Tove Jansson: Die Mutter der Mumins

Tove Jansson: Die Mutter der Mumins
  • Teile mit:
  • Veröffentlicht: 22.06.2021
  • Drucken

Die von Tove Jansson geschaffenen Mumins haben bis heute einen fixen Platz in vielen Kinderherzen. Hinter den fantasievollen Geschichten und Illustrationen verbirgt sich eine Künstlerin, die sich weder im Leben, in der Kunst noch in der Liebe um Konventionen kümmerte.

Die kleine Tove Jansson kriecht unter den Schreibtisch, an dem ihre Mutter im Lichtkegel einer kleinen Lampe sitzt. Sie hat ein paar Blatt Papier und einen Bleistift stibitzt und breitet sie unter dem Zeichentisch ihrer Mutter aus. Und während diese mit langen, präzisen Strichen ein Plakat entwirft, beginnt auch Tove zu ihren Füßen ihr Lieblingsmotiv zu zeichnen. Zwei kleine, spitze Ohren, runde Knopfaugen, und ein großes, rundes Maul wie bei einem Nilpferd. Ein kleines, kugelrundes Wesen lächelt ihr entgegen. Tove Jansson lächelt zurück.

Kunst und Freiheitsdrang

Tove Jansson wird im Sommer 1914 in Helsinki geboren. Ihr Vater Viktor ist ein Bildhauer, ihre Mutter Signe eine begnadete Künstlerin. Weil es jedoch am Geld fehlt, arbeitet Toves Mutter als Grafikerin. Während sie Briefmarken und Plakate gestaltet, lernt auch die kleine Tove auf ihrem Schoß zu zeichnen. Wenn sie nicht gerade ihrer Mutter die Stifte stibitzt, steht sie ihrem Vater für seine Statuen Modell.

Gemeinsam mit ihren zwei jüngeren Brüdern wächst Tove Jansson frei auf. Die Sommermonate verbringt die ganze Familie stets auf einer Insel vor der finnischen Küste. Hier zeichnet sie zum ersten Mal eines der seltsamen Wesen, die später als Mumins legendär werden: Auf die Tür des hölzernen Plumpsklos, um ihren kleinen Bruder zu erschrecken.

Fernab ihrer geliebten Insel, in der Stadt, fühlt sich Tove dagegen nicht wohl. Regeln kann sie nicht leiden. Sie geht nie gern zur Schule und verbringt die Unterrichtsstunden damit, auf ihre Hefte zu kritzeln. Schon damals zeichnet sie erste Comics, die in Zeitschriften veröffentlicht werden. Mit sechzehn Jahren bricht sie die Schule ab und zieht nach Stockholm, wo sie eine Kunstschule besucht.

Dort verliebt sie sich in die Malerei und kehrt nach Helsinki zurück, um ihre neue Leidenschaft zu studieren. Nach einiger Zeit fühlt sie sich jedoch auch an der Kunsthochschule eingeengt und reist nach Italien und Frankreich, um durch die dortigen Museen zu streifen.

Nach ihrem Abschluss verdient sie ihr Geld jedoch nicht mit ihren verträumten Landschaftsmalereien, sondern mit Karikaturen. Die sind mal schelmisch, mal politisch – und richten sich deutlich gegen den Nationalsozialismus und den Stalinismus, die ihre Heimat damals im Klammergriff halten.

Ihre Brüder werden zum Militär eingezogen, viele ihrer jüdischen Freundinnen und Freunde müssen fliehen. Tove schreibt und zeichnet gegen den Krieg an. Doch schon in diesen dunklen Jahren taucht am Rande ihrer Zeichnungen das kleine Geschöpf auf, das sie als Kind entworfen hat, und verbreitet ein bisschen Humor: Der Mumin.

Verbotene Liebe

Neben ihren Karikaturen wird Tove Jansson auch oft für großflächige Wandgemälde engagiert. Auf einem von ihnen hält sie sich selbst fest: Das blonde Haar hochgesteckt, den Blick auf den Tisch vor ihr gesenkt. Hinter ihr tanzt ein Paar, eine Frau mit kurzem dunklen Haar in den Armen ihres Mannes. Die Tanzende ist keine Unbekannte, sondern die Theaterregisseurin Vivica Bandler, in die sich Tove Hals über Kopf verliebt hat.

Die beiden Frauen schreiben sich dutzende Liebesbriefe, doch sie müssen ihre Beziehung geheim halten: Vivica ist verheiratet – und Homosexualität in Finnland zu dieser Zeit illegal. Nachdem ihre Beziehung endet, bleiben die beiden Frauen lebenslang befreundet.

Durch ihre Liebe zu Vivica erkennt Tove, die immer wieder auch mit Männern zusammen ist, dass sie kein klassisches Familienmodell möchte. Sie sei als Ehefrau nicht geeignet, schreibt sie einmal, und möchte keine Kinder bekommen, nur um diese dann in einem Krieg zu verlieren. Doch während des Winterkriegs gestaltet Tove voll Sehnsucht nach einer heilen Welt ihr erstes Kinderbuch.

Es erzählt von den Mumins, ihren Fantasiegestalten, die zusammen in einem idyllischen, abgeschiedenen Tal leben. In zahllosen Abenteuern lernen die Mumins viel über Zusammenhalt, Freundschaft und Toleranz. Die liebevolle Mumin-Mama und der abenteuerlustige Mumin-Papa sind an Toves Eltern angelehnt, und auch Vivica taucht unter ihrem Spitznamen auf.

Das erste Mumin-Buch wird kaum beachtet, doch dann stellt sich der Erfolg ein – schneller und heftiger, als es Tove erwartet hat. Insgesamt neun Abenteuer schreibt und illustriert sie für ihre Mumins, die aus finnischen Kinderzimmern bald nicht mehr wegzudenken sind. Zudem zeichnet sie für eine britische Zeitung Mumin-Comics, die international bekannt und beliebt werden. Bald sind die liebenswerten rundlichen Wesen überall, von Teetassen bis zu Theaterproduktionen. Nebenher schreibt sie auch Literatur für Erwachsene und andere Kinderbücher, doch die Mumins bleiben ihr größter Erfolg.

In ihren späteren Büchern taucht dann eine neue Figur in der Welt der Mumins auf. Tooticki, ein weises, zupackendes Fantasiewesen in einem geringelten Pullover. Es ist die Mumin-Version von Toves großer Liebe, der Grafikerin Tuulikki Pietilä. Bei ihr ist Tove Jansson angekommen. Die beiden Frauen ziehen zusammen auf eine kleine Insel ohne Strom und Fließwasser vor der finnischen Küste. Hier leben sie so idyllisch und abgeschieden wie die Mumins in ihrem Tal. Auf Fotos aus dieser Zeit sieht man Tove braungebrannt und lachend mit einem Blumenkranz im weißblonden Haar.

Fast vierzig Jahre sind die beiden Frauen zusammen, bis Tove im Sommer 2001 verstirbt. Sie hinterlässt eine magische Fantasiewelt, in der sich Kinder bis zum heutigen Tag gerne verlieren.

Ricarda OpisRicarda Opis

wurde 1996 in Graz geboren und studierte ebendort Journalismus und Public Relations (PR). Sie erzählt am liebsten die Geschichten von Frauen und Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen. Für diese Serie verbindet sie ihre beiden größten Leidenschaften, indem sie die Geschichten großer Frauen nicht nur erzählt, sondern auch bebildert. Wenn sie nicht gerade schreibt oder zeichnet, begeistert sie sich für alles, was sonst noch kreativ ist, und die Geschichte, Kulturen und Politik des Nahen Ostens.