Sind Nikolaus und Krampus noch zeitgemäß?

Sind Nikolaus und Krampus noch zeitgemäß?
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  • Veröffentlicht: 06.12.2023
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Erziehungsmittel, Brauchtum, Feiertag: was hinter dieser Tradition steckt und warum Rituale für Familien so wichtig sind.

Welche persönlichen Erinnerungen verbinden Sie mit dem Nikolaus beziehungsweise mit dem Krampus?

Sabine Trentini: Ich habe sehr warme Erinnerungen an das Nikolausfest in meiner Familie. Wir sind am Abend zusammengekommen mit gebratenen Kastanien, Glühwein oder Tee, und irgendwann kam der Nikolaus. Er hatte auch immer Engel dabei. Der Krampus musste vor der Tür warten, er durfte bei uns nicht ins Haus.

Der Krampus kam nicht herein?

Trentini: Nein, aber ich kenne Geschichten von meinen Eltern und Schwiegereltern: Da kam es schon mal vor, dass man als Kind vom Krampus in einen großen Korb gesteckt und in den Wald geschleppt wurde. Diese Angst und Überforderung, die sie damals als Kinder erlebt haben, steckt heute noch in ihren Gliedern. 

Verena Wagner: Mein Vater hat eine ähnlich schreckliche Erinnerung. Der Krampus steckte ihn einmal in einen Kartoffelsack und versohlte ihm den Hintern. In meiner Kindheit kamen zu uns weder Nikolaus noch Krampus. Ich wuchs in Bayern auf, am 5. Dezember polterte es an der Tür und als wir aufmachten, fanden wir einen Sack mit Nüssen und Süßigkeiten.

Foto: Sabine Trentini
„Wenn ich meinem Kind etwas sagen möchte, ist es wichtig, dass ich es als Elternteil direkt und persönlich mache und keine Figur zum Loben beziehungsweise Tadeln verwende.“
Sabine Trentini

Der Krampus wurde früher – so wie Sie es von Ihren Eltern erzählen – als Erziehungsmittel eingesetzt, um die „schlimmen Kinder“ zurechtzuweisen. Heute ist das zum Glück nicht mehr so. Frau Trentini, warum ist der Krampus kein gutes Erziehungsmittel?

Trentini: Weder der Nikolaus noch der Krampus sind gute Erziehungsmittel. Bei uns zuhause hatte der Nikolaus immer das goldene Buch mit und las daraus vor. Er sagte, was gut läuft, aber auch, woran ich noch arbeiten könnte. Als Kind war mir das sehr unangenehm, obwohl es vor allem schöne Dinge waren, die der Nikolaus ansprach. 

Wagner: Ich kenne Familien, die den Nikolaus oder den Krampus auch unterm Jahr als Druckmittel benutzen: „Wenn ihr nicht brav seid, bringt der Nikolaus nichts.“ Aber das ist eine total veraltete Erziehungsmethode, die ich ablehne. 

Trentini: Wenn ich meinem Kind etwas sagen möchte, ist es wichtig, dass ich es als Elternteil direkt und persönlich mache und keine Figur zum Loben beziehungsweise Tadeln verwende. Ich stehe sehr kritisch zu Strafen und auch zu Lob. Wertschätzung lässt sich auch anders zeigen, zum Beispiel indem man sagt: „Es hat mich voll gefreut, dass du mir das Bild geschenkt hast.“ Oder: „Hey, dein Bild hat mein Herz warm gemacht.“

Wie kann man Kindern die Geschichte des Heiligen Nikolaus vermitteln?

Trentini: Wir haben das – als meine Kinder noch klein waren – immer sehr gerne mit Bilderbüchern gemacht. Für mich stand vor allem die Großzügigkeit des Heiligen Nikolaus, Bischof von Myra, im Mittelpunkt und dass die großen und kleinen Kinder beschenkt werden. Mein Vater verkleidete sich oft als Nikolaus – die Kinder halfen ihm dabei. Dann ging er in den Garten hinaus und kam über die Terrassentür wieder herein. Er hatte ein Leiterwagerl mit Nikolaussackerln dabei. Wenn er bei der Tür hereinkam, war das ein magischer Moment. Die Kinder vergaßen ganz darauf, dass das eigentlich der Opa ist. 

Was sollte man beachten, wenn man einen Nikolaus engagiert?

Trentini: Es ist wichtig, im Vorfeld zu besprechen, wie man’s gerne haben möchte. Der Nikolaus muss nicht aus dem goldenen Buch vorlesen. Er kann auch einfach seine Geschichte erzählen, dann singt man gemeinsam ein Lied, und anschließend teilt der Nikolaus die Geschenke aus, die er für die Kinder dabei hat. 

Apropos Geschenke: Verwandte und Bekannte meinen es oft gut, aber am Ende bekommt das Kind fünf Nikolaussackerl und ist damit überfordert. Wie spricht man das an?

Trentini: Nicht jede Oma oder Tante muss ein Säckchen vorbereiten, man kann auch gemeinsam etwas herschenken. Ich finde es wichtig, dass das Nikolausfest nicht zum Weihnachtsfest wird, sondern einfach eine Kleinigkeit geschenkt wird.

Oft wird zum Nikolaustag auch Spielzeug verschenkt. 

Wagner: Bei uns kommen Kleinigkeiten wie Mandarinen und Walnüsse ins Nikolaussackerl. Auch ein Buch ist immer dabei. 

Trentini: Wenn man unbedingt etwas schenken möchte, können das auch warme Socken sein oder Handschuhe – alles, was man für die kalte Jahreszeit braucht. 

Wie könnte man den Nikolaustag noch gestalten, wenn Familien neue Rituale entwickeln möchten?

Wagner: Wir haben auch eigene Rituale entwickelt. Die Kinder putzten ihre Schuhe und stellten sie vor die Tür, dazu gab’s einen Teller mit Keksen für den Nikolaus und Heu für das Rentier. Das hatten die Kinder in einem Buch gesehen, daher kam der Nikolaus in ihrer Vorstellung immer mit dem Rentier. Am nächsten Tag in der Früh schauten sie gleich vor die Tür hinaus, ob die Kekse aufgegessen waren, und natürlich um die Schuhe mit den Süßigkeiten hereinzuholen.

Trentini: Wir haben gerne Lebkuchen gebacken, die wir als Nikolaus oder Krampus verziert haben. Meine Schwiegermutter macht das immer noch, und meine Kinder sind gerne mit dabei, obwohl sie längst Teenager sind. Gerade in der dunklen Jahreszeit bietet es sich an, mit Hell und Dunkel Rituale zu gestalten: der Nikolaus, der das Licht und das Leben symbolisiert, und der Krampus, der das Dunkle und das Böse darstellt. Der Nikolaus symbolisiert auch die Fülle, daher zum Beispiel der Teller mit Lebkuchen als Wegnahrung durch die dunkle Jahreszeit. Der Krampus symbolisiert hingegen das Vertrocknete, das Tote. Man kann auf diese Kräfte aufmerksam machen und sich immer wieder bewusst dem Leben zuwenden – dem, was uns nährt und stärkt. 

Foto: Verena Wagner
„Rituale können Halt geben und Sicherheit vermitteln – sowohl für kleine Kinder als auch für Jugendliche. “
Verena Wagner

Warum ist es wichtig, innerhalb der Familie Rituale zu pflegen und Feste zu feiern?

Wagner: Rituale können Halt geben und Sicherheit vermitteln – sowohl für kleine Kinder als auch für Jugendliche. Die Feste der Kindheit kommen jedes Jahr wieder und man kann sich darauf verlassen, dass das Sicherheit und Stabilität gibt. 

Trentini: Das sehe ich auch so. Rituale sind wie kleine Anker im Jahreskreis, wo man sich immer wieder verorten kann. Sie sind auch Verbindungsmomente: Da steht die Familie im Vordergrund. Kleine Feste sind heilige Zeiten, sie schaffen einen heiligen Raum, etwas Besonderes, das sich vom Alltag abhebt. Unsere Seele und unser Herz braucht das. 

Der Heilige Nikolaus

Der Heilige Nikolaus von Myra ist einer der am meisten verehrten Heiligen. Sein Gedenktag am sechsten Dezember wird im gesamten Christentum begangen und ist mit vielen Bräuchen verbunden.

Rund um den Heiligen Nikolaus haben sich viele Legenden gebildet. Gesichert ist nur, dass er in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts als Bischof von Myra wirkte.

Einer Legende nach soll der Heilige Nikolaus etwa für eine wundersame Kornvermehrung verantwortlich gewesen sein. Als über die Stadt Myra eine große Dürre kam, litten die Menschen unter Hunger. Ein Schiff, vollbeladen mit Getreide, ankerte in Myra, doch die Seeleute durften nichts davon abgeben. Sie fürchteten die Strafen des Kaisers, der auf jedes Gramm bestand. 

Nikolaus überredete die Besatzung, den Menschen von Myra ein wenig Getreide abzugeben, und versprach gleichzeitig, dass bei der Ankunft beim Kaiser nichts fehlen würde. Tatsächlich bekam die Bevölkerung von Myra ein wenig Korn, lebte davon zwei Jahre lang und konnte davon auch noch Getreide aussäen. Die Besatzung des Schiffes konnte trotzdem das vollständige Ladegut beim Kaiser abliefern.

Sabine Trentini, Ritualleiterin, Pädagogin, Family Counselor nach Jesper Juul, Mutter von drei Söhnen (sabine-trentini.at).

Verena Wagner, Journalistin, Autorin („Familienbande im Jahreskreis“, Lebensgut-Verlag, 25,50 Euro) und Bloggerin (mamirocks.com), Mutter von drei Kindern.

 

Buchtipps von Sabine Trentini: 

Look Koopmans: Ein Märchen im Schnee, Freies Geistesleben.

Eleonore Schmid: Wach auf, Siebenschläfer, Sankt Nikolaus ist da, NordSued VerlagAG.