir als Eltern reagieren, beeinflusst wiederum die Reaktion unserer Kinder. Eine Kontrolle von Emotionen, das aktive Reflektieren und Sich-Distanzieren von Szenarien ist rein hirnphysiologisch erst nach Ausreifung des Gehirns, also im jungen Erwachsenenalter, vollständig möglich. Wenn ich wahrnehme, dass es Angst hat, macht es auf jeden Fall Sinn, dass ich auf mein Kind zugehe – angepasst an das Alter und das individuelle Temperament des Kindes. Wichtig ist, dass man selbst nicht überschießend reagiert.

Gabriele Liesenfeld: Ich denke auch, dass es vom Alter des Kindes abhängt, ob wir es aktiv ansprechen sollten oder ob wir warten, bis es mit Fragen kommt. Wenn wir aufmerksam sind, bemerken wir, ob unserem Kind unwohl ist und Fragen lauern. Ich plädiere dafür, dass man Fragen stellt: Wie geht es dir heute? Es ist wichtig, dass Kinder das Gefühl haben, ernst genommen zu werden, und daher würde ich nur aktiv mit ihnen über den Krieg sprechen, wenn ich sehe, dass Bedarf ist. Bei meinen Kindern war mir wichtig, ihnen zu vermitteln, dass die Welt kein bedrohlicher, sondern im Grunde ein wohlwollender Ort ist.

Frau Liesenfeld, in Ihrem Buch „Mama, Papa … wie passiert Krieg?“ verbinden Sie Märchenerzählung und Ratgeber. Inwiefern helfen Geschichten, Kindern ein so komplexes Thema wie Krieg nahezubringen?

Liesenfeld: Die Märchenerzählung ist eine uralte Methode, das Leben zu erklären. In meinem Märchen baue ich keine Schwarz-Weiß-Geschichte auf, sondern mache deutlich, dass jeder Mensch Fehler macht und wiederum jeder auch die Gabe hat, diese Fehler wiedergutzumachen.

Schweinzer: Märchen waren ursprünglich nicht für Kinder gedacht, sondern für Erwachsene. Aber ich finde den Ansatz sehr gut, mit ihnen die Welt zu erklären und so wiederum Ressourcen anzubieten, die man in das eigene Leben integrieren kann. Schön ist, dass Kinder und Jugendliche von Märchen und Erzählungen genau das mitnehmen können, was sie brauchen.

Foto: Valerie Sherin
„Es ist ein Balanceakt, Sicherheit zu vermitteln, wenn man sich selbst gerade unsicher fühlt.“
Gabriele Liesenfeld

Wie kann man Kinder und Jugendliche vor verstörenden Bildern – gerade auch in den sozialen Medien – schützen?

Schweinzer: Der beste Schutz ist Medienkompetenz. Eltern sollten ihren Kindern vermitteln, wie sich Informationen einordnen lassen, was gute Quellen sind. Jugendliche sind oft einer Flut von Nachrichten ausgesetzt. Als Erwachsener hat man gar nicht mehr die Möglichkeit, in dem Maße „vorzufiltern“, wie es notwendig wäre. Wichtig ist, auf die Reaktion von Kindern und Jugendlichen zu achten und dann auch ins Gespräch zu gehen. Essenziell ist es, einfach da zu sein, zuzuhören, nachzufragen, ohne zu bewerten, und einen wertschätzenden Diskussionsraum bereitzustellen.

Liesenfeld: Für Eltern ist das oft auch eine Überforderung. Es ist ein Balanceakt, Sicherheit zu vermitteln, wenn man sich selbst gerade unsicher fühlt.

Wie kann man Kindern in turbulenten Zeiten Sicherheit vermitteln?

Liesenfeld: Ablenkung ist eine gute Strategie, wenn man in einen Dauerzustand von Stress gerät – ausgelöst durch Angst zum Beispiel. Man kann einen lustigen Film schauen oder mit den Kindern in den Wald gehen, Zapfen sammeln oder gemeinsam etwas kochen. Auch Engagement hilft. Man kann – wie es viele gerade zu Beginn des Ukrainekrieges gemacht haben – Spielsachen zusammensuchen, die man nicht mehr braucht, oder etwas spenden. So vermittelt man Kindern das Gefühl: Wir verharren nicht in der Angst, sondern tun etwas.

Schweinzer: Ich verwende gerne die Formel „Umlenken statt Ablenken“. Stress löst im Körper eine Reaktion aus, Cortisol und Adrenalin werden freigesetzt, das heißt, wir haben eigentlich viel Energie zur Verfügung. Nun geht es darum, dass man diese Energie auch abbaut, und das kann auf unterschiedliche Art und Weise geschehen. Jugendliche sind oft sehr unmittelbar impulsiv, sie verbünden sich mit Gleichaltrigen und demonstrieren, um für die eigenen Überzeugungen einzustehen. Diese Impulsivität hat wiederum auch etwas mit der noch unzureichend entwickelten Fähigkeit zur kognitiven Kontrolle zu tun, wovon ich eingangs gesprochen habe.

Liesenfeld: Ich möchte noch etwas ergänzen: Eltern haben immer das Gefühl, dass sie alles perfekt machen müssen. Ich glaube, wir geben unser Bestes, aber wir alle machen Fehler. Wichtig ist, dass wir einen liebevollen Kontakt mit unseren Kindern pflegen. Wir dürfen aber auch gelassen sein und ein bisschen chillen. Und viel mit den Kindern in die Natur hinausgehen, gerade wenn sie noch klein sind.

Foto: Bernhard Mayr
„Zentral ist, dass man den Gefühlen des Kindes Raum gibt, dem Kind Sicherheit vermittelt und ihm die Möglichkeit gibt, Fragen zu stellen.“
Melanie Schweinzer

Frau Schweinzer, ab welchem Alter können Kinder überhaupt die Tragweite eines Krieges begreifen? Ab welchem Entwicklungsstand sind sie dazu in der Lage? 

Schweinzer: Es ist schwierig, das zu verallgemeinern, weil es auf das Kind ankommt und individuell verschieden ist. Im Großen und Ganzen kann man sagen: Im Kleinkind- und Vorschulalter können Kinder die Tragweite eines Krieges von ihrer Entwicklung her noch gar nicht in vollem Maße verstehen und begreifen, daher ist auch ihre Reaktion meist moderat. Bis zum Alter von sieben Jahren reagieren Kinder vor allem auf angsterzeugende Geräusche und Bilder, die Gefühle von Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein auslösen können. Daher sollten ungefilterte reale Berichte von Kriegshandlungen eher vermieden werden. Zentral ist, dass man den Gefühlen des Kindes Raum gibt, dem Kind Sicherheit vermittelt und ihm die Möglichkeit gibt, Fragen zu stellen. 

Liesenfeld: Man könnte zum Beispiel fragen: Hast du dich schon einmal so gefühlt? Und dann sagt das Kind vielleicht: „Als mir jemand den Ball weggenommen hat.“

Schweinzer: Genau, denn je mehr man dem Kind vermittelt, wie es Gefühle zuordnen kann, desto besser kann es neue Verhaltensweisen erlernen: Wie gehe ich damit um, wenn ich wieder so ein Gefühl habe? Oder wo gehe ich hin, wenn ich gerade für mich keinen Ausweg sehe, wer kann mir helfen? Es ist wichtig, mindestens eine primäre Bezugsperson zu haben. Dies ist auch der Kern, um Resilienz zu entwickeln.

Wie kann ich die Resilienz von Kindern und Jugendlichen stärken?

Schweinzer: Resilienz ist eigentlich ein Begriff aus der Komplementärphysik. Damit ist gemeint: Wenn ich eine Materie aus der Form bringe, kann sie sich danach wieder in ihre Ausgangsform zurückbilden. Genauso ist es auch mit unserer Psyche. Resilienz ist ein Prozess, der mit Training zusammenhängt. Ich kann also nur Resilienz entwickeln, wenn ich unmittelbar mit einem Problem konfrontiert werde. Wenn ich ein Problem bewältigt habe, habe ich Selbstwirksamkeit erlebt und bin daran gewachsen. Das heißt: Wenn ich mein Kind unter eine Glasglocke stelle, kann es keine Selbstwirksamkeit erfahren. Viele haben heute Sorge, was wohl aus dieser krisengebeutelten jungen Generation werden wird. Im Grunde haben die jungen Menschen heutzutage gute Voraussetzungen, sehr resiliente Individuen zu werden, aber es gibt natürlich auch Ausnahmen. Vor allem dann, wenn Kinder keine primäre Bezugsperson haben.  

Ab welchem Alter kann man Kindern Nachrichtensendungen wie die ZIB zumuten?

Schweinzer: Ab etwa zwölf Jahren. Davor ist es sinnvoll, altersentsprechend mit Märchen, Bildern oder Comics zu arbeiten – also eine kindliche Herangehensweise anzubieten, die komplexe Dinge herunterbricht. 

Liesenfeld: Das versuche ich eben auch mit meinem Buch, das ich kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine geschrieben habe. Damals hat das so polarisiert: Wem wird die Schuld gegeben? Wer ist der Böse? Ich habe versucht, mit meinem Märchen deutlich zu machen, dass jeder Mensch sich gut und schlecht verhalten kann. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir das unseren Kindern mitgeben, denn Ausländerhass, Antisemitismus, all diese Dinge kommen ja nur davon, weil die Ansichten so polarisiert sind.

Wo kann man Rat und Hilfe finden?

Schweinzer: Der Verband Österreichischer PsychologInnen (boep.or.at) bietet ein breit gefächertes Angebot, darunter auch die Helpline unter der Nummer 01 50 48 000 – dort kann man sich per Telefon oder E-Mail kostenlos und anonym beraten lassen. Oft braucht es gar nicht so viel, und eine professionelle Beratung kann ausreichend Hilfe bieten. Eine Warnung möchte ich vor gefährlichem Halbwissen aus dem Internet aussprechen! Auf jeden Fall sollte ein Professionist diese Einschätzung persönlich und auf die eigene Situation abgestimmt vornehmen. Man sollte sich bei der Diagnostik keinesfalls alleine auf das Internet verlassen. 

Julia Langeneder fragt, wie Eltern ihren Kindern in Zeiten der Unsicherheit Sicherheit vermitteln können.

Melanie Schweinzer: klinische Psychologin in Lehre und Forschung an der Med Uni Graz und in eigener Praxis

Gabriele Liesenfeld: Autorin („Mama, Papa … wie passiert Krieg?“, Gutfreund Verlag)

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