„Poesie kann die Welt retten“

„Poesie kann die Welt retten“
Foto: Rafal Komorowski / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.pl
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  • Veröffentlicht: 02.05.2023
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Künstlerisch vielseitig, mutig und solidarisch: Die preisgekrönte Dichterin Ana Blandiana hat sich der Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit Rumäniens verschrieben. Aber auch heute sieht sie ihre Heimat mit Besorgnis – und setzt ihre Worte der Hoffnung dagegen.

Liebevoll angeordnete größere und kleinere bepflanzte Blumentöpfe säumen den Innenhof des Hauses von Ana Blandiana in Bukarest. Die Tür steht offen. Vor dicht besetzten Bücherregalen stehen auf den Tischen in ihrem Wohnzimmer mehrere Vasen mit Blumensträußen. Einige Tage zuvor hat die Schriftstellerin ihren 81. Geburtstag gefeiert. Festlich ist auch der Tisch in der traditionell dekorierten Küche gedeckt. Ana Blandiana trägt eine Jacke mit rot-schwarzem Blumenmuster und farblich passende, elegante, rote Ohrringe. In der lebhaften Melodie ihrer Stimme scheinen der Rhythmus und die Klangfarbe ihrer Gedichte mitzuschwingen. Woher sie ihre Worte nimmt? Sie lächelt wissend. Sie kenne etwas in sich, das sogar die Inspiration übertreffe. Vielleicht kämen diese Worte von „etwas ober ihr“ oder von einer „inneren Stimme in ihr“.

Ana Blandiana hat 22 Gedichtbände, neun Essaybände und vier Prosawerke veröffentlicht, die in mehr als 20 Sprachen übersetzt wurden. Ihr Werk kreist kritisch um die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit ihrer Heimat Rumänien („In einer spanischen Herberge“), sie beleuchtet Ceaușescus Diktatur auf anschauliche Weise („Die Applausmaschine“) und verzaubert durch Poesie („Die Turmuhr ohne Stundenblatt“). Denn Poesie, so Blandianas Überzeugung, „kann die Welt retten“.

Geboren 1942 als Otilia Valeria Coman in der westrumänischen Stadt Timişoara als Tochter eines orthodoxen Priesters und einer Buchhalterin, verbrachte sie ihre Kindheit laut eigenen Angaben am liebsten lesend. Ihren Künstlerinnennamen gab sie sich selbst mit Bezug auf „Blandiana“, den Geburtsort ihrer Mutter. Bereits als Gymnasiastin veröffentlichte sie erste Gedichte unter diesem Pseudonym und erfuhr bald Repressionen des kommunistischen Regimes. Da ihr Vater kurz zuvor wegen eines angeblichen Komplotts gegen den Staat verhaftet worden war, galt sie als „Tochter eines Volksfeindes“, was sie an weiteren Veröffentlichungen hinderte. Aufgrund ihrer regimekritischen Haltung wurde sie auch lange Zeit nicht an der philologischen Fakultät der Universität Babeş-Bolyai in Cluj aufgenommen. Schon damals war ihr Romulus Rusan, ihr späterer Ehemann, Ingenieur und auch zeitlebens Literat, eine besondere Stütze. „Mehr als ein halbes Jahrhundert waren wir bis zu seinem Tod 2016 verheiratet“, sagt sie.

Ein Polizist salutiert

Doch die widrigen Umstände konnten Ana Blandiana nicht vom Schreiben abhalten. Wurde und wird regimekritische Literatur in kommunistischen Regimen verboten, findet sie anderweitig Verbreitung, wie beispielsweise im „Samisdat“, der Weitergabe solcher Werke im „Selbstverlag“ – häufig eigenhändig abgeschrieben und nur heimlich und möglichst vorsichtig an vertrauenswürdige Menschen weitergegeben. Auch Ana Blandianas Gedichte fanden so Verbreitung, und sie erinnert sich, dass ein Polizist ihr einmal salutierte, als er bei einer Passkontrolle ihren Namen las. Dabei deutete er auf seine Brusttasche, in der er ihre Gedichte bei sich trug.

Später folgten weitere auch offiziell zugelassene Veröffentlichungen von Gedichten und Romanen, sie erhielt zahlreiche renommierte Literaturpreise. Es dauerte nicht lange und Ana Blandiana wurde auch über die Grenzen ihrer Heimat bekannt. Bis heute erfährt sie ungebrochen große Anerkennung im In- und Ausland. Die Universität Wien zeichnete sie 1982 mit dem renommierten Herder-Preis aus, Frankreich mit dem Titel „Ritter der französischen Ehrenlegion“.

Mit sorgenvollem Blick

 „Die Welt wäre eine andere, wäre sie von Dichterinnen und Dichtern geschaffen“, hat Ana Blandiana einmal gesagt und fügt auf Nachfrage hinzu: „Natürlich gibt es auch unter DichterInnen bessere und schlechtere Menschen. Sie haben das Recht, zu denken und gehört zu werden, und gleichzeitig die Aufgabe, glaubhaft zu sein.“ Besorgt blickt sie auf das Zeitgeschehen. Der Kontinent Europa verliere global an Bedeutung und Rumänien sei heute, mehr als 30 Jahre nach der Wende, immer noch mit der Aufarbeitung seiner kommunistischen Vergangenheit beschäftigt. Bei den jungen Menschen habe sich ein Trend zum Neomarxismus und zu einer Art „Pariser Nihilismus“ entwickelt. „Ich bitte um Gnade für die Jugend, denn sie hat keine Vorbilder mehr, beispielsweise in Kunst oder Philosophie.“

Ebenso beunruhigt die Schriftstellerin das schwindende Interesse der Bevölkerung an der Politik des Landes. Rumänien sollte ein „echter Rechtsstaat“ sein, doch es herrsche Korruption, diese „Bestechung der Seele“. Enttäuscht ist Ana Blandiana auch von der Bildungspolitik des amtierenden Bundespräsidenten Klaus Iohannis und vom Widerstand Österreichs, Rumänien in den Schengenraum aufzunehmen. Immerhin ist ihre Heimat seit 2007 ein Mitgliedsstaat der Europäischen Union.

Gelebte Solidarität

Freiheit von Kommunismus und Nicolae Ceaușescus menschenverachtender Diktatur hat in Rumänien einen besonderen Stellenwert. Für Ana Blandiana gibt es aber noch eine Steigerung dieser Freiheit, nämlich gelebte Solidarität. Untätig zusehen kann sie nicht. Sie war 1990 Mitbegründerin und bis 2002 Präsidentin der „Bürgerlichen Allianz“, einer zivilrechtlichen Organisation, die die Auswirkungen der jüngeren Vergangenheit Rumäniens auf die Gesellschaft thematisiert. Es gehe darum, „die Welt positiv zu beeinflussen.“ Die Dichterin, die überzeugt ist, dass Poesie die Welt retten kann, wollte praktisch eingreifen, jedoch nicht als Politikerin. Ihre Worte seien keine Waffen, sagt sie. Gott habe sie als Dichterin gewollt.

„Die Zerstörung des historischen Gedächtnisses ist der schlimmste Gräuel des Kommunismus.“

Stundenlang könnte man ihr zuhören, wenn sie von der Aufarbeitung der Verbrechen des Kommunismus in Rumänien erzählt. Aufarbeitung und Erinnerung waren für Ana Blandiana und ihren Mann Romulus Rusan auch die Hauptmotive, 1993 die Gedenkstätte „Memorial für die Opfer des Kommunismus und für den Widerstand“ in Sighet zu gründen, im Gebäude eines ehemaligen Gefängnisses, in dem zwischen 1950 und 1955 Geistliche, politische AktivistInnen sowie Intellektuelle unter menschenunwürdigen Haftbedingungen einsaßen. „Die Zerstörung des historischen Gedächtnisses ist der schlimmste Gräuel des Kommunismus.“ Erst in Folge der Genfer Konventionen über das humanitäre Völkerrecht, 1949 verabschiedet, und dank Begnadigungen wurde das Gefängnis später aufgelöst. Die psychischen und physischen Wunden blieben für die Inhaftierten oft ein Leben lang. Die Gedenkstätte ist nun ein Hort der wissenschaftlichen Dokumentation sowie der Begegnung und bietet eine Sommerschule für jüngere Generationen an, die ein kritisches und kreatives Engagement im Umgang mit der Vergangenheit suchen. Wenn sie vom Memorial in Sighet erzählt, steht Ana Blandiana die Begeisterung ins Gesicht geschrieben.

Der Besuch neigt sich dem Ende, für eine Abschlussfrage aber bleibt noch Zeit: „Was bewegt Sie heute, Frau Poetin?“ – „Die Zeit, die vergeht. Die Ungewissheit auf der Welt. Die Verneinung, die ein universaler Sport geworden ist und die alle Wahrheiten der Welt in Frage gestellt hat.“ Auch wenn die Antwort dunkel klingt, der Blick Ana Blandianas bleibt herzlich und offen.