Wie lässt sich Schmerz integrieren?

Wie lässt sich Schmerz integrieren?
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  • Veröffentlicht: 16.11.2021
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In Japan wird zerbrochene Keramik nicht entsorgt, vielmehr werden die Bruchstellen mit der Kunst des „Kintsugi“ repariert und vergoldet. „Auch wir können die Scherben unseres Lebens aufsammeln und zu neuen Formen zusammensetzen“, sagt die Psychologin Veronika Zeiner.

Goldenes Leben

Übung 1

Die japanische Reparaturkunst „Kintsugi“ hebt Brüche und Wunden hervor, statt sie zu verstecken. Die goldenen Linien zeugen von Schicksalsschlägen, aber auch von deren Überwindung. Zeichnen Sie auf ein Blatt Papier ein Koordinatensystem mit einer x- und einer y-Achse. Überlegen Sie dann, in welchem Alter relevante Ereignisse geschehen sind und welche Personen dabei eine Rolle gespielt haben.

Bewerten Sie anschließend, wie einschneidend Sie diese Ereignisse auf einer Skala
von eins bis zehn erlebt haben, und tragen Sie sie chronologisch auf der y-Achse im Koordinatensystem ein. Wann gab es ruhige Zeiten, wann traten Krisen auf? Spüren Sie nach, wie sich Schmerz und Schwächen im Lauf des Lebens in Stärken und Ressourcen verwandelt haben, wie einzigartig Ihr Weg ist. Nehmen Sie dann einen Goldstift zur Hand und lassen Sie Liebe, Freude, Frieden und Versöhnung durch
Ihr Werkzeug fließen.

Vergolden Sie Ihre Lebenslinie von der Geburt bis heute mit viel Sorgfalt und Achtsamkeit. Nehmen Sie dabei wahr, wie Sie Brüche überwunden haben. Ziehen Sie am Ende die Linie in Gedanken stetig aufsteigend weiter und stellen Sie sich die positive Energie der kommenden Jahre vor.

Körperbotschaften

Übung 2

Schmerz zu leugnen ist keine Lösung, denn Schmerz trägt eine Botschaft. Wenden wir uns ihm zu, können wir herausfinden, wo genau er steckt, und uns von ihm befreien.

Machen Sie sich dafür zuerst bewusst, dass das Erlebte keine Last ist, sondern den Ausgangspunkt für einen Neuanfang darstellt. Und dann atmen Sie tief durch und entspannen Sie sich. Konzentrieren Sie sich auf Ihren Körper und lokalisieren Sie den Schmerz. Haben Sie ihn aufgespürt? Dann lassen Sie ihn zu und somit frei.

Spüren Sie, was Ihnen der Schmerz sagen will. Für welches Gefühl steht er? Beobachten Sie ihn ruhig, ohne Bewertung. Seien sie ihm dankbar, dass er seine Aufgabe erfüllt und Sie auf Probleme hinweist. Und dann beginnen Sie, ihn durch tiefes Ausatmen zu lösen. Können Sie fühlen, wie leicht er nun von dannen zieht?

Töpferscheibe

Übung 3

Stellen Sie sich vor, dass Sie einen Tonklumpen auf eine Töpferscheibe legen. Der Klumpen steht für Ihren Schmerz, an dem Sie arbeiten möchten. Zentrieren Sie nun Ihre Aufmerksamkeit. Gießen Sie reinigendes, heilendes Wasser über den Klumpen. Berühren Sie ihn mit Ihren Händen, spüren Sie die Lebendigkeit des Materials. Drücken Sie dann ein Loch in die Mitte – es symbolisiert Ihren Willen, zum Kern des Problems vorzustoßen.

Aktivieren Sie in Ihrer Fantasie die Töpferscheibe und modellieren Sie aus dem Ton ein Gefäß. Fühlen Sie, wie die Unebenheiten verschwinden? Wenn es noch Stellen gibt, die sich verspannt und verkrampft anfühlen, glätten Sie sie so lange, bis sich Harmonie einstellt. Lassen Sie Ihr Gefäß nun an einem Ort, den Sie mit Wohlbefinden assoziieren, trocknen. Taucht Ihr Schmerz erneut auf, denken Sie an Ihre Kreation und die positiven Sinneseindrücke, die Sie damit verknüpfen. Sie können Ihr Gefäß auch bunt bemalen, um Ihre Heilung, Ihren Neuanfang zu feiern.

Veronika ZeinerVeronika Zeiner ist Klinische Psychologin und Systemische Familientherapeutin. Neben ihrer Tätigkeit im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie (AKH Wien, Boje Wien, Ambulatorium SOS Kinderdorf) begleitet sie Familien und Einzelpersonen nach Schicksalsschlägen und unterstützt sie dabei, Zerbrochenes sinnvoll ins Leben zu integrieren und Neuanfänge zu wagen. „Tragische Ereignisse sind schlimm, sollten aber nicht unser weiteres Leben bestimmen. Ich helfe Betroffenen, einen Weg aus der Krise zu finden, um wieder ein Leben in Selbstverantwortung und Glück
realisieren zu können“.

Foto: beigestellt.