Von La Verna nach Assisi: Begleiten Sie Chefredakteurin Sabine Kronberger beim Pilgern am Franziskusweg. Tag 1.
„Den ganzen Tag singen?“, „… täglich Rosenkranz beten?“ oder „Du musst ja viele Sünden haben …“ – so oder so ähnlich sind mir die häufigsten Reaktionen entgegengeschwappt, als ich mein Vorhaben, pilgern zu gehen, erstmals verraten habe. Entstanden aus der Idee, jeden Monat im Jahr 2022 eine Sache zu tun, die ich nie davor versucht hatte, hat mich Christoph Mülleder – Organisator unserer „Welt der Frauen“-Reisen „Weltanschauen“ – mit der Idee angesteckt, unsere Leserinnen und Leser bei einer Reise zu begleiten.
Schnell war für mich klar: Es muss eine Pilgerreise sein. Ohne eine Ahnung davon zu haben, ohne zu wissen, was einen beim Pilgern wirklich – so wirklich – erwartet, habe ich gebucht. Man hat ja schließlich auch selbst Ideen und Bilder im Kopf, wie Pilgern aussehen könnte. Meine Taufpatin etwa tat es früher regelmäßig, auf Facebook hatte ich verfolgt, wie meine ehemalige Schulkollegin Bernadette den Camino nach Santiago de Compostela gegangen ist, und dann ist da noch das Buch des deutschen Komikers Hape Kerkeling, dessen „Ich bin dann mal weg“ ich zwar nie gelesen hatte, an dem man aber medial irgendwie nicht vorbeikam.
Würde ich auch so großartige Erfahrungen machen? Würde ich auch etwas entdecken, von dessen Existenz ich bis dahin noch nicht wusste? Am Ende vielleicht sogar mich selbst ein Stück weit mehr entdecken?
Heute schließlich war der Tag da: Abreise ab Wien in Richtung Florenz. Am Bahnhof Wien eingetroffen, war es nicht schwer, die Mitreisenden zu identifizieren: Die Ausstattung war in etwa bei allen gleich. Sportliche Kleidung, ein Koffer, ein Rucksack, an dem Wanderstöcke baumelten. Die Aufregung, die sich tags zuvor aufgrund fehlender Kondition, fehlender Zeit der Vorbereitung und meinem Arbeiten bis knapp vor der Abfahrt stetig aufgebaut hatte, verflog, als ich Ingrid begegnete. Sie stammt aus meinem ursprünglichen Heimatort, in dem ich aufgewachsen war, ihr Sohn ist in meinem Alter und unsere Gesichter waren einander bekannt. Gemeinsam stapften wir zum vereinbarten Treffpunkt. Alles war bestens organisiert, wir waren die Ersten dort.
Rasch gesellten sich immer mehr Frauen (ja, es ist bis dato nur ein Mann in der Runde) hinzu, man stellte sich einander vor. Was angesichts der Maske bestimmt aber noch einmal wiederholt werden muss. Ich glaube, ich habe mir keinen der Namen gemerkt. Bemerkenswert war aber, dass die vorfreudige gute Laune der Teilnehmerinnen sofort ansteckend war. Man lachte zusammen mit Frauen, die einem bis vor wenigen Minuten noch fremd waren, über die Not des Einpackens, die schlechte Wetterprognose für unseren Gang nach Assisi und die Hektik vor der Abreise Zuhause. Ich war also auch beim Thema Gepäck nicht alleine.
Denn bei einigen Tagen des Pilgerns muss man schließlich mit so wenig wie möglich so lange wie möglich auskommen und sollte für alle Eventualitäten vorbereitet sein. Zugegeben, unsere Koffer werden von Herberge zu Herberge auf rollendem Wege transportiert. „Luxuspilgern“ scherzte eine Freundin noch wenige Tage zuvor darüber, dass ich ja gar nicht den gesamten Weg mit vollem Gepäck zurücklegen müsse. Doch für mich und viele, die hier mitreisen, die ideale Möglichkeit, sich in dieser besonderen Sache zu üben und zu sehen, ob man sich dabei wohlfühlen kann.
Am Bahnhof lernte ich auch Lydia kennen. Wo immer ich zuvor erwähnte, pilgern zu gehen, warf man mir ihren Namen entgegen. Ich hatte das Gefühl, jeder, der via „Welt der Frauen“ oder „Katholischer Frauenbewegung“ je etwas in die Richtung unternommen hatte, kennt diese Frau. Die personifizierte Herzlichkeit übrigens, mit der schon nach wenigen Minuten die Chemie stimmte. Sie wird bei dieser Reise die spirituelle Leitung sein, ihre Kollegin wird unser Tourguide und unsere italophile Begleiterin sein.
Es ist mittlerweile dunkel im Liegewagenabteil, meine beiden Kolleginnen haben sich bereits hingelegt und lassen sich vom sanften Schaukeln des Zuges in den Schlaf wiegen. Bei Anbruch der Dunkelheit werden wir in Florenz angekommen sein. Sie gestatten, dass ich mich jetzt auch ein wenig hinlege, schließlich will ich auch die nächsten Tage noch fit sein, die Tage vollends zu erleben und abends das Pilgertagebuch für all unsere Mitlesenden zu verfassen.
Ein Gruß übrigens an jene Leserin, die sich aufgrund der Organtransplantation ihres Mannes in Langzeit-Selbstquarantäne befindet und deshalb in großer Vorfreude war, diese Reise mit mir via Online-Pilgertagebuch virtuell zu gehen. Ich nehme sie gerne mit.