Nicht alles im Leben ist planbar

Nicht alles im Leben ist planbar
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  • Veröffentlicht: 29.04.2021
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Den Tag, das Jahr, das Leben – Menschen planen ununterbrochen. Um ihre Ziele zu erreichen, navigieren sie ihr Leben in die gewünschte Richtung. Doch meist stören nicht kalkulierte Ereignisse die Routen. Ist das Leben planbar oder Kontrolle eine Illusion? Wie gehen wir damit um, wenn alles ganz anders kommt als gedacht?

„Unbewusste Ziele treiben Menschen an.“
Sabine Felgitsch ist individualpsychologisch-pädagogische Beraterin und begleitet Menschen in Umbruchsituationen.
„Unbewusste Ziele treiben Menschen an.“
Sabine Felgitsch ist individualpsychologisch-pädagogische Beraterin und begleitet Menschen in Umbruchsituationen. Foto: privat

vom Druck befreien

Warum planen Menschen?

Sabine Felgitsch: Alfred Adler, der Begründer der Individualpsychologie, ging davon aus, dass den Menschen unbewusste Ziele antreiben wie Liebe, Zugehörigkeit, Fürsorge und Geborgenheit. Das Fernziel ist immer Zugehörigkeit, wir möchten zu einer Gruppe gehören und Teil eines großen Ganzen sein. Um das zu erreichen, entwickelt jeder Mensch Strategien. Ein neurotisches Kontrollbedürfnis deutet oft auf ein Problem mit der eigenen Identität und auf Minderwertigkeitsgefühle hin. Wie sicher fühle ich mich in mir selbst? Je stärker die Kraft und das Vertrauen ins Leben sind, umso weniger möchte ich kontrollieren.

Wie gehe ich mit gescheiterten Plänen um?

Zurzeit kommen viele junge Frauen zu mir, die konkrete Pläne für ihr Leben haben. Sie haben studiert oder eine Ausbildung gemacht, äußere Umstände, wie etwa die Corona-Pandemie, hindern sie aber an der Ausführung ihrer erlernten Tätigkeit. Sie sehen sich als gescheitert. Wenn ich die Kontrolle über mein Leben verliere, fühle ich Angst, Hass und Wut, also Gefühle, die ich bislang vielleicht verdrängt habe. Je mitfühlender ich mit mir bin und je besser ich mich in meiner Verletzlichkeit aushalten lerne, umso mehr komme ich mit Unsicherheiten zurecht.

Wie lebe ich mit der Gewissheit, dass nichts gewiss ist?

Durch eine gewisse Belastbarkeit, also Resilienz. Das bedeutet nicht, sich fitter gegen die Widrigkeiten des Lebens zu machen, sondern sich an Ressourcen zu orientieren, an Verbundenheitsgefühle anzuknüpfen und sich von Erwartungen, die unter Druck setzen, zu befreien. Dabei sind Selbstfürsorge und Selbstmitgefühl wichtige Kraftquellen.

„Die Angst vor dem Ungewissen lässt Menschen in ihrem Unglück bleiben.“
Melanie Wolfers ist Ordensfrau, Theologin und Buchautorin.
„Die Angst vor dem Ungewissen lässt Menschen in ihrem Unglück bleiben.“
Melanie Wolfers ist Ordensfrau, Theologin und Buchautorin.

Wir haben immer eine Wahl

Was haben Pläne mit Entscheidungen zu tun?

Melanie Wolfers: Täglich treffen wir zig Entscheidungen. Manche von ihnen sind mit kurzfristigen oder weitreichenden Plänen verbunden. Doch ob sie aufgehen oder nicht, das entzieht sich unserer Kontrolle. Das weckt Angst. Bei manchen ist die Angst vor Ungewissem so groß, dass sie lieber im gewohnten Unglück bleiben, als Neues zu wagen. Denn wer weiß, was dann kommt.

Wie treffe ich eine möglichst gute Entscheidung?

In meinem Buch entfalte ich drei Bausteine einer tragfähigen Entscheidung. Sie lassen sich mit den Fragen ausdrücken: „Was kann ich? Was will ich? Was soll ich?“ Eine gute Entscheidung basiert darauf, dass wir unseren Stärken und Schwächen Rechnung tragen. Dass wir eine Vorstellung haben von dem, was für uns wirklich von Bedeutung ist, und dass wir wach sind, wenn das Leben uns etwas zuruft oder von uns fordert.

Wie gehe ich damit um, wenn es anders kommt als erhofft?

Ich kann nach der Ursache forschen, warum es anders gekommen ist, um daraus für die Zukunft zu lernen, und sollte nicht katastrophieren oder dramatisieren, sondern lieber nachjustieren und das Beste aus der Situation machen.

Und wenn es nichts mehr zu entscheiden gibt?

Dann bleibt immer noch eine letzte Wahl: Verbleibe ich im inneren Widerstand gegenüber dem, was ist, und pflege auf Dauer etwa meinen Ärger oder meine Enttäuschung? Oder gehe ich einen Weg der inneren Aussöhnung, bis ich meine Wirklichkeit bejahen lerne, wie sie geworden ist? „Wage das Ja – und du erlebst Sinn“ schrieb der UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld einst in sein Tagebuch.

Cover-Entscheide-dich-und-lebe

Melanie Wolfers:
Entscheide dich und lebe! Von der Kunst, eine kluge Wahl zu treffen.
Verlag bene!, 19,90 Euro

Melanie Wolfers rät im Interview „Pilotin des eigenen Lebens“ zu sein.

„Ich bin nicht mit meiner Stärke verbunden.“
Petra Horn ist Geschäftsführerin einer Eventmarketingagentur. Die Unplanbarkeit in der Coronakrise setzt nicht nur ihrer Branche, sondern auch ihr persönlich zu.
„Ich bin nicht mit meiner Stärke verbunden.“
Petra Horn ist Geschäftsführerin einer Eventmarketingagentur. Die Unplanbarkeit in der Coronakrise setzt nicht nur ihrer Branche, sondern auch ihr persönlich zu.

Ziel: Traumjob

Petra Horn ist gewöhnlich keine Frau, die zweifelt. Sie ist eine, die an sich glaubt und überzeugt ist, alles schaffen zu können. Auf Chaos im Außen reagiert sie mit Stärke im Inneren. Petra Horn verfolgte ihre Ziele immer geradlinig. Als sie 13 Jahre alt war, stand für sie fest, dass sie in die Werbebranche wollte, zwei Jahre später lernte sie ihren heutigen Ehemann kennen, mit dem sie vor 20 Jahren, als sie mit ihrem Sohn in Karenz war, die Eventmarketingagentur „The Crew for You“ gründete.

Wissen, was Zweifel sind

Das Ehepaar organisiert und inszeniert große Firmenveranstaltungen und öffentliche Events, es sorgt vor Ort für besonderes Ambiente. Die Agentur war erfolgreich, selbst Tiefs wie während der Finanzkrise im Jahr 2008 konnten Horns Vertrauen nicht erschüttern. Dann geschah vor einem Jahr etwas Unberechenbares: Ein Virus kam von Asien nach Europa, ließ die Welt stillstehen, und mit einer stillen Welt verdient Petra Horn kein Geld. Veranstaltungen wurden abgesagt, und plötzlich wusste Horn, was Zweifel sind.

Ungewissheit macht flexibel

Petra Horn ist flexibel, das hat sie der Ungewissheit zu verdanken, die schon immer zu ihrem Job gehörte. Es gibt keine langjährigen Verträge mit KundInnen, nur Handschläge; war auf sie kein Verlass, brauchte sie rasch einen Plan B. Den hatte sie deshalb auch gleich im ersten Lockdown der Corona-Pandemie. Sie baute ein zweites Standbein auf, ihre Grundbedürfnisse waren zwar gesichert, sie bekam sofort finanzielle Unterstützung vom Staat, aber sie konnte nicht planen, wie lange die Krise dauern würde. Also absolvierte sie am Institut für Innenarchitektur den Onlinelehrgang „Interior Design“, lernte die Planung und Gestaltung von Innenräumen. Einmal in der Woche arbeitet sie jetzt im Geschäft einer Bekannten, das Artikel zur Raumausstattung verkauft. Zudem planen und beraten die beiden Frauen KundInnen, die ihre Wohnräume umgestalten und verschönern möchten. „Es macht sehr großen Spaß, auch wenn mein Herz für das Eventmarketing schlägt“, sagt Petra Horn.

Die Liebe trägt

Auf das Chaos im Außen reagierte Horn plötzlich mit Unsicherheit. „Die Coronakrise hat mir gezeigt, dass das Leben viel weniger planbar ist, als mir lieb ist“, sagt sie. Das habe ihr inneres Fundament angekratzt. Sie fühle sich im Moment schwach und sei nicht mit „ihrer Stärke“ verbunden. „Ich kämpfe damit, mir zu sagen, dass das Leben schön ist, auch wenn ich mich gerade nicht auf geplante Aktivitäten freuen kann“, sagt Horn. Aber sie durfte erfahren, was in ihrem Leben Bestand hat: Das seien die Liebe zu ihrem Mann und ihrem Sohn und das Gefühl, ebenfalls geliebt zu werden. Darauf stützt Petra Horn sich und hofft, dass ihr Fundament hält, auch wenn eine Säule wackelt.   

Wir planen Tage, Wochen und Jahre. Unsere Erwartungshaltung ist groß. Doch ist das Leben nicht stärker, als das, was wir mit ihm vorhaben?

 

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Erschienen in „Welt der Frauen“ Jänner 2021