Mit dem Bobbycar in die Rosa-Hellblau-Falle

Mit dem Bobbycar in die Rosa-Hellblau-Falle
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  • Veröffentlicht: 12.04.2023
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Was ich von Bobbycars über Feminismus gelernt habe, wie ich höchstpersönlich in die Rosa-Hellblau-Falle getappt bin und fünf Grundregeln, damit das nicht wieder passiert.

Als unser jüngstes Kind sich mit etwa eineinhalb Jahren zum ersten Mal auf sein Bobbycar setzte, fiel mir etwas auf. Anders als die beiden großen Schwestern, die augenblicklich losfuhren, beobachtete mein Sohn eine gefühlte Ewigkeit, wie sich sein Drehen des Lenkrads auf die darunter liegenden Reifen übersetzte. Konzentriert, gespannt und neugierig beobachtete der Junior. Erst dann schubste er sich freudvoll weg und wusste von Anfang an genau, wie er dem Rutschauto Richtung geben konnte. Niemand hatte ihm gezeigt, wie er fahren sollte. Er lernte es anders, als ich es von den zwei Geschwisterkindern kannte. In dem Augenblick wurde mir bewusst: Sie sind verschieden und das ist gut so.

Natürlich könnte ich jetzt Klischees bemühen und sagen: „Ja, klar! Der Junge! Von Natur aus technisch begabt und interessiert.“ Es gab Zeiten, da war ich sicher, dass die Biologie viel von meinem Verhalten beeinflusst. Mittlerweile weiß ich, es hat sehr wenig mit meinem Geschlecht zu tun, sondern sehr viel mit dem, was ich gelernt habe.

„Die Rollenbilder, die wir auf subtile, unbewusste Art und Weise transportieren, wirken mit einer Intensität, die sich gewaschen hat.“

Mein Gehirn hat kein Geschlecht, aber viel gelernt

Da es mein Gehirn ist, das mich steuert – egal, ob es darum geht wie ich spreche, denke oder handle –, kann es definitiv keine Geschlechterfrage sein, warum der Junior das Bobbycar anders bedient. Denn ein Gehirn ist bei der Geburt weder weiblich noch männlich, sondern: menschlich. Kein Chromosom oder Gen hat darauf Einfluss, wie es sich entwickelt und verändert. Es lernt an hunderttausenden Situationen im Alltag und formt sich. Den Unterschied sieht man. Definitiv bei mir nach mehr als vier Jahrzehnten. Und ich hatte eben gesehen, dass das schon bei einem eineinhalbjährigen Bobbycarpiloten einen Unterschied macht. Weil er wie jedes Kind schon viel erlebt, gelernt und erfahren hat.

Von wem? An diesem Punkt kommen wir Erwachsene ins Spiel. Die Rollenbilder, die wir auf subtile, unbewusste Art und Weise transportieren, wirken mit einer Intensität, die sich gewaschen hat.

Voll in die Rosa-Hellblau-Falle hinein

Irgendwo hab ich einmal aufgeschnappt, dass wir schon mit Säuglingen anders sprechen. Wir bejubeln Jungs mehr für ihre körperliche Stärke, den festen Willen oder ihr kluges Köpfchen und loben Mädchen eher für ihr hübsches Aussehen, ihre liebevolle Fürsorglichkeit oder guten Manieren. Bei meiner Freundin, die gerade ihr Baby bekommen hat, kann ich selbst nachspüren, wie wahr diese Aussage ist. Ich bemühe mich fortan, die kleine Krabblerin für verschiedenste Attribute zu bewundern. Ganz ehrlich: Trotz meiner Überzeugung fühlt es sich teilweise eigenartig an. So tief sitzen die Bilder bei uns allen – und somit auch bei mir. Die Rosa-Hellblau-Falle nennt man das, wenn man geschlechtertypische Eigenschaften verstärkt. Ich tappe noch gelegentlich hinein, aber immer seltener.

Geformt wird unser Gehirn in jedem Moment und zwar von Sekunde eins an. Wenn wir erleben, wer das Baby tröstet, die Erwerbsarbeit leistet oder die Waschmaschine bedient. Wenn unsere Kinder beobachten, wer den Kühlschrank befüllt, die kaputte Lampe repariert oder das Auto lenkt. Wir speichern dies unbewusst als unser „Normal“ und leben danach – jedenfalls bis wir zu reflektieren beginnen oder uns eine Veränderung wünschen.

Ungerecht ist, dass es immer noch keine echte Chancengleichheit für Männer und Frauen gibt. Weil diese Schieflage schon früh entsteht, lohnt es sich, bereits in der Familie achtsam zu sein.

Fünf Dinge, die ich im Alltag in der Familie berücksichtige:

  • Farben haben kein Geschlecht, jeder Mensch darf alle Farben gut finden – ja, auch Glitzer!
  • Jedes Spielzeug ist für jedes Kind geeignet.
  • Jede Person im Haushalt kann kochen, reparieren, putzen, trösten oder aufpassen. Wer Dinge schon oft geübt hat, kann diese besser als andere.
  • Jeder und jede von uns kann alles lernen, was er oder sie will. Es gibt kein „Ich kann das nicht“, höchstens ein „Ich kann das NOCH nicht“.
  • Sprache ist mächtig und sie formt unser Gehirn mit jedem gesagten und gedachten Wort. Ich achte auf meine Sprache und bezeichne etwa Frauen als Ärztin, Ingenieurin oder Wissenschaftlerin und Männer als Koch, Lehrer oder Architekt.

Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Gleichwürdigkeit

Neulich saß ein Paar bei mir, das folgende Aufteilung lebt: Nachdem im ersten Jahr die Mutter die überwiegende Care-Arbeit übernommen hatte und der Vater die Erwerbstätigkeit, tauschten sie ihre Rollen. Nun ist der Vater beim gemeinsamen Sohn zuhause. Die Mutter geht Geld verdienen und alles dazwischen wird möglichst partnerschaftlich geteilt. Er kocht das Gemüse aus dem eigenen Garten mit dem Kleinen ein, betreut und versorgt das Kleinkind und erledigt dazwischen den Haushalt.

„Ich würd mir wünschen, dass du, wenn du mit Lukas allein bist, nicht gleich zu deiner Mama fährst und dich dort bekochen lässt.“ Spätestens bei diesem Satz aus seinem Mund war mir klar: Es ist keine Geschlechterfrage. Jeder Mensch möchte anerkannt werden, gleichberechtigt entscheiden können und ebenbürtig leben. Unabhängig davon, welchem Geschlecht man sich zugehörig fühlt. Das ist Feminismus pur.

„Eins ist echter Feminismus sicher nicht: männerfeindliches Denken und Handeln. Im Gegenteil.“

Sollen jetzt alle Väter die Rolle der Frau übernehmen? Nein, ganz gewiss nicht. Menschen sollen die Freiheit haben, selbstbestimmt zu entscheiden, wie sie leben möchten. Dafür braucht es Gleichberechtigung. Damit wir uns aus idealistischen Gründen für Rollen- und Arbeitsaufteilungen entscheiden, statt aus wirtschaftlichen. Damit wir ohne Nachteil regeln können, wer wie viel Zeit mit den Kindern verbringen darf, wer wie viel vom Erwerb leistet und wie man die Hausarbeit gemeinsam schultert. In gleichwürdigen Beziehungen entwickelt sich mehr Verständnis, Empathie und Gerechtigkeit. Und zwar für alle Seiten! Denn eins ist echter Feminismus sicher nicht: männerfeindliches Denken und Handeln. Im Gegenteil.

Wenn wir begreifen, wie sehr wir alle daran wachsen können, wenn wir uns ebenbürtig begegnen, umfassend im jeweiligen Tun respektieren und gegenseitig wertschätzen, werden wir verstehen, dass gelebter Feminismus pure Freiheit für Menschen jeden Geschlechts bedeutet. Darum brauchen wir Feminismus. Um diese Welt zu einem freundlicheren und helleren Ort zu entwickeln.

Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Gleichwürdigkeit aller Menschen sind Ihnen wichtig, so wie mir? Gratulation, Sie sind FeministIn! Wir profitieren davon, wenn Menschen ebenbürtig leben können. Auch wenn wir weiterhin Bobbycars verschieden lenken oder in Rosa-Hellblau-Fallen tappen – solange wir unsere verschiedensten Talente und Begabungen für ein gutes Zusammenleben einsetzen.

Foto: Marie Bleyer

Kerstin Bamminger

Psychologische Beraterin & Elementarpädagogin

Web: kerstinbamminger.com
Mail: lebendig@kerstinbamminger.com
Instagram: @die.beziehungsweise