Aktuell haben Single-Frauen in Österreich kein Recht auf die Erfüllung des Kinderwunschs durch Reproduktionsmedizin. Mitinitiatorin der BürgerInnen-Initiative „Zukunft Kinder!“ und Betroffene Marlene Kastner über den Bedarf nach mehr Selbstbestimmung.
Frau Kastner, wofür steht Ihre Initiative, die Sie gemeinsam mit Frau Krobath ins Leben gerufen haben?
Unsere Initiative „Zukunft Kinder!“ steht für eine selbstbestimmte Familienplanung. Diese hat sich aus der Petition zum Social Freezing (Anm. d. Redaktion: Einfrieren der Eizellen ohne medizinischen Grund) ergeben, die ich vergangenen Februar gestartet habe. Im Vergleich zum Rest Europas gibt es in Österreich unverhältnismäßige Einschnitte in die selbstbestimmte Familienplanung durch das Fortpflanzungsmedizingesetz.
Aufgrund dieser ursprünglichen Petition haben sich einige Frauen gemeldet, die mir noch weitere Bereiche dieses Gesetzes zugetragen haben, weshalb wir uns für die BürgerInnen-Initiative entschlossen haben. Wir haben viel recherchiert und dadurch gesehen, wie unterschiedlich die Gesetzeslagen vor allem in der EU sind – Österreich hinkt nach. Die Protokolle der letzten Novellierung im Jahr 2015 haben gezeigt, dass es einen großen Anstoß braucht, den wir liefern wollen.
Stichwort Familienplanung: Wie bewerten Sie die Aufklärungsarbeit, die diesbezüglich in Österreich betrieben wird?
Wir fordern mehr Vorsorge beim Thema Fruchtbarkeit und wollen, dass diese auch verstärkt in die Bildung und Aufklärungsarbeit mitgenommen wird. Nur wenige Menschen wissen vom AMH-Wert, durch den man die Eizellenreserve bestimmen kann. Bereits im Mutterleib erhält man als Frau eine Eizellenreserve, die sich im Laufe des Lebens in einem nicht vorhersehbaren Ausmaß abbaut. Dass man das über einen ganz einfachen Bluttest bestimmen kann, weiß die Öffentlichkeit nicht.
Wie sehen Sie den aktuellen Stand der Reproduktionsmedizin in Österreich?
Das ist ein heiß diskutiertes Thema. Wir sind gesetzlich sehr eingeschränkt. In Deutschland sind beispielsweise Social Freezing oder IVF-Behandlungen von alleinstehenden Frauen bereits möglich. In das Nachbarland wäre an sich kein weiter Weg, aber natürlich möchte man die Behandlung in Österreich machen. Wir haben ein sehr gutes Gesundheitssystem, dem man vertraut, und für Social Freezing oder die In-vitro-Methode benötigt man auch viel Vertrauen.
„Es ist kein Geheimnis, dass die meisten österreichischen Frauen beispielsweise für Social Freezing nach München oder Tschechien gehen, was zeigt, dass ein gewisser Bedarf vorhanden ist.“
Welche Änderungen fordern Sie konkret?
Es geht vor allem um die Themen Social Freezing und Kinderwunsch für alle Frauen – auch für alleinstehende. In Deutschland ist die Erfüllung des Kinderwunschs für Frauen ohne PartnerIn möglich. Dort braucht man eine finanziell bürgende Person, falls die Mutter ausfällt. Zusätzlich muss man auch einen psychologischen Test absolvieren. Besser getestet kann man als Elternteil gar nicht sein. Wir wollen diese Möglichkeiten nicht nur diskutieren, sondern auch Lösungswege zur Diskussion anbieten. Wir haben mit vielen ExpertInnen gesprochen, die das Leid der Menschen sehen, die sich ein Kind wünschen, aber keine Möglichkeiten haben.
Außerdem setzen wir uns für eine In-vitro-Fonds-Finanzierung bis zum Alter von 42 Jahren ein, bisher gibt es diese nur bis 40. Das spiegelt die aktuellen Entwicklungen wider: Wir steuern gerade auf ein durchschnittliches Gebäralter von 32 Jahren hin.
Weitere Punkte sind die Anerkennung von Unfruchtbarkeit als Krankheit und die Embryonenspende, die etwas umstritten ist. Doch es ist eine höchst persönliche Entscheidung, was ich mit den eigenen Embryonen, die bei einer künstlichen Befruchtung übrigbleiben und überlebensfähig sind, mache. Derzeit sind über 100.000 Embryonen in Österreich nach IVF-Behandlungen als Reserve eingefroren. Hier wird bereits bestehendes Leben vernichtet, anstatt gespendet werden zu dürfen.
Woran, glauben Sie, scheitert die Legalisierung von Social Freezing in Österreich?
Wir sind sehr fortschrittlich, aber in diesen Belangen fürchten wir uns, vorne mit dabei zu sein. In gewissen Aspekten ist Österreich sehr konservativ. Jede Person ist zum Umdenken eingeladen. Man darf und kann seine Meinung überdenken und sagen: Das widerstrebt mir, aber ich schaue mir dieses Thema trotzdem an und setze mich mit Fakten und Zahlen auseinander. Es ist kein Geheimnis, dass die meisten österreichischen Frauen beispielsweise für Social Freezing nach München oder Tschechien gehen, was zeigt, dass ein gewisser Bedarf vorhanden ist.
Finden Sie es moralisch und ethisch vertretbar, durch einen Ausbau der Reproduktionsmedizin noch tiefer in den menschlichen Organismus und die Natur einzugreifen?
Das ist ein schwieriges Thema. Man könnte natürlich generell hinterfragen, ob man gewisse medizinische Wege gehen darf – auch da greift man in die Natur ein. Es geht nicht in eine Tiefe wie etwa Genmanipulation, sondern um den Kinderwunsch. Frauen haben eine tickende Uhr. Darauf greift man natürlich zu einem gewissen Grad ein, aber in einem vertretbaren Bereich, da dies reguliert werden kann und nur sehr bedachte Eltern oder Frauen so einen schwierigen Weg gehen. Das macht man nicht leichtfertig oder weil es so lustig ist.
„Wenn man finanziell und mental so viel auf sich nimmt, kann ich mir vorstellen, dass diese Kinder sehr gewünscht sind.“
Soll jede Person Anrecht auf ein Kind haben, oder denken Sie, dass es auch hier Grenzen benötigt?
Am wichtigsten ist es, dass ein Kind, das auf die Welt kommt, geliebt wird. Wenn man finanziell und mental so viel auf sich nimmt, kann ich mir vorstellen, dass diese Kinder sehr gewünscht sind. Österreich ist ein fortschrittliches Land. Wir wollen, dass gut gebildete Frauen im Berufsleben stehen, und naturgemäß verschiebt sich der Kinderwunsch dann zeitlich nach hinten. Das muss man mitberechnen.
Wie begegnen Sie Menschen, die die moderne Reproduktionsmedizin kritisch betrachten?
Diese Entscheidungen sind höchst persönlich, deshalb soll alles gelten. Wir wollen die Themen diskutierbar machen und damit aus der Tabuzone holen. Jede Person soll für sich entscheiden können. Man soll sachlich und fachlich diskutieren können, weil der Bedarf da ist. Von vornherein zu sagen, dass dieser Bedarf nicht existiert, ist ungefähr wie bei der Erfindung des Autos. Auch damals hat es geheißen, dass es sich nicht durchsetzen wird.
„Unsere Initiative ist für alle wichtig, weil jeder FreundInnen, Schwestern oder Brüder hat, die eines dieser Themen betrifft.“
Sollten Sie mit Ihrer Initiative Erfolg haben: Woher kommt das Geld, um diese Reproduktionsmöglichkeiten zu finanzieren?
Wir haben nicht gesagt, dass beispielsweise die Bestimmung des AMH-Werts kostenlos sein soll. Das kostet um die 70 Euro, In-vitro-Kosten sind natürlich noch viel höher. Es soll die Möglichkeit an sich geöffnet werden, die Finanzierung wäre erst der zweite Schritt. Unser Hauptthema ist die grundlegende Arbeit. Das Bewusstsein zu schaffen, was möglich ist und was nicht. Viele Infos erhält man erst in der Kinderwunschklinik. Wenn man dort erstmal sitzt, hat man die Prävention bereits verpasst. Wir müssen das Wissen über Frauengesundheit stärken.
Aber nicht alle Frauen haben einen Kinderwunsch.
Es ist total legitim, sich selbst zu überlegen, wie man das eigene Leben gestalten möchte. Trotzdem ist unsere Initiative für alle wichtig, weil jeder FreundInnen, Schwestern oder Brüder hat, die eines dieser Themen betrifft. Man sieht das Leid im eigenen Umkreis und kann seinen Teil beitragen, um die gesetzliche Lage zu ändern. Der Kinderwunsch kann natürlich auch später auftreten. Man kann sich die Eizellen auch präventiv einfrieren lassen, falls man sich nicht sicher ist, ob man sich in ein paar Jahren nicht doch ein Kind wünscht.
Wie sehen Sie Ihre Forderungen aus einer religiösen Perspektive, in der das menschliche Leben von der Empfängnis weg als besonders schützenswert gilt?
Gesetzlich ist ein Embryo in Österreich noch kein Lebewesen, der Antrag dazu wurde 2019 abgelehnt. Die Kirche sollte unterstützend sein, vor allem für Personen in belastenden Ausnahmesituationen. Gerade die Seelsorge ist zu dieser Zeit sehr wichtig.
Sie sind selbst Betroffene. Warum setzen Sie sich für „Zukunft Kinder!“ ein?
Ich stehe im Berufsleben und habe sehr viele Hobbies. Ich wollte einfach wissen, wie viel Zeit ich noch habe und wie es meiner Eizellenreserve geht. Der AMH-Wert war überraschend schlecht für meinen Arzt und mich. Man fühlt sich alleine und hilflos. Das wünsche ich meiner Patentochter, die gerade fünf ist und für die das noch in weiter Ferne liegt, nicht. Ich habe mir also gedacht: Was mache ich jetzt daraus? Ich brauche nicht zu sinnieren, warum das so ist. Ich bin publik damit gegangen, weil es mir wichtig war, Bewusstsein zu schaffen.
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