Nachhaltig wirtschaften: Vier Vorreiter aus Österreich

Nachhaltig wirtschaften: Vier Vorreiter aus Österreich
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  • Veröffentlicht: 14.09.2021
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„BioBalkan“, „ummadum“, „Fairmittlerei“ oder „eMagnetix“ – diese Firmen zeigen: Es geht auch anders. Wie Unternehmen in Österreich gerechter, sozialer und ökologischer arbeiten.

Hans Jörg-Hummer von BioBalkan

Biobalkan: nachhaltige Paprikapaste gibt Frauen Jobs

Hans-Jörg Hummer bringt mit seinem Start-up „BioBalkan“ kulinarische Spezialitäten der südlichen Nachbarn nach Österreich. Produziert werden sie von armutsgefährdeten Frauen.

Im Sommer herrscht Hochbetrieb im Radanska Ruza. In dem südserbischen Sozialbetrieb sind zwischen 15 und 40 Frauen beschäftigt, die am regulären Arbeitsmarkt keine Chance hätten. Etwa, weil sie eine Behinderung oder keine Berufsausbildung haben oder Alleinerzieherinnen sind.

Sie tragen rot-weiß karierte Schürzen und Kopftücher, sie schnipseln und schmoren Paprika in riesigen Kochtöpfen, um daraus die Paprikapaste Aivar zuzubereiten, die als Würze oder Aufstrich in den Balkanländern zu den Grundnahrungsmitteln gehört.

Von einer Idee zum nachhaltigen Start-up

Die ersten Gläschen brachte Hans-Jörg Hummer im Kofferraum seines Pkw für eine Foodcoop nach Österreich. Bei einem Kaffee mit Freunden entstand die Idee, dass aus diesem Transport mehr werden könnte. Der studierte Jurist betreute im Rahmen der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit 15 Jahre lang Projekte in Serbien, Bosnien und Montenegro und lebte währenddessen auch in der serbischen Hauptstadt Belgrad. Ein Geschäftsmodell zu entwickeln, das auch eine soziale Komponente hat, war daher für ihn naheliegend.

Start-up BioBalkan

Frauen aus Serbien, Bosnien und Montenegro haben dank des Start-ups „BioBalkan“ eine wertvolle, nachhaltige Arbeit. Ein Wirtschaftskonzept mit sozialem, ökologischem und ökonomischem Charakter.

Vor vier Jahren gründete Hummer sein Start-up „BioBalkan“. Bis er die ersten Gläser Aivar, Pindur-Brotaufstrich aus Paprika, Tomaten und Melanzani, Fruchtaufstriche und Haselnussmus online auf www.biobalkan.info und in ausgewählten kleinen Läden anbieten konnte, war es jedoch ein langer Weg. Denn Biolandwirtschaft steckt am Balkan noch in den Kinderschuhen.

Hummer begleitete die Bauern jahrelang und musste viel Überzeugungs- und Aufbauarbeit leisten. Im Sinne von Fair trade gibt „BioBalkan“ den Landwirten langjährige Abnahmegarantien und zahlt auch einen höheren Preis.
Hans-Jörg Hummer arbeitet zurzeit mit vier Betrieben in Serbien, Nordmazedonien sowie Bosnien und Herzegowina zusammen und kooperiert in Österreich mit der Caritas Wien.

„Ich habe eine sehr schöne, sinnstiftende Arbeit!“

In Nordmazedonien stellt die Familie Nelkoski Cremes aus Haselnüssen her, die von einer Genossenschaft für Kleinbauern und aus eigenem Anbau stammen. Die Kooperative „EkoLife“ in der Herzegowina verarbeitet mediterranes Obst, angebaut von Kriegsveteranen, die sich mit kleinen Landwirtschaften eine neue Existenz scha en. Und der Verein „Optimist“ organisiert Wildsammler im entlegensten Winkel Serbiens, um Hagebutten und Pilze zu sammeln. „Ich habe eine sehr schöne, sinnstiftende Arbeit“, sagt Hummer, der sich freut, endlich wieder an den Balkan reisen zu können.

Die Mitfahr-App ummadum

ummadum: Mitfahr-App – gemeinsam fahren & Punkte sammeln

René Schader und Thomas Angerer entwickelten eine App, die klimafreundliche Mobilität belohnt.

Die Autos voller und Straßen leerer machen – mit diesem Ziel gründeten die beiden Freunde René Schader und Thomas Angerer 2017 das Tiroler Start-up „ummadum“ und entwickelten eine Mitfahrbörsen-App. Das Besondere daran ist ein Belohnungssystem, das nachhaltige Mobilität honoriert. Das Prinzip funktioniert so: Ein/e Pkw-LenkerIn erhält für jeden Kilometer pro MitfahrerIn acht, der/die MitfahrerIn zwei „ummadum Punkte“ (UP).

Wie funktioniert die Mitfahr-App „ummadum“?

Ein Punkt entspricht dabei jeweils einem Cent. Eingelöst werden können die Punkte bei Supermärkten und kleineren regionalen Geschäften. Eine Krankenschwester, die zum Beispiel viermal pro Woche eine/n PendlerIn mitnimmt und täglich 30 Kilometer zurücklegt, sammelt im Monat 3.800 UP. Das entspricht einem Guthaben in der Höhe von 38 Euro, ihr/e MitfahrerIn bekommt 1.000 UP (entspricht zehn Euro), und das Mitfahren spart 81 Kilogramm CO2 ein.

Umweltfreundlicher Autofahren

„Der Fahrer erscheint in der App mit Profilbild und Bewertung, damit ich weiß, bei wem ich einsteige“, erklärt René Schader und setzt hinzu: „Wir haben uns überlegt: Wie kann es gelingen, dass sich die Menschen umweltfreundlicher
bewegen?“ Die App versteht sich als Ergänzung zum öffentlichen Verkehr und soll mehr Mobilität in den ländlichen Raum bringen.

Die Gründer der Mitfahre-App ummadum

Jemanden via App im Auto mitnehmen und Punkte kassieren – die Mitfahr-App „ummadum“ schafft es mit dem umweltfreundlichen Konzept, mittlerweile 19 Mitarbeiter zu beschäftigen.

Österreich – Land der PendlerInnen

Die beiden Kärntner, die im selben Dorf aufwuchsen, machten schon in ihrer Jugend die Erfahrung, dass man am Land ohne eigenes Auto nicht mobil ist. Später ärgerten sie sich über verstopfte Straßen, Parkplatznot und Zeitverlust. Denn Österreich ist ein Land der PendlerInnen. Mehr als die Hälfte der Erwerbstätigen arbeitet außerhalb der Heimatgemeinde, ein Großteil der Fahrten wird mit dem Auto zurückgelegt.

Doch diese Pkw sind im Schnitt nur mit 1,06 Personen
besetzt. Um Autos besser auszulasten und Zeit und Nerven zu sparen, entwickelten René Schader und Thomas Angerer ihre App. Inzwischen belohnt „ummadum“ auch RadfahrerInnen und Zu-Fuß-GeherInnen.

Belohnung für Radfahren und Gehen

Im Zuge der Corona-Pandemie haben Schader und Angerer ihr Angebot erweitert, um Menschen zu vernetzen, die Hilfe anbieten – wie Lebensmittel transportieren oder zur Apotheke fahren – oder Hilfe suchen. Für jeden Kilometer, der mit dem Rad zurückgelegt wird, gibt es 20 „ummadum Punkte“, also 20 Cent, für jeden Kilometer, der zu Fuß gegangen wird, 30 Punkte (30 Cent).

„Ummadum“ versteht sich vor allem als Mobilitätsvermittler. Wo derzeit keine privaten Fahrten verfügbar sind, bietet die App eine Routenplanung mit den Öffis an. Inzwischen steht die App kostenfrei in ganz Österreich zur Verfügung „Im Westen wird sie mehr genutzt als im Osten. Aber in Wien sind ja auch die Öffis extrem gut ausgebaut“, erklärt Schader, dessen Unternehmen inzwischen auf 19 Mitarbeiter gewachsen ist und neben Innsbruck auch in Wien
einen Standort hat. 2022 soll die App auch in Deutschland und der Schweiz an den Start gehen.

eMagnetix hat die 30-Stunden-Woche eingeführt

eMagnetix: Work-Life-Balance – 30 Stunden, volles Gehalt

Die oberösterreichische Firma „eMagnetix“ hat die 30-Stunden- Woche bei vollem Lohnausgleich eingeführt. Ein Modell mit Zukunft?

Klaus Hochreiter ist Geschäftsführer von „eMagnetix“, einer oberösterreichischen Firma für Onlinemarketing. Als er vor drei Jahren die Arbeitszeit für alle MitarbeiterInnen auf 30 Stunden bei vollem Lohnausgleich reduzierte, sorgte das für ein gewaltiges Medienecho.

Die Idee war aus der Not heraus geboren, denn vor rund vier Jahren stand Geschäftsführer Klaus Hochreiter vor einem Problem: „Die Geschäftslage und die Aufträge waren gut, aber wir bekamen keine qualifizierten Mitarbeiter
mehr.“

Jede/r Zweite wünscht sich 30-Stunden-Woche

Der Unternehmer recherchierte und stieß schließlich auf Unternehmen in Schweden, die die 30-Stunden-Woche eingeführt hatten. „Das ist es!“, dachte er. Laut Umfragen wünschen sich in Österreich die meisten Menschen, 31
Stunden in der Woche zu arbeiten, tatsächlich sind es aber 41 bei Vollzeit.

Warum also nicht versuchen, diese Schere zu schließen? Für Hochreiter war klar: Das Gehalt muss dabei so hoch bleiben, wie es vorher war. „Wir wollten nicht, dass sich die MitarbeiterInnen einen Zweitjob suchen müssen, weil sie sich ihr Leben nicht mehr leisten können, oder das Thema Altersarmut einmal schlagend wird.“

Klaus Hochreiter

Bei „eMagnetix“ arbeiten die Menschen nur noch 30 Stunden pro Woche. Geschäftsführer Klaus Hochreiter sorgte damit für mehr Mitarbeiter-Zufriedenheit, Berufs-Attraktivität für WiedereinsteigerInnen und verzehnfachte Bewerberzahlen.

Doppelter Umsatz mit 30-Stunden-Woche

In einer langen Planungsphase wurden Arbeitsprozesse analysiert, effizienter gemacht und beschleunigt. Nach einem Testlauf und einem Zwischenschritt mit 34 Stunden Wochenarbeitszeit führte die Firma im Oktober 2018 die 30 Stunden-Woche ein. Rückblickend kann er sagen: „Die Bewerberzahlen haben sich seither verzehnfacht, wir haben heute statt 16 sogar 35 MitarbeiterInnen“. Und auch der hohe finanzielle Umstrukturierungseinsatz zahlte sich aus, der Umsatz hat sich verdoppelt.

Work-Life-Balance

Bei einer Umfrage aus dem Vorjahr gaben 83 Prozent der MitarbeiterInnen an, sich seit der Umstellung gesünder zu fühlen als vorher, und 100 Prozent sagten, sie könnten Beruf und Privatleben deutlich besser miteinander vereinbaren.

Die Kunden lobten ebenfalls die hohe Produktivität und Qualität. „Zufriedene MitarbeiterInnen und zufriedene KundInnen: Wenn diese zwei Parameter stimmen, dann kommt der wirtschaftliche Erfolg von allein“, sagt Hochreiter, der in der Coronakrise noch das Homeoffice etablierte.

Gleichberechtigung dank flexibler Arbeitszeiten

Mittlerweile lässt er auch die Wahl, ob MitarbeiterInnen die 30 Stunden an vier Tagen absolvieren und Montag beziehungsweise Freitag frei haben oder ob sie die Arbeitszeit auf fünf Tage aufteilen. Mit dem Angebot flexibler Arbeitszeiten will der Unternehmer auch einen Beitrag zu mehr Geschlechtergerechtigkeit leisten. 60 Prozent der Belegschaft seien Frauen. Mit der 30-Stunden- Woche falle es Wiedereinsteigerinnen leichter, rascher wieder Vollzeit zu arbeiten, als bei einem herkömmlichen 40-Stunden-Job und damit für die Pension vorzusorgen.

Die Fairmittlerei

Fairmittlerei: „Fairmitteln“ statt verschwenden

Michael Reiter-Coban rettet mit der „Fairmittlerei“ Ausschussware vor dem Müll.

Das Etikett klebt schief oder die Verpackung hat die falsche Farbe: Etliche Waren landen schon während der Produktion oder später im Handel im Müll, weil sie für das Regal zu wenig perfekt sind. Michael Reiter-Coban arbeitete im Marketing des Konsumgüterherstellers Henkel, folgende Frage beschäftigte ihn lange: „Was kann man tun, um gebrauchstüchtige Produkte vor dem Müll zu retten?“ Immerhin gibt es gemeinnützige Organisationen, die diese Produkte dringend benötigen.

Was genau macht die „Fairmittlerei“?

Gemeinsam mit drei Freunden gründete Reiter-Coban dann vor fünf Jahren die „Fairmittlerei“ – einen Verein, der Produkte, die von Industrie und Handel nicht mehr verkauft werden können, gegen eine kleine Provision an NGOs vermittelt. 65.000 Kilogramm an Produkten hat das Start-up nach eigenen Angaben bisher vermittelt und damit ebenso viel Müll eingespart.

Michael Reiter-Coban von der Fairmittlerei

Gegen die Produkt-Verschwendung: Non-Food-Erzeugnisse landen dank Michael Reiter-Coban bei Menschen, die sie brauchen, statt auf dem Müll.

Müll einsparen und dabei helfen

Das Sortiment umfasst ausschließlich Artikel aus dem Non-Food-Bereich, wie Körperpflegeprodukte und Hygieneartikel, Bürobedarf, Schulartikel, Arbeitskleidung, Werkzeug, Babyartikel und – derzeit besonders viel – Desinfektionsmittel. Die Waren bekommt der Verein kostenlos direkt von Produzenten und Handel, etwa Henkel, Procter & Gamble, Lidl, Kastner oder Haberkorn – immerhin sparen die Firmen so Lager- und Entsorgungskosten.

Die Produkte werden teilweise von den Unternehmen zugestellt, teilweise auch von den 15 ehrenamtlichen MitarbeiterInnen abgeholt und in ein Lager gebracht, dann werden sie über den Webshop der „Fairmittlerei“ angeboten. Die Preise betragen etwa 20 bis 25 Prozent des originalen Warenwerts.

Die Produkte können allerdings nur von NGOs erworben werden. „Es wäre zu kompliziert, Privatpersonen auf ihre Bedürftigkeit zu überprüfen“, sagt Reiter-Coban. Außerdem habe der Bedarf der NGOs durch die Coronakrise zugenommen, weil Subventionen gestrichen wurden und zugleich die Zahl der Menschen, die auf Unterstützung durch NGOs angewiesen sind, gewachsen ist.

Michael Reiter-Coban ist im Brotberuf Trainer in der Erwachsenenbildung, für die „Fairmittlerei“ arbeitet er ehrenamtlich, sie ist sein Herzensprojekt. Mit dem Umsatz können lediglich die eigenen Kosten gedeckt werden. Künftig möchte Reiter-Coban noch mehr Firmen und gemeinnützige Organisationen erreichen. Helfende Hände sind herzlich willkommen.

Welt der Frauen September 2021

Mehr über interessante Menschen, anregende Projekte und Termine, die man sich merken sollte, erfahren Sie in unserer September-Ausgabe 2021, die Sie hier bestellen können. 

Fotos: BioBalkan, Jürgen Schmücking, Ummadum, Leighton Hanson, eMagnetix