Papa, Kind – und echter Alltag

Papa, Kind – und echter Alltag
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  • Veröffentlicht: 10.08.2022
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Die gesellschaftlichen Erwartungen an Väter haben sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt. Heute gilt: Kinder brauchen beide Elternteile.

Kinder brauchen Zeit: ein paar Sekunden für den ersten Atemzug, die Entfaltung der Lunge, den ersten Schrei. Zeit, um sich die Welt anzueignen. Krabbeln, rutschen, aufstehen, gehen. Sie weiten ihren Radius aus, Schritt für Schritt. Kinder brauchen Zeit, um ihre Sprache zu finden. Erst in Gesten, dann in einsilbigen Lauten, irgendwann versteht man sie. Zeit, um Beziehungen zu entwickeln zu Personen, zu Dingen, zu Stofftieren. Die Zeit mit Kindern kann sich ziehen. Sie kann nerven: die immer gleichen Nudeln mit Ketchup, der Tick mit dem Lichtschalter. Sie verrinnt unwiederbringlich: auf Alltagswegen, die ewig dauern, weil sie an so vielen Ablenkungen vorbeiführen; in der Quengelzone an der Supermarktkasse. Nachts, wenn man zum fünften Mal aufgeweckt wird und vor lauter Müdigkeit definitiv nicht mehr einschlafen kann.

„Kinderbetreuung ist intensiv, die Wertschätzung dafür fehlt generell, unabhängig vom Geschlecht.“
Bernhard Seifried war sechs Monate mit seiner Tochter Adele zu Hause.

Väter brauchen Zeit

Jahrhundertelang hat das Patriarchat behauptet, die Fähigkeit, eine gute Mutter zu sein, entstehe „von selber“. Fürsorglichkeit liege in der weiblichen Natur. Und die Anschauung zeigte jahrhundertelang: Ja, Mütter kannten ihre Kinder tatsächlich besser und schubsten die Männer beiseite, als müssten sie Territorium verteidigen: „Lass nur, ich mach schon.“ Doch nun wissen wir: Die angeblich weibliche Expertise wurzelt keineswegs in den Genen. Sie entstand durch Abermillionen Stunden gemeinsamen Ausprobierens, wurde stetig weitergegeben. Von Mutter zu Tochter, von Freundin zu Freundin, über den Gartenzaun hinweg oder auf der Bank am Rand der Sandkiste. Die gute Nachricht für Männer ist: Auf dieser Bank kann jeder sitzen.Elternschaft ist erlernbar. Es ist alles eine Frage von Gewohnheit. Und dafür brauchen Väter Zeit mit ihrem Kind. Normale Momente und aufregende. Der erste Schrei, das erste Lachen. Aber noch wichtiger sind die abertausend Stunden des Wartens und der Langeweile. Gemüse pürieren, Geschirr wegräumen. Jene Momente, in denen Elternschaft entsteht.

„Für mich ist es das Schönste auf der Welt, ein Kind zu haben, und ich will Zeit mit ihm verbringen.“
Manuel Fröschl-Rossboth war drei Monate mit Jonathan zu zweit.

Kinder brauchen Väter

Wofür ist der Papa da, wofür die Mama? Bei wem beschwert man sich, wenn etwas schiefgeht, von wem lässt man sich trösten? Das hängt von Erfahrungswerten ab. Wenn der Papa schon 100 Pflaster mit zufriedenstellender Sanftheit von der Haut abgerissen hat, wird sich das Kind auch beim 101. Pflaster vertrauensvoll an ihn wenden. Egal, was das Patriarchat sagt. Kinder brauchen – egoistisch, wie sie nun mal sind und sein müssen – einen Vater zuallererst als Versorgungsinstanz. Er soll parat stehen, wenn man ihn braucht, und gefälligst alles liegen und stehen lassen, sobald man nach ihm ruft. Ein Mann wird zum Vater, indem er konkrete alltägliche Verantwortung übernimmt und sich in entscheidenden Momenten nicht wegduckt.

„Ich bin der Meinung, dass jeder Vater das tun sollte.“
Markus Messner blieb zwei Monate in Karenz bei Emilia.

Väter brauchen Kinder

Erst das Kind macht einen Mann zum Vater. Doch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Damit fängt sie erst an. Zumindest heutzutage. Im Patriarchat definierten die Kinder den Status eines Mannes. Die Zahl seiner Nachkommen galt in vielen Kulturen als Nachweis seiner Männlichkeit. Gleichzeitig dienten sie als Absicherung der Existenz im Alter. Je mehr Söhne, desto größer die Chance, später einmal versorgt zu sein. Auch als „Stammhalter“ erfüllten Kinder eine existenzielle Funktion, vor allem die männlichen. Zumindest einer von ihnen würde dereinst Land, Haus und Hof erben und vollenden, was der Vater begonnen hatte. Was für eine Bürde.

Wie schön, dass der Feminismus Männer und Kinder heute davon befreit hat. Die schlechte Nachricht für Männer: „Automatisch“ gehören ihre Kinder ihnen heute dadurch längst nicht mehr. Das einzige Mittel, das zur Bindung bleibt, ist gleichzeitig das stärkste: die Beziehung. Wie sie halt entsteht zwischen zwei Menschen, die einander gut kennen, sich aneinander gewöhnt haben und sich darauf verlassen können, dass sie einander haben.

Der Grundstein dafür wird in jenen Wochen und Monaten gelegt, die Kleinkinder und Väter in der Karenzzeit miteinander verbringen: als Zweierteam, das den Alltag miteinander meistert und dabei zusammenwächst. Den Grundstein legen für eine einzigartige Beziehung zwischen zwei einzigartigen Menschen: was für eine großartige Chance. Wer sie bekommt, sollte sie ergreifen.

Dieser Beitrag ist in der „Welt der Frauen“ Jänner/Februar 2022-Ausgabe erschienen. Erhältlich als Einzelheft in unserem Shop, zum Testabo geht es hier.