Autorin und Kolumnistin Monika Krautgartner darüber, wie man es nach dem Tod des Partners schafft, weiterzuleben, die Vergänglichkeit anzunehmen und das Leben neu zu spüren.
Doppelleben
Als Kind meiner Zeit und Aktivistin der damals erstarkenden europäischen Emanzipationsbewegung hinterfragte ich die Dinge des Lebens immer im feministischen Kontext und sah es keinesfalls als vorgezeichnet, nur im Rollmodel „liebende Ehefrau, Mutter, Versorgerin“ leben zu wollen. Bot sich die Gelegenheit, zeigte ich in Diskussionen gerne und provokant die Antithese zum klassischen Frauenbild auf. Als jedoch die Liebe über mich hereinbrach wie eine Naturgewalt, waren es genau diese Dinge, die ich haben und leben wollte. Natürlich als stolze, starke, selbstgestimmte Frau.
Wir waren jung, unendlich verliebt, und nichts schien uns unmöglich. Die Zukunft schien rosig, wir machten Stück um Stück unsere Träume wahr.
Von eigener Hand
Mit den Jahren gewann die Liebe an Tiefe und Stärke. Es sollte für immer sein. Doch dann kam der Tag, dreißig Jahre ist es her, der meine Welt einstürzen ließ, mir beinahe den Verstand raubte und mich ins Bodenlose zog. Hermann starb und ließ mich in einem Inferno aus Unfassbarkeit, Unbegreiflichkeit und unvorstellbarem, alles verzehrenden Schmerz zurück. Er starb, wie man damals noch sagte, von eigener Hand, genau durch jene, die mich tags zuvor noch gestreichelt hat und deren vitale Schönheit mir heute noch klar in Erinnerung ist.
Weiterleben – aber wie?
Viele meinten es damals gut mit mir, wollten mich trösten, doch es gibt nichts, was ein Herz erreichen kann in dieser Zeit der Trauer, der Qual und man wird einsamer als es beschreibbar wäre. Meinen Kindern und auch mir zuliebe rang ich in den ersten Monaten nach Hermanns Tod nach Fassung und einer Perspektive. Es war mir bewusst, dass vor allem die Kinder eine starke, fröhliche, warmherzige Mutter brauchten, denn auch sie litten unendlich. Kopf und Herz aber haben ihr eigenes Tempo, die Schere schien sich immer weiter zu öffnen. Wie konnte dieses Leben weitergehen? Und wie lange konnte ich diesen folternden Schmerz ertragen?
Ich versuchte wirklich alles und hielt mein Gesicht glatt, denn ich wollte keinesfalls die Frage „Wie geht es dir?“ provozieren, löste sie doch meist wieder Tränen ohne Ende aus.
Als der Verlustschmerz und die unbezähmbare Sehnsucht nach meinem Mann eines Tages wieder einmal besonders brennend quälte, schrie es zum tausendsten Mal in meinem Innersten: „Wie kann ich mit dieser Leidenschaft, dieser Ohnmacht, Liebe und Sehnsucht je wieder halbwegs normal weiterleben? Ich schaffe es nicht, alles hinter mir zu lassen, Hermann frei zu geben, ich schaffe es nicht. Und ich will es auch nicht!“
Die Seele frei werden lassen
Da tat sich plötzlich und unerwartet eine Erkenntnis auf, die meine Seele frei und leicht werden ließ. Erstmals zeigte sich ein Weg aus dem Dunkel heraus, und die gefühlte Antwort auf meinen Verzweiflungsmoment erfüllt mich heute noch mit Dankbarkeit, kann ich doch ihretwegen tatsächlich wieder glücklich sein!
„Du musst ja nicht aufhören, ihn zu lieben, ganz und gar nicht, na ja, und wer liebt, der hat halt Sehnsucht. Was macht es aus, wo Hermann ist? Dass du künftig den Alltag und dein Frausein ohne ihn erleben wirst, hast du längst akzeptiert und das schaffst du mit links. Seine Seele aber wird eingebettet in deine Liebe immer in deiner Erinnerung, in deinem Herzen und in deinem Kopf wahr und unantastbar Bestand haben. Das darf so sein, das ist ok. Du musst dir diese Liebe niemals aus dem Herzen reißen. Lass sie da sein. Vielleicht ist es morgen anders, vielleicht wird es so sein für immer.“
„Du musst dir diese Liebe niemals aus dem Herzen reißen. Lass sie da sein. Vielleicht ist es morgen anders, vielleicht wird es so sein für immer.“
Ich lernte, seinen Tod anzunehmen, ich rede an seinem Grab mit ihm, erzähle ihm sehr schöne Dinge, von den Enkelkindern, die wir inzwischen haben, ich schreibe manchmal kleine Gedichte unter der Trauerweide neben seinem Marmorgrabstein, ich erleichtere mein Herz von allen Sorgen, von denen ich weiß, er versteht sie. Wir führten eine „gemischte“ Ehe, er drüben, ich herüben, doch es lief gut auf diese Art und ich fand Frieden.
Wieder verliebt & voller Begehren
Dass ich mich eines Tages in einen unglaublich attraktiven, jungen, fröhlichen und ritterlichen Mann verliebte, erschütterte mich und ließ mein Selbstbild der „ewig treuen trauernden Frau“ zusammenkrachen. Was war denn ich für eine Witwe? Wieder verliebt und voller Begehren?
Erfreulicherweise kamen mir in dieser aufwühlenden neuen Lebensphase mein analytischer Verstand, mein Selbstbewusstsein, Gottvertrauen und Ehrlichkeit mir selbst gegenüber zu Hilfe. Ich liebte erneut, und zwar ganz unglaublich! Es war so schön!
Martin war in keinem Bereich ein Ersatz für Hermann und nichts, was ich für einen der beiden empfand, verwässerte das Gefühl für den anderen. Ich bin am Leben, teile mein Leben und meine Liebe im Heute und Jetzt mit Martin und es ist wundervoll!
Die Liebe im Dort und Damals gehört meinem anderen Ehemann.
Die Schnittfläche zwischen den Welten und so viel Liebe bin ich. Wer mag schon sagen dürfen, wie die Liebe aussehen muss? In meinem Fall führte sie gewisser Maßen in ein wohltuendes Doppelleben. Und für mich ist es kein Problem, zwei Ehemänner zu lieben. Ich nehme an, für den lieben Gott, zu dem wir alle eines Tages in seine alles einschließende Liebe heimkehren, auch nicht. Es ist in Ordnung. Für mich und meine Männer auch.
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