Andere gefährden, um in den Bikini zu passen?

Andere gefährden, um in den Bikini zu passen?
Foto: Adobe Stock
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  • Veröffentlicht: 25.08.2023
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Schnell abnehmen, ohne zu hungern. Das soll mit dem Medikament „Ozempic“ für PatientInnen mit Diabetes Typ 2 klappen. Zahlreiche Menschen stürmen deshalb die Apotheken, das Mittel wird zur Mangelware. Dabei wären viele Diabetes-PatientInnen dringend darauf angewiesen.

Kim Kardashian soll’s tun, Elon Musk wirbt öffentlich dafür: Sie spritzen sich Medikamente, die eigentlich für Menschen mit schwer einstellbarem Diabetes Typ 2 entwickelt wurden. Warum? Weil die darin enthaltenen Wirkstoffe nicht nur den Blutzuckerspiegel senken, sondern auch beim Abnehmen helfen sollen. Denn der Wirkstoff zügelt nachweislich den Appetit, dadurch verliere man schnell Gewicht, ohne seinen Lifestyle groß verändern zu müssen.

„Ozempic“ „Wegovy“, „Mounjaro“ heißen die Medikamente, die mittels Applikatoren in den Oberarm, Bauch oder Oberschenkel gespritzt werden. Weil immer mehr Stars auf dieses „Wundermittel“ zurückgreifen und es in den sozialen Netzwerken propagieren, ist ein regelrechter Hype um den Wirkstoff ausgebrochen. In den USA gibt es mittlerweile Begriffe wie „Ozempic Bodys“, damit sind dünne Körper gemeint, die angeblich aus der Behandlung von Ozempic resultieren. In sozialen Netzwerken tanzen Frauen in Videos mit dem Applikator zum eigens kreierten Song und singen: „Ozempic, Wegovy, Mounjaro – no more sorrow“ („Ozempic, Wegovy, Mounjaro – keine Sorgen mehr“) und von InfluencerInnen werden Diätkuren mit dem Hashtag „Ozempicweightloss“ („Ozempic Gewichtsverlust“) beworben. Dünn sein, koste es was es wolle, das ist das oberste Gebot. Gefährliche Nebenwirkungen schrecken dabei kaum jemanden ab.

Schilddrüsenkrebsrisiko und Verdauungsstörungen

Mittlerweile werden aber immer mehr kritische Stimmen laut. MedizinerInnen warnen, dass der Wirkstoff Übelkeit, Bauchschmerzen, Durchfall, Erbrechen, Schwindel und sogar Magen- sowie Bauchspeicheldrüsenentzündung auslösen, vorzeitige Hautalterung begünstigen und das Schilddrüsenkrebsrisiko erhöhen soll. Sowohl in Österreich als auch in den USA ist das Medikament eigentlich verschreibungspflichtig. Ohne Rezept können AnwenderInnen das Mittel nicht legal erwerben.

Im Internet gibt es aber zahlreiche dubiose AnbieterInnen, die das Medikament zu horrenden Preisen bis zu 350 Euro „dealen“. Eine Gefahr, denn die angebotenen Präparate unterliegen keiner ärztlichen Aufsicht und sind mit einem erhöhten gesundheitlichen Risiko verbunden. Andere AnwenderInnenbesorgen sich das Medikament auf eigene Kosten, mit Privatrezept. Wenn ÄrztInnen Ozempic auch gesunden, also nicht stark adipösen Menschen zum Abnehmen verordnen, spricht man von sogenannten Off-Label-Verschreibungen. Vielen ÄrztInnen scheint es egal zu sein, dass sie Arzneimittel an Menschen verschreiben, die es eigentlich nicht bräuchten.

Der Mensch, ein Egoist?

So viel zu den gesundheitlichen Risiken des Abnehm-Trends. Welches Problem schafft der Hype noch? Durch den großen Ansturm kommt es zu weltweiten Liefer- und Produktionsengpässen und DiabetikerInnen kommen nicht an ihr Medikament. Was heißt das für sie? Der Wirkstoff reguliert die Blutzuckerwerte und reduziert Glucagon, ein Hormon, das die Zuckerwerte erhöht. Wird Ozempic abgesetzt, steigt der Blutzuckerspiegel wieder und somit das Risiko einer Überzuckerung. Hohe Werte begünstigen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Organschäden, akut hohe Werte können sogar zum Tod führen. Denn es gibt PatientInnen, die resistent gegen Insulin sind, weshalb ein Umsteigen auf das Verabreichen des Bauchspeicheldrüsenhormons keine Alternative ist. Zudem löst es auch das eigentliche Problem nicht: Dass die Nachfrage nur deshalb erhöht und das Angebot nicht mehr verfügbar ist, weil das Produkt von Menschen gekauft wird, die es eigentlich nicht benötigen.

Man nimmt anderen Menschen nichts weg

Die Debatte wirft gleich mehrere ethische und moralische Fragen auf: Warum missbrauchen Menschen Medikamente und nehmen zahlreiche gesundheitliche Risiken in Kauf, um einem gesellschaftlichen Schönheitsideal zu entsprechen? Warum haben gesunde Menschen keine Skrupel davor, sich etwas in den Körper zu spritzen? Wieso verschreiben ÄrztInnen diese Medikamente an gesunde Menschen und empfinden dabei anscheinend keinerlei schlechtes Gewissen oder Verantwortungsbewusstsein? Und in welcher Welt leben wir, in der Menschen das Leben anderer gefährden, um in den Bikini zu passen?

Keine Frage, Übergewicht kann ebenso eine Erkrankung sein und Gesundheit und Psyche massiv beeinträchtigen und die Auswirkungen sollen auch nicht geschmälert werden. Aber man sollte meinen, dass es in einer Gesellschaft einen sozialen Zusammenhalt gibt, in der Menschen über genügend Empathie verfügen, um zu erkennen, wann die eigene Freiheit das Leben anderer Menschen gefährdet und in der die Grundregel des Zusammenlebens gilt, die auch bereits kleine Kinder lernen: Man nimmt anderen Menschen nichts weg, schon gar nicht, wenn sie es dringend brauchen. In einer Gesellschaft geht es nur miteinander.

Wenn es Entwicklungen gibt, die uns bei genauerem Hinsehen schaden, anstatt uns zu helfen, sollten wir sie wohl hinterfragen. Wir müssen uns überlegen, in welcher Welt wir leben möchten und wie wir diese gestalten können. Soll der Druck, schön und schlank zu sein und einem von sozialen Netzwerken kreierten Ideal zu entsprechen, ohne Rücksicht auf Verluste, dazugehören? Oder sollten wir eher einen Weg und Lösungen suchen, damit diverse Körperformen gesellschaftlich mehr akzeptiert werden?

Außerdem sollte denjenigen, die das Medikament zum Abnehmen anwenden, bewusst sein: Wer sein reduziertes Gewicht halten will, muss das Medikament vermutlich sein Leben lang nehmen. Denn nach Absetzen des Mittels kommt kann es zu einem Jojo-Effekt mit Heißhungerattacken und rascher Gewichtszunahme kommen. So nimmt man zusätzlich noch die Gefahr einer Medikamentenabhängigkeit leichtfertig in Kauf. Verschwundene Kilos kehren also in der Regel zurück, verlorene Gesundheit aber meist nicht mehr.

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