Die Wahrheit über Pocahontas und Thanksgiving

Die Wahrheit über Pocahontas und Thanksgiving
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  • Veröffentlicht: 21.10.2024
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Die Geschichten in unseren Köpfen haben oft wenig mit den wahren geschichtlichen Begebenheiten zu tun. Das zeigt sich eindrücklich an diesen Geschichten hinter der Geschichte.

Wenn wir an Pocahontas denken, haben wir das Bild der mutigen Disney-Prinzessin vor Augen, die mit Tieren spricht und durch ihr Liebesabenteuer mit einem englischen Siedler Frieden zwischen zwei Welten stiftet. Doch die wahre Geschichte von Pocahontas ist weit weniger romantisch und idyllisch: Sie war eine Frau, die zwischen zwei Kulturen gefangen war und deren Leben durch Entführung, sexuelle Gewalt, Zwangskonvertierung und politisches Kalkül geprägt wurde.

Pocahontas, geboren um 1595 als Matoaka, war Tochter des Häuptlings Powhatan. Obwohl er viele Kinder hatte, war Pocahontas, so ihr Kosename, als seine Lieblingstochter bekannt. Im Jahre 1607 fingen die Engländer*innen an, in den Lebensraum des Powhatan-Stammes einzudringen und eine eigene Siedlung, Jamestown, zu errichten. Laut Berichten des Mattaponi-Stammes soll die damals 15-Jährige zu dem Zeitpunkt bereits mit einem Mann aus ihrem Dorf verheiratet gewesen sein und mit ihm ein Kind gehabt haben.

1613 wurde Matoaka von Engländer*innen entführt, um ihren Vater zu erpressen. In der Gefangenschaft wurde sie von den Kolonialisten vergewaltigt, woraus ein zweites Kind entstand. Um aus ihrer misslichen Lage zu kommen, sah sie sich gezwungen, den Tabakpflanzer John Rolfe zu heiraten und als „Indianerprinzessin“ nach England zu reisen. Knapp vier Jahre später starb Pocahontas mit nur 20 Jahren. Die genaue Todesursache ist bis heute nicht ganz geklärt.

Ihre wahre Geschichte geriet in Vergessenheit – und wurde von der romantisierten Version von Disneys „Pocahontas“ überlagert. Der Film aus dem Jahr 1995 zeigte eine idealisierte Musicalversion der wahren Geschichte. Ein Mythos voll Harmonie und Romantik.

Die Geschichte hinter Thanksgiving

Eine ähnliche Verzerrung erlebte die Darstellung von Thanksgiving. Die Geschichte des liebsten Festes der US-Amerikaner*innen wird oft stark vereinfacht. Bei dieser Version des Erntedankfestes wird die Entdeckung der „Neuen Welt“ gefeiert, inklusive dem vermeintlich friedlichen Zusammenleben zwischen den Siedler*innen aus Europa und den amerikanischen Ureinwohner*innen.

Die Siedler*innen sind dabei die Held*innen der Geschichte. In Wirklichkeit waren sie aber Antagonist*innen: Tausende Jahre vor der Ankunft der Pilger*innen lebten die Wampanoag im heutigen Massachusetts und auf Rhode Island in insgesamt 69 verschiedenen Dörfern. Bereits vor ihrer Ankunft brachten verschiedene englische Kolonisator*innen europäische Krankheiten nach Amerika und entführten Ureinwohner*innen, um sie als Sklav*innen in Europa zu verkaufen.

Als die Siedler*innen im Gebiet von Patuxet ankamen, das sie in Plymouth umbenannten, fanden sie das Land nahezu leer vor, da die einheimische Bevölkerung durch Seuchen dezimiert worden war. Später trafen sie auf die Wampanoag, die die Epidemie überlebt hatten, darunter Tisquantum, den sie Squanto nannten. Squanto sprach Englisch, weil er Jahre zuvor von einem englischen Kolonialisten entführt und als Sklave nach Europa verkauft worden war.

Nach seiner Flucht und Rückkehr fand er seine Heimat verwüstet vor und schloss sich einem benachbarten Wampanoag-Dorf an. Obwohl die Siedler*innen nicht in guter Absicht gekommen waren, wurden sie von den Wampanoag versorgt, ohne die sie nicht überlebt hätten. Es gibt keine klaren Beweise dafür, warum die beiden Gruppen zusammenkamen. Laut „Encyclopaedia Britannica“ war das Ereignis chaotisch und von Alkohol, Schießereien und Jagd geprägt.

Aus der Geschichte lernen

Die wahre Geschichte von Pocahontas und die Realität hinter Thanksgiving sind also weit entfernt von den romantisierten Erzählungen, die uns präsent sind. Vielmehr sind es schmerzhafte Erinnerungen an die düstere Vergangenheit der Kolonialzeit, geprägt von Gewalt, Ausbeutung und kultureller Zerstörung.

Indem wir uns diesen unbequemen Wahrheiten stellen, ehren wir das Vermächtnis von Pocahontas und den Wampanoag und erinnern uns an die Opfer, die sie gebracht haben. Nur wenn wir diese komplexen und oft tragischen Geschichten nicht vergessen, können wir aus der Vergangenheit lernen und eine gerechtere Zukunft gestalten.