Ein Hoch auf Mutausbrüche

Ein Hoch auf Mutausbrüche
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  • Veröffentlicht: 24.10.2023
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Es war an einem Herbsttag vor etwa fünf Jahren, als ich ihn hatte: meinen persönlichen Mutausbruch. Ich war gerade mit meinem dritten Kind schwanger und zählte schon die Tage bis zum Mutterschutz, als ich in den sozialen Medien auf einen Beitrag stieß, der mein Leben veränderte.

Zu dieser Zeit war meine älteste Tochter elf Jahre alt. Seit ihrer Geburt hatte ich mich zum großen Teil um das Aufziehen meiner Kinder, das Familienmanagement und den Haushalt gekümmert. Ganz klassisch trug ich mit meinem Teilzeiteinkommen zur Aufbesserung des Haushaltsbudgets bei. Jedoch spürte ich schon immer dieses ambivalente Gefühl, dass ich zwar sehr gerne bei meinen Kindern zu Hause bin, aber nicht ausschließlich. Ich liebte auch meinen Beruf und vor allem auch meine Unabhängigkeit.

An jenem Herbsttag vor fünf Jahren las ich einen Social-Media-Beitrag, der mein Leben veränderte: „Armutsfalle Teilzeit – die finanzielle Unabhängigkeit der Frauen“. Wie gebannt las ich diesen Artikel, fühlte mich angesprochen. Ich hatte sechs Jahre in meinem Leben Vollzeit gearbeitet. Danach kamen meine beiden Kinder zur Welt und ich war Teilzeit in einem Sozialberuf tätig. Ich liebe meinen Mann und möchte auch mit ihm alt werden, aber ist das wirklich eine Altersvorsorge? Ich begann mich in das Thema finanzielle Unabhängigkeit zu vertiefen und mir wurde bewusst, dass ich ganz viel Mut brauchen würde, um die Situation zu ändern.

Mutprobe Studium

Die ersten Mutressourcen brauchte ich schon nach der Geburt unseres dritten Kindes. Mein Mann wollte unbedingt in Karenz gehen. Da aber das Karenzgeld nach dem Gehalt der Mutter berechnet wird und eine fünfköpfige Familie von einem Teilzeiteinkommen unmöglich leben kann, wurde ihm das verwehrt. Es gab viele Abende, an denen wir diskutierten und er mich um die viele Zeit mit den Kindern beneidete und ich ihn um seine finanzielle Unabhängigkeit. 

Somit fasste ich all meinen Mut zusammen und beschloss zu studieren. Ein Fach, das ich schon immer absolvieren wollte und das mich schon mit 16 Jahren begeistert hat: Psychologie. Dieser Entschluss und die Reaktionen darauf forderten all meinen Mut. Ich wohne auf dem Land und hier ist es nicht Usus, dass eine dreifache Mutter, noch dazu mit einem Kleinkind, ein Studium beginnt. Kopfschütteln, Augenverdrehen oder skeptische Fragen („Tust du dir das wirklich an?“) waren die gängigsten Rückmeldungen darauf. Ja, ich habe es mir angetan. Ja, ich habe mich getraut und habe trotz des vielen Unverständnisses immatrikuliert. Da mich das Studium dermaßen begeisterte, gelang es mir, innerhalb von zweieinhalb Jahren meinen Bachelor in Psychologie abzuschließen.

Heute fragen mich viele verwundert, wie ich das geschafft habe. Ich habe mir darüber selbst oft Gedanken gemacht. Dabei kann ich auf fünf wesentliche Aspekte zurückblicken, die zum Gelingen beigetragen haben:

  1. Ich habe meine Angst und Unsicherheit wahrgenommen, akzeptiert, angenommen und es trotzdem gemacht.
  2. Bewusstere Zeiteinteilung: Statt jeden Abend den Fernseher anzuschalten oder mich mit Leuten zu treffen, die mir nicht guttun, habe ich die Zeit genutzt, um in meine Unterlagen zu blicken.
  3. Ich habe einen Bereich gefunden, der mich wirklich interessiert. Das Studium war für mich wie ein Hobby, eine Auszeit, Zeit für mich. Endlich konnte ich mich in Themen vertiefen, die mich schon lange beschäftigten.
  4. Das erforderte den größten Mut: Schwäche zuzugeben und Unterstützung zu holen. Ich habe mich getraut, Hilfe anzunehmen und habe sie in Form von technischer Unterstützung, BabysitterInnen und beim Lernen bekommen.
  5. Und eine der wichtigsten Haltungen: Loslassen der Perfektion – sei es im Haushalt, bei der Kindererziehung oder bei mir selbst.

Auf zu neuen Rollen

Noch während des Studiums bekam ich ein sehr ansprechendes Jobangebot und dafür brauchte ich erneut einen richtig großen Mutausbruch. Mein Mann und ich entschieden uns, die Rollen zu tauschen. Seit Anfang dieses Jahres geht er Teilzeit arbeiten und kümmert sich um die Kinder und den Haushalt. Ich arbeite Vollzeit. Es fällt mir schwer, in Worte zu fassen, wie sehr mich diese Entscheidung herausforderte. Einerseits konnte ich meinen beruflichen Traum leben, andererseits hatte ich Angst, die Beziehung zu den Kindern zu vernachlässigen oder meine Ressourcen zu erschöpfen. Ein großes Thema waren auch die neuen beruflichen Anforderungen. Würde ich diesen gerecht werden?

„Ich lerne, dass man auch als vollzeitarbeitende Mutter eine gute Beziehung zu seinen Kindern haben kann und dass ein Perspektivenwechsel die Partnerschaft bereichern kann.“

Mittlerweile habe ich jedoch ganz gut gelernt, mit meinen Bedenken umzugehen. Ohne Angst gäbe es den Mut nicht. Dieser Gedanke bestärkte mich sehr. Nach fast einem Jahr kann ich sagen, dass es sich gelohnt hat. Es ist irrsinnig inspirierend, spannend und lehrreich, eine andere Rolle einzunehmen und Menschen dabei zu beobachten, wie sie darauf reagieren. Eine weitere Erkenntnis war auch, dass sich meine Befürchtungen nicht bewahrheitet haben, so wie viele unserer Sorgen umsonst sind. Ich lerne, dass man auch als vollzeitarbeitende Mutter eine gute Beziehung zu seinen Kindern haben kann und dass ein Perspektivenwechsel die Partnerschaft bereichern kann. Mittlerweile habe ich Spaß daran, Rollenbilder über Bord zu werfen und denen mutig in die Augen zu blicken, die nicht glauben können, dass „frau so etwas macht“. Und das Beste daran: Ich würde es immer wieder so machen!