Gott Kupfer“, die berühmte Lehrer-Figur in Friedrich Torbergs Roman „Der Schüler Gerber“ hat dank Judith Schalansky eine Kollegin bekommen: Inge Lohmark. Sie unterrichtet seit dreißig Jahren Biologie, hasst Kuschelpädaogik und betrachtet jedes Klassenzimmer als ihr Hoheitsgebiet. Auch sie bereitet ihre Schüler und Schülerinnen aufs Abitur vor, danach soll die Schule in dieser Stadt im hinteren Vorpommern für immer geschlossen werden. Inge Lohmark dominiert diesen Bildungsroman, füllt die Seiten aus, drückt die Kollegen und Kolleginnen, ja selbst den Direktor, gegen die Wand. Ich bin begeistert von dieser Frau, der ein „kreidelastiger Unterricht“ im wahrsten Sinne von Rektor und Kollegenschaft „angekreidet“ wird: Inge Lohmark hasst Gruppendynamik, ist in Biologie so streng wie im Sportunterricht. „Angreifen, flüchten oder verharren“, das überlegt sich die Lehrerin nicht nur dann, wenn sie den Mädchen beim Völkerballspielen zusieht. Irgendwie teilnahmslos, auch lieblos und ein wenig leblos, das auch.
Schalanskys Bildungsroman ist in drei Kapitel geteilt, suggeriert die Anlehnung an den Biologie-Unterricht der Lohmark, die frontal unterrichtet und ebenso lebt. Der Mann geht in seiner Straußenzucht auf und die Tochter ist in die USA geflüchtet, einfach abgehauen, hat es hier in der Provinz einfach nicht mehr ausgehalten. Drei Schultage sind hier skizziert, einer im September, einer im November und einer im März, die Kapitel sind mit Unterrichtsthemen – Naturhaushalte, Vererbungsvorgänge und Entwicklungslehre überschrieben. Das wäre die Gelegenheit, Wissenswertes so ganz neben diesen Charakterstudien zu erfahren, doch auch lesend erschließt sich das überreiche Frontal-Wissen der Lohmark nicht. Frontalunterricht als Frontalangriff, verächtlich beobachtet die Lehrerin die Schüler im Bus, kennt genau die Grüppchen und weiß, wer heute wieder ausgelacht wird.
Was sie sagte, wurde gemacht. Dass sie die Schüler am Beginn und Ende der Stunde aufstehen ließ, war ein Signal, das sich bewährt hatte, eine Verstärkung des Klingelzeichens. Ihre Lehrmethode bestand aus einer Reihe von Maßnahmen, die sich im Lauf ihres Lehrerlebens ausgebildet und immer mehr spezialisiert hatten. Nur was sich in der Praxis bewährt hatte, war wahr.
Wer jetzt noch etwas über den Hals der Giraffe erfahren will, geht wie Lohmarks Schüler und Schülerinnen, es sind gezählte 12 junge Menschen, leer aus: Wie die Giraffe zu diesem langen Hals kam, darüber hätten sie doch diskutieren wollen. Doch Lohmark wird vom Direktor aus der Klasse zitiert und muss sich dem Vorwurf, Mobbing an ihrer Schülerin Ellen, stellen.
Judith Schalansky erhält den Preis der Literaturhäuser 2014. Zitat aus der Preisbegründung „… beharrlich verficht Judith Schalansky die Überzeugung, dass sich jeder Text erst durch eine auf ihn zugeschnittene Gestaltung angemessen entfaltet.“
Judith Schalansky: Der Hals der Giraffe
Bildungsroman
Berlin: Suhrkamp Verlag 2012
ISBN 978-3-518-46388-8