Als Reformpädagogin hat Maria Montessori Geschichte geschrieben. Der gleichnamige Kinofilm der französischen Regisseurin Léa Todorov erzählt eine Emanzipationsgeschichte.
„Hilf mir, es selbst zu tun“ – individuelles Lernen in einer vorbereiteten Umgebung statt Frontalunterricht: Das Grundprinzip der Montessori-Pädagogik ist weltweit bekannt. Weniger bekannt ist hingegen das Leben der Gründerin Maria Montessori. Die Ärztin, Reformpädagogin und Philosophin, die 1870 im italienischen Chiaravalle geboren wurde und 1952 in den Niederlanden verstarb, war eine der ersten Frauen, die in Italien Medizin studieren durfte und 1896 den Doktortitel erlangte. Anfang des 20. Jahrhunderts revolutionierte sie die Pädagogik mit ihren Methoden einer Erziehung, die auf Individualität und Selbständigkeit aufbaut statt auf Zwang und Gewalt. Dreimal wurde die Reformpädagogin, die sich für Kinderrechte und den Weltfrieden einsetzte, für den Friedensnobelpreis nominiert.
Maria Montessori und ihre Gedankenwelt sind aber auch voller Ambivalenzen. Sie soll – als Kind ihrer Zeit – Hitler und Mussolini zugetan gewesen sein, ihr Denken rassistisch-eugenisch geprägt, ihre Vision, die Erschaffung eines „neuen, perfekten Kindes“, wie die Erziehungswissenschaftlerin Sabine Seichter in ihrem unlängst erschienenen Buch mit dem Titel „Der lange Schatten Maria Montessoris. Der Traum vom perfekten Kind“ (Beltz Verlag) beschreibt. Später wurden Montessoris Methoden unter dem italienischen Faschismus und dem deutschen Nationalsozialismus verboten. Heute gibt es in vielen Teilen der Welt Schulen und Kindergärten, die nach Montessori arbeiten.
„Léa Todorov erzählt eine Geschichte über Frauensolidarität, Mutterschaft und Emanzipation.“
Die französische Regisseurin Léa Todorov lässt diese kritischen Aspekte in ihrem fast zeitgleich zu Seichters Buch erscheinenden Historienfilm „Maria Montessori“ außen vor und erzählt eine Geschichte über Frauensolidarität, Mutterschaft und Emanzipation. Maria Montessori befindet sich in ihren ersten Berufsjahren, sie kämpft um die Anerkennung ihrer Methoden, und private Turbulenzen machen ihr zu schaffen. Mit ihrem Kollegen, dem Psychiater Giuseppe Montesano, betreibt sie ein Institut für Kinder mit Beeinträchtigungen. Die Lorbeeren erntet jedoch ihr Partner Montesano, auch ein Gehalt bekommt sie als Institutsleiterin nicht.
Montessori und Montesano haben einen gemeinsamen Sohn. Im Alter von zwei Jahren bringen sie ihn bei einer Pflegefamilie unter. Die Trennung von ihrem Sohn belastet die unverheiratete junge Ärztin zunehmend, aber die Mutterrolle ist nicht mit ihrer Arbeit in einem Heim für behinderte Kinder vereinbar, zudem fürchtet sie die gesellschaftliche Schmach. Erst als Mario 15 Jahre alt ist, nimmt sie ihn zu sich, zuerst als ihren Neffen und erst später als ihren Sohn.
Eine unerwartete Freundschaft
Regisseurin Léa Todorov verwebt in ihrem Film den Lebensabschnitt der jungen Maria Montessori mit der fiktiven Geschichte von Lili d’Alengy, einer Prostituierten aus Paris. Beide Frauen befinden sich an einem Wendepunkt ihres Lebens. Und beide Frauen passen so gar nicht in das stereotype Bild der sich aufopfernden, innig liebenden Mutter. Maria Montessori möchte endlich ihre Vision einer neuen Lehrmethode verwirklichen, aber dafür fehlen ihr die finanziellen Mittel, und Lili muss sich nach dem Tod der Großmutter, bei der sie ihre geistig behinderte Tochter Tina untergebracht hatte, nun selbst um ihre Tochter kümmern. Weil sie sich für ihr Kind schämt und sich die Betreuung nicht mit ihrem Lebensstil vereinbaren lässt, reist sie nach Rom. Dort möchte Lili ihre Tochter in Maria Montessoris Heim für behinderte Kinder unterbringen. Es ist jedoch nur ein Platz für die Tagespflege frei, widerwillig bleibt Lili in Rom. Mit der Zeit lernt sie nicht nur ihre Tochter kennen und sie so zu lieben, wie sie ist, sondern sie erlebt auch, wie Tina durch die Montessori-Methoden aufblüht. Allmählich entwickelt sich zwischen Lili d’Alengy und Maria Montessori eine Freundschaft: Beide haben ambivalente Muttergefühle und beide sind starke Frauen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen und sich in einer patriarchalen Gesellschaft behaupten.
Die zwei Hauptdarstellerinnen Jasmine Trinca und Leila Bekhti beeindrucken durch ihre schauspielerischen Leistungen. Mit Feingefühl und eleganter Bildsprache verweben die Regisseurin Léa Todorov und die Drehbuchautorin Julie Dupeux-Harlédie die zwei Handlungsstränge zu einer Geschichte weiblicher Selbstermächtigung.