Die Liebe zweier heranwachsender Mädchen in der Provinz
Das alte Volkslied „Es waren zwei Königskinder“ ist die tragende Melodie und Dramatik dieses Romans: Die 13-jährige Käthe verliebt sich in etwas ältere Johanna, sehnt sich nach deren Zuneigung und Anerkennung.
Die Strenge und Enge der Provinz und Johannas strenges Elternhaus verhindern, dass zwei, die sich lieben, zueinander kommen. Ja, das Wasser war und ist für viele besondere Beziehungen viel zu tief.
Die Liebe zweier heranwachsender Mädchen in der Provinz
Käthe ist dreizehn, sie mag sich nicht, sie findet sich weder schön noch begabt. Wäre die Mutter geblieben, wenn sie, Käthe, besser, schöner und vollkommener wäre?
Jetzt ist die Mutter weg, hat sie und ihren Vater verlassen: Um ein wenig schöner zu wirken oder auch zu werden, dreht sich Käthe ihre dünnen Haare mit den Lockenwicklern der Mutter ein, die diese zurückgelassen hatte. Vergeblich, außerdem riechen ihre Haare nach dem billigen Shampoo, das man in der Trafik im Dorfzentrum kaufen kann.
Inmitten dieser Tristesse tritt Johanna in Käthes Leben, füllt es mit Freude und hinterlässt bei jedem Abschied eine schmerzliche Leere. Als Ich-Erzählerin führt Käthe ihre Kindheitserinnerungen mit ihren Jugendträumen und Sehnsüchten in ein lockeres, feines Gespinst zusammen.
„Als ich Johanna das erste Mal begegnete, war das Erste, was mir auffiel, ihr schiefer Eckzahn. Es muss im Kirchenchor gewesen sein, an einem dieser regnerischen Tage. Meine Mutter war aus dem Dorf gezogen, und mein Vater die meiste Zeit über still.“
Das alte Volkslied „Es waren zwei Königskinder, die hatten einander so lieb. Sie konnten zusammen nicht kommen, das Wasser war viel zu tief. Das Wasser war viel zu tief“ zieht sich als Motto und Hintergrundmusik durch diesen Roman.
Hier die Liebe, dort die Sehnsucht, dazwischen das zu tiefe Wasser. Beide Mädchen, Käthe wie Johanna, sind begabte Sängerinnen: Während Johannas Familie wohlhabend und gut situiert ist, muss sich Käthe viele Freiheiten gegen den schweigenden, mürrischen Vater erstreiten.
Johannas Eltern wissen um das Fortgehen von Käthes Mutter und scheuen auch nicht davor zurück, das Mädchen damit zu konfrontieren: Sie ist verdächtig, nicht anständig, nicht religiös und eine Gefahr für die eigene Tochter zu sein.
Aus Freundschaft wird Liebe, Käthe kämpft mit ihren Verlustängsten, Johanna ergattert die Hauptrolle in jenem Musical, in dem Käthe eine nützliche Statistin ist.
„Da traf ich Moritz. Er war mir vor der dritten Probe aufgefallen. Ich spielte den Baum, er spielte den Stein. Ich war eigentlich nur auf ihn aufmerksam geworden wegen dieses Wortes, das lle so gern in den Mund nahmen und von dem ich nicht wusste, was genau es meinte: Ficken.“
Johanna verändert sich nach dem Unfall, hört Stimmen, spricht mit Gott, wird für Käthe immer unerreichbarer. Jetzt realisiert Käthe, wie begabt sie ist, lässt keine Probe mehr aus.
Eine zufällige Begegnung mit ihrer Mutter in einem Lokal in der Stadt schärft Käthes Sicht auf die Ereignisse noch einmal mehr: Sie war ihrer Mutter in der Einöde einfach zu viel gewesen. Die Mutter, eine „Studierte“, wurde von vielen verachtet, die Einsilbigkeit von Mann und Dorf nahm ihr Tag für Tag die Lebensfreude.
„Ich hatte von Anfang an keine Chance gehabt. Wenn es ein Märchen gäbe, über Johanna und mich, denke ich, dann würde ich es in zwei Sätzen erzählen können. Es waren einmal zwei Mädchen, die liebten einander. Und das Wasser zwischen ihnen war viel zu tief.“
Was Sie versäumen, wenn Sie diesen Roman nicht lesen
die Enge der dörflichen Kontrolle, Pubertät, Freundschaft, die stille Zerbrechlichkeit junger Mädchen in zu engen Kontexten, Sehnsucht, Begehren, Leidenschaft in der Provinz
Die Autorin Sophie Reyer
Die Lyrikerin wurde 1984 in Wien geboren, sie ist promovierte Philosophin und Komponistin klassischer Musik, sie erhielt bereits mehrfach Stipendien und Auszeichnungen.
Sophie Reyer:
Zwei Königskinder.
Roman.
Wien: Czernin Verlag 2020.
179 Seiten.
Christina Repolust
Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at
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