Buchempfehlung: Von Ottakring nach Bruck an der Laa

Buchempfehlung: Von Ottakring nach Bruck an der Laa
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  • Veröffentlicht: 06.10.2021
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Drei liebenswerte Außenseiter sind auf der Suche nach ihrem Platz im Leben. „Du bist dran“ ist zum Lachen und zum Weinen schön – wie das echte Leben.

Der eindringliche Erzählton, der Rhythmus, der Sog der Szenen könnten auch vorgetragen werden: Am Mikro stünde dann die Autorin, der heimische Poetry-Slam-Star Mieze Medusa. Doch hier heißt es jetzt allein lesen und die drei Protagonisten voller Neugier zu beobachten. Es passiert wenig, aber doch so einiges und das ist dann ja auch wieder viel. Man trifft sich zuerst in Ottakring.

Agnesa ist 18, sie teilt sich ihr Zimmer mit ihrer griechischen Großmutter, hilft häufig im „Poseidon“ aus und hat früh gelernt, wie man die Gäste zum Träumen bringt: Einfach die Wände weiß streichen und eine Fischernetz an die Decke nageln. Die 18-Jährige wehrt sich gegen ihre Mutter, gegen ihre Familie und die wechselnden Partner ihrer Mutter. Richtig schlimm ist es aber dann, wenn sich Mama ohne ein Wort zu sagen, auf das Sofa legt. Der jeweils neue Liebhaber verändert Mama, sie passt sich dessen Vorlieben an, zieht mit ihren Kindern um, stets in der Hoffnung auf ein schöneres Leben.

„Das hier ist Ottakring, da kannst du auf der Straße einfach losheulen. Niemand wird dich fragen, was lost ist. Ich heule vor mich hin. Irgendwann ist mir kalt. Dann schleiche ich heim in die Wohnung. In mein Zimmer.“

Eduard, der zweite Protagonist, hat es da ruhiger, vielleicht zu ruhig. In der „unerträglichen Leichtigkeit von 0 und 1“ (so die Kapitelüberschrift auf Seite 15) fühlt sich der Computerexperte zwar nicht mehr so wohl wie früher, dennoch geht er hier seinen alten Leidenschaften nach, verweigert den Besitz eines Handys, lebt mit einem Festnetzanschluss und wundert sich, dass jetzt alle IT-Spezialisten Anzüge und Smartphones tragen.

Felicitas lebt in Bruck an der Laa, von dort aus will sie, die einstige linke Aktivistin, die Welt noch immer verändern. Sie ist immer dort, wo sich alle treffen, die immer und das zu allen Fragen eine Meinung haben. Dazu gibt es Kuchen auf Papptellern, den die Trachtenfrauen gespendet haben.

„Wenn schon Atombombe, dann wollten wir sie verschrotten! Und den Atomstrom gleich dazu. Danach und ein Glas Rotwein und eine Zigarre rauchen und auf der dünnen Haut des Patriarchats ausdrücken. Weil ja eine Zigarre manchmal wirklich nur eine Zigarre ist.“

Allen dreien Protagonisten ist gemeinsam, dass sie an den Idolen ihrer Popkultur festhalten. Agnesa liebt die Serie „Friends“, ist der Ärger besonders heftig, lädt sie ein Video von Beyoncé „Who run the world? Girls!“ Hier kümmern sich die Erwachsenen nicht um die 18-Jährige, die mit ihren Playlists, ihren Idolen und Serien gut über die Runden kommt, sie hat verstanden, dass es hier niemals um sie gehen wird.

Wie die Jugendliche bei ihren Jobbewerbungen behandelt wird, dokumentiert Alltag Jugendlicher auf Arbeitssuche in Österreich. Nein, die gehören noch nicht dazu, brauchen ihre Vorbilder, um über den Tag zu kommen und die Hoffnung aufrecht zu erhalten. Ja, einmal heißt es dann ja auch für sie „Du bist dran“.

Was Sie versäumen, wenn Sie diesen Roman nicht lesen

Ironie, Sprachwitz, schräge Charaktere, schrille Situationen und Lebensumstände, liebevolle Zeichnung von Außenseitern, Bemühen, den Alltag bereits in der Früh auf die Reihe zu kriegen, Rebellion in großen und kleinen Gesten

Die Autorin Mieze Medusa

steht als Rapperin und Spoken-Word-Performerin seit 2002 auf internationalen Bühnen, sie organisiert beziehungsweise moderiert in Österreich Poetry Slams; ihr Debütroman „Freischnorcheln“ ist 2008 erschienen, seither publizierte sie Prosatexte, Poetry-Slam-Textsammlungen, Theaterarbeiten sowie musikalisch-experimentelle Projekte unter anderem bei den Wiener Festwochen.

Mieze Medusa
Du bist dran. 
Residenzverlag 2021.
256 Seiten.

Christina RepolustChristina Repolust

Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at

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