Nobelpreis: Wo bleibt die Geschlechtergerechtigkeit?

Nobelpreis: Wo bleibt die Geschlechtergerechtigkeit?
Foto: Reihane Taravati / AFP / picturedesk.com
Narges Mohammadi
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  • Veröffentlicht: 12.10.2023
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Nur drei Frauen gehören dieses Jahr zu den insgesamt zehn TrägerInnen des Nobelpreises. Damit gelingt es einer der wichtigsten Auszeichnungen der Welt erneut nicht, dem Ruf, männlich dominiert zu sein, entgegenzuwirken.

Katalin Karikó, Anne L’Huillier und Narges Mohammadi haben 2023 das geschafft, was vor ihnen bisher nur 60 Frauen gelang: Sie haben einen Nobelpreis erhalten. Die Auszeichnung, benannt nach dem schwedischen Erfinder und Industriellen Alfred Nobel, ehrt seit 1901 Jahr für Jahr herausragende Persönlichkeiten und Organisationen in den Kategorien Physik, Chemie, Physiologie oder Medizin, Literatur beziehungsweise für ihre Friedensbemühungen. Im Bereich Wirtschaftswissenschaften wird zeitgleich der Alfred-Nobel-Gedächtnispreis verliehen, welcher jedoch offiziell nicht als Nobelpreis gilt.

Kämpferin für die Freiheit

Neu in der überschaubaren Liste der Preisträgerinnen ist unter anderem Narges Mohammadi. Die 51-Jährige erhielt den Friedensnobelpreis „für ihren Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran und ihren Kampf für die Unterstützung der Menschenrechte und der Freiheit für alle“. Mohammadi verbüßt derzeit eine zehnjährige Haftstrafe im Evin-Gefängnis (Teheran), das für seine brutalen Methoden bekannt ist. Es ist nicht Mohammadis erste Strafe in ihrem Kampf für Freiheit, insbesondere für die der Frauen. Seit 1998 wurde sie mehrfach zu insgesamt 31 Jahren Haft und 154 Peitschenhieben verurteilt. Aufhalten lässt sie sich davon aber nicht. Trotz aller Widerstände verfolgt sie ihr Ziel auch aus dem Gefängnis heraus.

Kämpferin für die Gesundheit

Einen ganz anderen Kampf führt hingegen Katalin Karikó – unter anderem gegen das Coronavirus. Seit 40 Jahren widmet sich die aus Ungarn stammende Biochemikerin der RNA-Forschung, mithilfe derer Krankheiten behandelt werden können. Gemeinsam mit Drew Weissmann (USA) erhielt sie nun den Nobelpreis für Medizin und wurde „für ihre Entdeckungen von Nukleosid-Basen-Modifikationen, die die Entwicklung von wirksamen mRNA-Impfstoffen gegen COVID-19 ermöglichten“, ausgezeichnet. Was in den Jahren zuvor oft nur wenig Beachtung gefunden hatte, änderte sich mit dem Ausbruch der Coronapandemie schlagartig. Seither erhielt Karikó neben dem Nobelpreis zahlreiche Auszeichnungen.

In den Fußstapfen von Marie Curie

Die diesjährige Nobelpreisträgerin für Physik, Anne L’Huillier, wurde zusammen mit Pierre Agostini und Ferenc Krausz „für experimentelle Methoden zur Erzeugung von Lichtimpulsen im Attosekundenbereich zur Untersuchung der Dynamik von Elektronen in Materie“ ausgezeichnet. Die Französin mit schwedischer Staatsbürgerschaft ist damit erst die fünfte Frau, die den Physik-Nobelpreis erhält und folgt auf eine der berühmtesten und einzige Zweifach-Preisträgerin, Marie Curie. Gemeinsam mit ihren Co-Preisträgern setzte sich die Atomphysikerin in diesem Jahr unter insgesamt 500 Einreichungen durch.

Sonderpreis geht an Harvard-Professorin

Zu guter Letzt wurde nach Bekanntgabe der NobelpreisträgerInnen auch die Gewinnerin des Alfred-Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften verkündet: Die amerikanische Ökonomin Claudia Goldin, Professorin an der Harvard University ist die dritte weibliche Ausgezeichnete in dieser Kategorie und außerdem die einzige Frau, die diesen allein erhalten hat. Laut der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften ehre man Goldin damit für die „Aufdeckung der Hauptursachen für geschlechtsspezifische Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt“. Ihre Forschungen hätten demnach neue und „oft überraschende Einblicke in die historische und gegenwärtige Rolle der Frauen auf dem Arbeitsmarkt“ gegeben.

Eine deutliche Sprache

Mit diesen Frauen ist die Liste der Preisträgerinnen um weitere herausragende Persönlichkeiten bereichert worden. Dennoch ist diese, anders als die ihrer männlichen Kollegen, nach wie vor äußerst kurz. So waren zwischen 1901 und 2022 83,6 Prozent der PreisträgerInnen für den Friedensnobelpreis und 98,2 Prozent der Ausgezeichneten für den Physik-Nobelpreis männlich. Und in den 122 Jahren, in denen der Nobelpreis verliehen wurde, wurden insgesamt lediglich 63 Frauen ausgezeichnet – Zahlen, die eine deutliche Sprache sprechen.

Eine Bilanz, die häufig damit begründet wird, dass die Wissenschaften, insbesondere zu Beginn des 20. Jahrhunderts, männlich dominiert waren. So argumentierte auch der Exekutivdirektor der Nobel-Stiftung Lars Heikensten bereits vor einigen Jahren: „Die Tatsache, dass wir nicht so viele Frauen als Preisträgerinnen hatten, spiegelt in erster Linie die Situation in den Wissenschaften vor 30 bis 50 Jahren wider.“ Gleichzeitig betonte er, dass sich dies inzwischen geändert habe. Er gehe davon aus, dass die bereits gestiegene Zahl der Nobelpreisträgerinnen in Zukunft weiter zunehmen werde.

Strukturen als Hindernis

Tatsächlich steht dieser Entwicklung aber noch einiges im Wege. Nicht nur bei der Vergabe des Nobelpreises, auch in der Wissenschaft gibt es in Sachen Geschlechtergerechtigkeit reichlich Nachholbedarf. Zwar sind nach Angaben der UNESCO inzwischen rund 33 Prozent der Forschenden Frauen, doch relativiert sich diese Zahl, wenn man bedenkt, dass heute mehr Mädchen zur Schule gehen als je zuvor.

Nach wie vor finden viele von ihnen nicht den Weg in die Wissenschaft. Als Ursache dafür nennt die UNESCO unter anderem bestehende strukturelle Hindernisse. So würden sich potenzielle Nachwuchswissenschaftlerinnen häufig bereits im Vorfeld gegen eine Karriere in diesem Bereich entscheiden. Zudem seien Forscherinnen nicht nur unterrepräsentiert, sondern auch unterbezahlt. Die UN-Organisation beziffert das geschlechtsspezifische Lohngefälle auf fast 20 Prozent.

Zukünftiges Ziel muss daher einerseits sein, herausragende Leistungen von Frauen sichtbar zu machen und entsprechend zu würdigen, etwa durch den Nobelpreis. Zum anderen gilt es, schon früher anzusetzen und bestehende Hürden in Ausbildung und Forschung abzubauen, um mehr junge Frauen für die Forschung zu gewinnen. Nicht umsonst betont UNESCO-Generaldirektorin Audrey Azouley: „Nur wenn wir alle Wissensquellen und Talente nutzen, können wir das Potenzial der Wissenschaft ausschöpfen und die Herausforderungen unserer Zeit meistern.“