Buchempfehlung: „Svendborg 1937“

Buchempfehlung: „Svendborg 1937“
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  • Veröffentlicht: 08.08.2022
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Diese jüdische Familie flüchtet nach Svendborg, jedes Familienmitglied geht mit Verlust, Angst und Weiterleben anders um, Kultur und Literatur bleiben aber bestimmend.

Ein Hafenstädtchen als Tor zur Welt

Familie Dinkelspiel versteht es, Ferien zu machen, doch die Sommerferien 1932 unterscheiden sich heftig von jenen im Jahr 1937: Jetzt wird immer mehr von Hitler geredet, die Eltern Dinkelspiel sind besorgt, die Töchter verunsichert, der 3-jährige Bruder unvermindert fröhlich. Diese jüdische Familie flüchtet nach Svendborg, jedes Familienmitglied geht mit Verlust, Angst und Weiterleben anders um, Kultur und Literatur bleiben aber bestimmend.

Die Tante, die in Svendborg wohnt, ist fromm und das penetrant. Beten ist ihr Allheilmittel, auch gegen Bienenstiche. So zieht die fünfköpfige Familie in ein sehr karges Haus ein, in dem es für jede Handlung und Verrichtung eine Regel gibt: Zähneputzen soll laut dieser Tante ganz hervorragend mit Salz und Wasser funktionieren, wer das letzte Salz verbraucht hat, muss nachfüllen. Auch die Tante ist Jüdin:

„Aber Jüdin bin ich nicht mehr, sagt sie, ich habe mich protestantisch taufen lassen, noch in Köln damals, für meine Verheiratung mit dem seligen Knud, war seit zehn Jahren nicht mehr in Köln und jetzt, wo ihr den bösen Mann der Ungerechtigkeit an die Macht gelassen habt, werde ich auch nicht mehr hinreisen.“
Seite 15

Dieser Kleingeistigkeit steht die Weltoffenheit der Dinkelspiels gegenüber, Friedrich, der kleine Sohn ist besonders (Trisomie 21) und lässt manche Szenen eskalieren: Er ist der Auslöser mancher hitzigen Debatten, gleichzeitig ist ihm selbst die Tante niemals richtig böse. Ricarda übt wie besessen Cello, träumt von einer Karriere, will nicht wie der Rest der Familie Dänisch lernen. Ihre Schwester Meret überlegt, welcher Film hier gerade familiär und politisch abläuft, sie erkennt: Friedrich hat Glück, er ist nie im falschen Film, das Leben ist für ihn stets neu und erstaunlich gut. Dass Ricarda und Meret ausgerechnet Onkel Knuds Motorrad entdecken und flott machen, bringt Dynamik ins Geschehen: Die beiden lernen Bert Brecht und die Frauen kennen, die mit ihm in einer Hausgemeinschaft leben. So weitet sich der Horizont in diesem kleinen Hafenstädtchen, so erfreut sich sogar die bigotte Tante daran, dass das Motorrad zu neuem Leben erweckt wurde und zwei jungen Frauen neue Perspektiven eröffnete. Dass Ricarda zurück nach Deutschland zu ihrem Verlobten will, dass beide nach Palästina auswandern wollen, dass die Mutter ihr nachreist, lässt die Handlung auf den letzten Romanseiten eine enorme Geschwindigkeit aufnehmen. Der Epilog erläutert noch einmal das Schicksal der einzelnen Charaktere: Alle machen weiter, gründen Familien, Ricarda wird Cello-Lehrerin in Tel Aviv, Meret wird wie 90 Prozent der nach Dänemark geflüchteten JüdInnen in der Nacht vom 1. Oktober 1943 mit Ruderbooten nach Schweden gerettet, mit ihr sind der Vater und der Bruder. Sie wird Journalistin, der Vater bekommt eine Stelle in einer Kunstakademie in Malmö, Friedrich stirbt mit 35 Jahren an seiner Herzkrankheit, die Tante ist mit ihrem Salzschälchen nach Köln zurückgezogen.

Was Sie versäumen, wenn Sie diesen Roman nicht lesen:

Geschichte, Familiengeschichte, Glaubensgeschichte(n), die sinnliche Atmosphäre eines großbürgerlichen Haushaltes, Liebe zu Theater, Musik und Büchern, Nationalsozialismus und Widerstandsbewegungen, Sehnsucht nach Freiheit, Kleingeistigkeiten einer frommen Frau, Geruch von Freiheit und Wagemut

Tanja Jeschke

Die Autorin: Geboren in Pretoria, wächst dort und in Port Elizabeth am Indischen Ozean auf; ihre Schulzeit verbringt sie in Norddeutschland, hernach Studium und Reisen durch Südafrika und Namibia. Sie arbeitet heute als freie Autorin, Literaturkritikerin und Lektorin in Stuttgart und Rostock.

 

Tanja Jeschke
Svendborg 1937.
Roman.
Wien: Picus 2022.
ISBN 978-3-7117-2128-0

Christina RepolustChristina Repolust

Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at

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