„Ein unerfüllter Kinderwunsch ist etwas sehr Massives“

„Ein unerfüllter Kinderwunsch ist etwas sehr Massives“
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  • Veröffentlicht: 26.01.2024
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Hat jeder Mensch ein Recht auf ein Kind? Soll der eigene Kinderwunsch mit allen Mitteln erfüllt werden? Die Generalsekretärin des Vereins „aktion leben“ Martina Kronthaler hält Grenzen bei der assistierten Reproduktion für notwendig.

Wofür steht Ihr Verein und was bewirkt er, Frau Kronthaler?

„aktion leben österreich“ ist ein unabhängiger, überkonfessioneller Verein. Unsere selbstgewählten Aufgaben sind die Begleitung, Beratung und Unterstützung von schwangeren Frauen und deren Familien, Sexualpädagogik, Informationen über Fruchtbarkeit, Zyklus, Verhütung und zur vorgeburtlichen Zeit sowie deren Bedeutung. Wir beschäftigen uns mit Öffentlichkeitsarbeit zu bio-ethischen Themen, vorrangig zur Reproduktionsmedizin, und mit gesellschaftlichen Fragen dazu.

Wie sehen Sie die moderne Reproduktionsmedizin?

Wir beobachten diese Entwicklungen sehr kritisch. Kurz vorangestellt: Wir sind nicht pauschal gegen assistierte Reproduktion. Wir finden aber, es sollte Grenzen geben. Wenn ein Paar, eine Frau assistierte Reproduktion für sich selbst in Anspruch nimmt, gut informiert ist, ist das ihre Entscheidung. Die Frau nimmt ja die körperlichen Belastungen selbst auf sich. Die Grenzen sehen wir, wenn andere Menschen und deren Körpergrenzen beansprucht und überschritten werden.

Foto: Franziska Safranek / aktion leben
„Man muss sich fragen: Um welchen Preis müssen Wünsche erfüllt werden?“

Laut Ihrer Website stehen Sie für klare Grenzen bei der Reproduktionsmedizin ein. Welche fordern Sie konkret? 

Wir sehen die Eizellenspende sehr kritisch. Es gibt sehr wenige Studien zu Folgen und Risiken dieser Methode. Die Informationen, die man findet, kommen in sehr verharmloster und beschönigter Form vorrangig von Kinderwunschkliniken. Wir arbeiten außerdem aktiv gegen Leihmutterschaft. Diese empfinden wir als schweren Verstoß gegen Kinder- und Frauenrechte. 

Warum braucht es diese Grenzen? 

Freiheit endet dort, wo die Freiheit eines anderen Menschen beginnt. Es braucht diese Grenzen, um Menschenrechte zu achten. Die Menschenwürde zu wahren, ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Kinder werden zunehmend als planbares Produkt betrachtet. Für mich und für uns als Verein hat unser Einsatz einen tiefen feministischen Hintergrund: All diese Techniken zielen darauf ab, dass Frauen mit ihrem Körper gesellschaftspolitische Versäumnisse reparieren. Man geht nicht an die Wurzel der Probleme. Die Frauen sollen es richten, die Frauen sollen die Risiken und Kosten auf sich nehmen, die mit der Eizellenspende und der Leihmutterschaft verbunden sind. Bei der Eizellspende und Leihmutterschaft werden junge, gesunde Frauen zu Patientinnen gemacht, hohe Risiken werden ihnen zugemutet. Das alles wird nicht gesagt, was zu einer unehrlichen Diskussion führt. Bei all diesen Techniken wird ausgeblendet, wer betroffen ist. Es gibt die Frau, das Paar mit Kinderwunsch, was natürlich legitim ist. Aber man muss sich fragen: Um welchen Preis müssen Wünsche erfüllt werden? Andere müssen mit ihrer körperlichen Integrität dafür bezahlen. Und das ist für mich die Grenze.

„Jedes Kind hat das Recht auf Kenntnis seiner Herkunft und darauf, bei seinen Eltern zu leben.“

Inwiefern werden Menschenrechte Ihrer Meinung nach durch unterstützte Reproduktion beeinflusst?

Zu dieser Kinderwunschindustrie – so könnte man das global betrachtet schon nennen – gehören die Frauen, die Eizellen spenden und die als Leihmütter fungieren sollen. Genau wie die Kinder, die auf diese Weise entstehen und denen man damit viel aufbürdet. Früher war es selbstverständlich, dass jedes Kind einen Vater und eine Mutter hat, obwohl man vielleicht nicht ständig bei einem Elternteil lebt. Durch diese Maßnahmen gibt es viele Kinder, die nicht wissen, wer ihr Vater ist – beispielsweise durch eine anonyme Samenspende. Das sind massive Menschenrechts- und Kinderrechtsverletzungen. Jedes Kind hat das Recht auf Kenntnis seiner Herkunft und darauf, bei seinen Eltern zu leben. Das wird ihnen hier mutwillig und bewusst vorenthalten. Und speziell bezüglich der Leihmutterschaft: Jedes Kind hat das Recht, nicht wie eine Ware be- und gehandelt zu werden. Wir haben ja auch die Sklaverei abgeschafft, aber die Leihmutterschaft würden wir wieder einführen.

Ein unerfüllter Kinderwunsch ist etwas sehr Massives, Leidvolles. Manche gehen aber durch, ohne nach links oder rechts zu schauen, und empfinden es als Eingriff in ihre Selbstbestimmung, wenn es Regeln oder Grenzen gibt. Ohne zu bedenken, dass sie andere Menschen benutzen.

Es gibt aktuell Initiativen, die eine Legalisierung von Maßnahmen wie Social Freezing fordern, in Deutschland ist diese Praxis bereits legal. 

Social Freezing ist der unsicherste Weg zum Kind. Es ist eine große Geschäftemacherei auf Kosten von Frauen. Auch, wenn man sich eine junge Eizelle einsetzen lässt, altert der ganze Körper, beispielsweise ist die Gebärmutterschleimhaut nicht mehr so gut durchblutet. Die Eizellen werden kryokonserviert, und es gibt noch sehr wenige Erfahrungen, ob es beim Auftauen vielleicht Haarrisse gibt und wie viele Eizellen sich dann tatsächlich für eine Befruchtung eignen. Das ist einer der Gründe, warum Social Freezing noch nicht zugelassen ist. Frauen machen das aus Sorge – jetzt geht ein Kind nicht, aber vielleicht später. Der Wunsch wird verschoben, doch die Hoffnungen erfüllen sich oft nicht. Sehr wenige Frauen bekommen dann tatsächlich ein Kind.

Sind die ÖsterreicherInnen Ihrer Meinung nach gut über diese Themen informiert?

Wir bräuchten viel mehr Bildung – etwa darüber, dass die Fruchtbarkeit und die Eizellenreserve sinken. Ab 35 Jahren sinkt die Fruchtbarkeit bei Frauen eklatant, worüber kaum auf gesellschaftspolitischer Ebene informiert wird. Auch finden viele Frauen in ihren fruchtbaren Jahren keinen Mann, mit dem sie eine Familie gründen können. Dazu kommt, dass die Fruchtbarkeit von Männern zunehmend abnimmt. Die Spermienqualität – also die Beweglichkeit und die Anzahl – sinkt massiv. Ursachen dafür liegen in der Umwelt, im Lebensstil und im Alter. Es ist ein stilles Drama, das wir öffentlich machen müssen.

„Wir müssten viel mehr tun, damit junge Frauen und Männer Elternschaft als machbar und vereinbar mit anderen Lebenszielen erleben können.“

Angenommen, eine Frau Anfang 40 kommt zu Ihnen und äußert den Wunsch auf ein Kind, bisher hatte sie aus beruflicher Sicht keine Zeit. Wie gehen Sie vor, was raten Sie ihr?

Wir machen keine Kinderwunschberatung. Wenn wir beraten, stellen wir grundsätzlich die vorhandenen Informationen zur Verfügung. Wünschen würden wir uns für die Frau, das Paar, dass sie bei der intensiven Auseinandersetzung mit den folgenden Fragen gut begleitet werden: Wofür steht der Kinderwunsch? Wovon hängt ein erfülltes Leben ab? Die Wahrscheinlichkeit, in diesem Alter durch In-vitro-Fertilisation ein gesundes Kind zu bekommen oder überhaupt erst schwanger zu werden, ist sehr begrenzt. Es ist aufwändig und man kommt sehr schnell in eine Spirale hinein, wenn es nicht klappt. Man muss wieder heraustreten und reflektieren. Dieser Prozess ist sehr belastend und die Paarebene geht häufig verloren. Es stellt sich die Frage, ob auch ein Abschied von diesem Wunsch möglich wäre. Man muss wissen, was die Behandlungen leisten und nicht leisten können, um Chancen realistisch einzuschätzen.

Das Alter, in dem Frauen einen Kinderwunsch verspüren, steigt an – ein Grund dafür sind Ausbildung und Karriere. Wäre es für eine gesellschaftliche Gleichstellung der Frau nicht förderlicher, Frauen selbst wählen zu lassen, wann sie bereit für ein Kind sind?

Gut gebildete Frauen wollen sich zuerst etwas aufbauen und dann ein Kind. Das passt mit der Fruchtbarkeitskurve nicht zusammen. Wir müssten viel mehr tun, damit junge Frauen und Männer Elternschaft als machbar und vereinbar mit anderen Lebenszielen erleben können. Es liegt an den irren Wohnungspreisen, an der Kinderbetreuung, der Aufteilung der Care-Arbeit in der Partnerschaft. Hier müsste sich einiges verschieben, zum Beispiel, dass es auch in jungen Jahren mit Kindern leicht geht – das würde es nämlich von der Kraft und der Energie her. Es braucht ein realistisch-positives Bild vom Leben mit Kindern, das der Realität dann auch standhält. Ich brauche kein Haus, um ein Baby großzuziehen. Ich brauche Menschen.

„Man kann nicht zu etwas schweigen, das gegen die Kinder- und Menschenrechte sowie die Frauengesundheit geht.“

Glauben Sie, als externer Verein Anrecht darauf zu haben, den persönlichen Kinderwunsch – egal, wann er eintritt – bewerten zu können und dürfen?

Es geht nicht um Bewertung, sondern um ein Ansprechen jener Aspekte und um ein Sichtbarmachen der Menschen, die bei dieser Diskussion unter den Tisch fallen. Denn vieles wird verharmlost und verschwiegen. Wir wollen für Menschen sprechen, die diese Möglichkeit nicht haben. Das halte ich für eine wichtige Aufgabe. Man kann nicht zu etwas schweigen, das gegen die Kinder- und Menschenrechte sowie die Frauengesundheit geht. Das ist auch ein Akt der Solidarität. Wer hilft zum Beispiel einer Frau, die nach Hormonstimulationen und Eizellpunktionen erkrankt und Komplikationen erleidet – oft erst Jahre später? 

Wieviel Selbstbestimmung liegt im Kinderwunsch und wo wird er politisch?

Ich werfe Österreich vor, dass der Staat den BürgerInnen viel an Prävention schuldig bleibt. Man müsste massiv umdenken, handeln, aufklären. Es wird immer Menschen geben, bei denen die Unfruchtbarkeit medizinische Gründe hat. Doch es müssten längst nicht so viele Menschen sein, die assistierte Reproduktion benötigen. 

In vielen Religionen wird das frühe Leben als schützenswert betrachtet. Ist diese Ansicht in einer emanzipierten Gesellschaft weiterhin zeitgemäß?

Wir sehen das differenziert. Es gibt kein Recht auf einen Abbruch, es gibt auch kein Recht auf ein Kind. Gleichzeitig ist dieses Thema mit dem Recht auf Gesundheit verbunden: Frauen sollen medizinisch sachgerecht und empathisch bei einem Abbruch behandelt werden. Die Entscheidungsfreiheit von Frauen ist uns wichtig.

Jede und jeder von uns hat sein Leben als befruchtete Eizelle begonnen. Jede von uns war und ist Embryo, Fötus, Säugling, Kind, Jugendlicher, Erwachsener. Das sind alles Bezeichnungen für Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen. Wir finden es sehr wichtig, das Leben eines Menschen in jeder Phase als schützenswert zu sehen.

Links zu den Interviews: