„Begegnung mit der EU und Einblicke in die Stadt“ verspricht die Weltanschauen-Reise „Vielfältiges Brüssel“. Ob sich die gesamte Europäische Union tatsächlich an einer Stadt festmachen lässt und welche Überraschungen die belgische Metropole sonst noch bereithält, erläutert Christoph Unterkofler in seinen Reisenotizen.
Im Herzen der Europäischen Union
Tag fünf beginnt für mich sehr früh, früher als für den Rest der Gruppe. Es ist noch dunkel, als ich mich ins EU-Viertel aufmache, wo ich die Möglichkeit habe, mit der EU-Abgeordneten Angelika Winzig (ÖVP) ein Interview zu führen. Thematisiert wird unter anderem, wie auf EU-Ebene gegen Gewalt an Frauen vorgegangen werden kann und welche Schritte gesetzt werden müssen, um Frauen für den Schritt in die Selbstständigkeit zu ermutigen (Beitrag folgt).
Die anschließende Führung mit unserem Guide Raf startet beim Triumphbogen – und endlich lässt sich auch die Sonne wieder einmal blicken. Anhand verschiedener Denkmäler wird die Geschichte Belgiens und die Beziehung zur einstigen Kolonie Kongo einmal mehr gegenwärtig. Das EU-Viertel selbst bietet interessante Gebäude mit interessanten Geschichten. So erzählt Raf nicht ohne Amüsement, dass bei Renovierungsarbeiten in einem der EU-Gebäude Abhörgeräte entdeckt wurden, die im Beton eingegossen waren. Dass es am europäischen Viertel auch immer wieder Kritik gibt, lässt Raf nicht unerwähnt. Es sei wie eine Insel, hießt es in Brüssel, die mit dem Rest der Stadt nicht gut vernetzt ist. „Und das ist eine Kritik, die auch so stimmt“, sagt Raf.
Tierische Anekdoten hat unser Guide auf dem Weg zum Parlament parat. Einst sei auf dem Gelände, in dem sich jetzt unter anderem das House of European History befindet, der Tiergarten von Brüssel beheimatet gewesen. Allerdings habe dies wegen der klimatischen Bedingungen nicht funktioniert – selbst der Elefant sei aufgrund der Nässe und Kälte krank geworden. Am Ende seien nur noch ein Krokodil und ein paar Fische übrig gewesen, ehe der Tierpark geschlossen wurde. Dass sich unmittelbar vor dem Parlament Vogelstrauß-Statuen befinden, die den Kopf in den Sand stecken, erzählt Raf ebenfalls mit einem breiten Grinsen, bevor wir uns ins Innere des Hauses wagen und uns beeindruckt auf der BesucherInnentribüne des Plenarsaals wiederfinden.
Eindrücke und Einblicke
„Dieser Saal ist das Herzstück der europäischen Demokratie in Brüssel“, erklärt die aus Österreich stammende Mitarbeiterin. 705 Abgeordnete würden hier Platz finden, die größte nationale Abordnung seien die 96 Abgeordneten aus Deutschland, die kleinste die sechs Abgeordneten aus Malta. Österreich ist mit 19 Abgeordneten im EU-Parlament vertreten. Gesprochen wird in diesem Gremium in der jeweiligen Landessprache, welche simultan übersetzt wird. „Österreichisch ist für Übersetzer eine Herausforderung“, betont die Führerin, „weil es zum Teil sehr lange, verschachtelte Sätze sind und das Verb oft auch erst am Ende des Satzes kommt.“ Dass die ÜbersetzerInnen großes Gespür beweisen müssen und beispielsweise bei Redewendungen nicht wortwörtlich übersetzen dürfen, sei mit ein Grund, warum in diesem Bereich keine künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt. Und 97 Prozent der Inhalte kommen tatsächlich in übersetzter Sprache an.
Einblick in seine Arbeit als Abgeordneter gewährt uns Thomas Waitz von den Grünen. Seit 2017 ist er auf EU-Ebene in den Ausschüssen für Landwirtschaft, Außen- und Sicherheitspolitik tätig. „Lesen, lesen, lesen“, ist sein Zugang als Abgeordneter. Denn obwohl er aus dem landwirtschaftlichen Bereich komme und dieser für ihn seit langem ein Thema sei, sei es notwendig, sich stets zu informieren. Der Verdienst der Abgeordneten wird in der Gesprächsrunde ebenso thematisiert wie Lobbying und Korruption. InteressensvertreterInnen seien durchaus notwendig, um Expertise einzuholen, sagt Waitz. „Problematisch wird es dort, wo ein persönlicher Vorteil daraus gezogen wird.“ Wobei die moderne Form der Korruption weniger in unmittelbaren Geldflüssen passiere, sondern vielmehr in Form von hochdotierten Managementposten nach dem eigentlichen Mandat.
Über ihre Tätigkeit als ORF-Korrespondentin, die Notwendigkeit von Hintergrundgesprächen sowie ORF-Gebühren und journalistische Unabhängigkeit sprechen wir mit Raffaela Schaidreiter. Seit fünf Jahren ist sie als Korrespondentin für den ORF in Brüssel und mittlerweile als Büroleiterin tätig. Dass der Tag sehr lang werden kann und das Handy auch in der Nacht nicht ausgeschaltet werden darf, überrascht in dieser Funktion kaum. „Ich möchte trotzdem nicht tauschen“, betont die gebürtige Salzburgerin, „denn worüber man auch berichtet, es hat Auswirkungen auf das Leben in Österreich.“ Und was sind schöne Momente im Job? „Wenn man um 3 Uhr morgens im Ratsgebäude sitzt und wartet, dass der Gipfel aus ist – da weiterhin ein Lächeln zu bewahren, ist ein schöner Moment“, meint Schaidreiter mit einem Augenzwinkern.
Und schöne Momente gab es auch für unsere Reisegruppe während der vergangenen Tage genug, denke ich mir, während wir uns im Reisebus in Richtung Heimat befinden. Wäre es also nicht angebracht, ein persönliches Resümee meiner „Weltanschauen“-Premiere zu ziehen? Ja, wäre es. Morgen!