Ein Plädoyer für Lobreden im Alltag, das Kompliment im Vorbeigehen und das kleine „Dankeschön“ zwischendurch. Glücksgefühle bei allen Beteiligten sind garantiert.
Als vor wenigen Jahren meine Großmutter starb, setzte ich mich hin und schrieb einen Brief. Seinen Inhalt hatte ich schon während der Monate davor mit mir herumgetragen.
Es waren all die kleinen Gedanken und gemeinsamen Erinnerungen, die mir kamen, als ich sie über Jahre an ihrem Krankenbett besuchte. Über manche plauderten wir, über andere nicht. Es waren die Momente, die wie ein Puzzle einen wichtigen Teil meiner Kindheit ausmachten. Die Stunden im Garten mit meiner Großmutter, gemeinsames Backen und Essen, Feste, Ausflüge, Reisen … die vielen Dinge, die Eltern und Großeltern ganz einfach tun und die man später als Essenz der Kindheit empfindet.
Beim Begräbnis meiner Großmutter wollte ich diese Gedanken nicht in der Kirchenbank still für mich behalten, sondern vor allen über sie sprechen.
Einmal eine Lobrede halten
Die Rede selbst war ein großer Moment für mich. Ich hatte das Gefühl, meine ganze Trauerarbeit in diesen Minuten abzuleisten. Ich merkte, dass es wichtig war, meine Großmutter auch aus meiner Perspektive, aus der des Enkelkinds, zu beschreiben. Ich spürte, dass ich viele Menschen im Kirchenraum berührte, viele sprachen mich an, sogar Briefe habe ich in den Tagen danach bekommen. Eine Tante nahm mich bei der Trauerfeier zur Seite und sagte: „Deine Rede war wirklich schön. Aber hast du ihr das alles auch einmal gesagt?“ Dieser Satz ließ mich nicht mehr richtig los.
Natürlich habe ich meiner Großmutter für vieles gedankt, mit ihr immer wieder gemeinsame Erinnerungen ausgetauscht. Aber eine richtige Laudatio, eine große Lobrede, habe ich ihr nie gehalten. Warum fällt es manchmal leichter, über Menschen Gutes zu sagen, wenn sie nicht (mehr) da sind? Warum sagt man so vieles im Alltagstrubel gar nicht? Betrachtet man Menschen ehrfürchtiger, wenn man auf ein vergangenes Leben zurückblickt? „Nihil nisi bene“ – „nichts außer Gutes“ – soll bedacht werden, wenn man über verstorbene Menschen spricht.
Warum fällt es im Alltag oft schwerer, einmal nur Gutes zu sagen? Auch die besonders geliebten Menschen bekommen oft mehr Kritik als Lob. Vielleicht glaubt man, dass großartige Menschen ohnehin wissen, wie großartig sie sind?
Lob tut gut
Kürzlich wurde eine bekannte Schauspielerin bei einer Gala im Fernsehen für ihr Lebenswerk geehrt. In ihrem roten Abendkleid saß sie aufgeregt wie ein kleines Mädchen auf ihrem Sessel und hörte sich die kaum enden wollende Laudatio an, die ein Schauspielkollege für sie hielt. Es war spannend, sie dabei zu beobachten. Man spürte, dass sie die Minuten genoss. Es war mit Sicherheit nicht die erste solche Würdigung, die sie erfuhr, und wohl auch nicht die letzte – und doch sagte sie in ihrer Dankesrede: „Es tut gut.“ Es tut einfach gut, gelobt und gefeiert zu werden.
Das geht nicht nur SchauspielerInnen so. „Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze“, heißt es in Schillers „Wallenstein“. Für SchauspielerInnen ist der Beifall hier und heute wichtig. Nicht jeder braucht so viel Applaus und Bestätigung wie KünstlerInnen, Lobreden tun aber jedem Menschen gut. Wann finden sie Platz im Alltag? Bei runden Geburtstagen, auf Hochzeiten, bei beruflichen Erfolgen, damit hat es sich dann auch schon. Meine Großmütter, die beide wunderbare Frauen waren, haben wahrscheinlich zu wenige Lobreden bekommen.
Die Kraft zu geben
Das Loben und die Dankbarkeit beschäftigen offenbar nicht nur mich. In den Buchhandlungen gibt es immer mehr Bücher, die sich der Dankbarkeit widmen. „The Power of Giving“ und „The Power of Receiving“ heißen zwei amerikanische Bestseller, die sich dem Geben und dem Empfangen widmen. Podcasts und Magazine sind ebenfalls voll mit dem Thema „Dankbarkeit“. In Ratgebern für Führungskräfte wird richtiges Feedback beschrieben, und auch davon kann man etwas lernen.
Feedback – und nichts anderes sind Lobreden ja schließlich – soll regelmäßig erfolgen, authentisch und schnell und direkt sein. Lieber öfter ein kleines „Danke“, ein Lob oder ein Kompliment, als auf den großen Moment des Dankesagens warten, der vielleicht gar nicht kommt.
Anerkennung und Dank
Kürzlich bin ich auch auf einen TEDTalk zum Thema „Dankbarkeit“ gestoßen. Bei TED-Events auf der ganzen Welt sprechen Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen über inspirierende Themen. Die Autorin und Medizinerin Laura Trice sprach über die Wichtigkeit von „Lob, Anerkennung und Dank“. Sie hatte erlebt, dass etwas sie hemmte, wenn sie jemanden loben oder ihm danken wollte, und versuchte herausfinden, was sie hinderte. Also sprach sie mit anderen Menschen über ihre Erfahrungen.
Sie erzählte von einem Mann, dessen größte Verletzung war, dass sein verstorbener Vater ihm nie gesagt hatte, wie zufrieden er mit ihm war. Erst über FreundInnen und Verwandte erfuhr er, dass sein Vater ihnen stolz von ihm erzählt hatte. Der Vater hatte vielleicht einfach nicht gewusst, dass auch sein Sohn das hören wollte. Laura Trice plädiert dafür, dass man Lob für sich auch einfordert und dass man sich dadurch auch ruhig verletzlich zeigen kann.
Wie schön du bist
Was passiert, wenn man Menschen seine Dankbarkeit zeigt, ihnen ein Kompliment macht, können wir jeden Tag aufs Neue ausprobieren. Die Amerikanerin Shea Glover machte dazu als 18-jährige Schülerin ein Experiment an ihrer Highschool: Sie filmte ihre MitschülerInnen und LehrerInnen, während sie ihnen sagte, dass sie schön seien.
Das Video dazu wurde im Internet über 18 Millionen Mal angesehen. Es ist faszinierend, den Menschen zuzusehen, wie sie auf das Kompliment reagieren. Sie beginnen zu lächeln oder zu lachen, bekommen weichere Züge, werden ein wenig größer.
Jeder weiß, dass es guttut, ein Kompliment zu bekommen. Trotzdem ist es nicht immer leicht, eines auszusprechen. Aber es ist einen Versuch wert. Wie sagen Sie Ihren Mitmenschen, dass Sie sie schätzen? Wagen Sie eine Laudatio auf einen geliebten Menschen – als Brief, als Rede beim nächsten Geburtstag oder einfach so. Glücksgefühle bei allen Beteiligten sind garantiert.
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Shea Glover filmte MitschülerInnen und LehrerInnen, während sie ihnen diesen Satz sagte. Die Bilder aus dem Video zeigen die Reaktionen darauf.
Aus: YouTube „People react to being called beautiful“