Im Interview mit „Welt der Frauen“ geben Ordensfrau Maria Schlackl und Geschlechterforscher Erich Lehner Einblicke in den Menschenhandel, der inmitten unserer Gesellschaft tagtäglich passiert.
Tausende österreichische Männer kaufen täglich Sex von Prostituierten. Die Frauen, die für diese Aufgabe in unser Land gekommen sind, wurden meist unter Vorwänden, falschen Versprechungen oder Zwang dazu gebracht, stammen zu 90 Prozent aus wirtschaftlich schlecht funktionierenden Ländern.
„Sie bezahlen für eine illegale Einreise, um ihren Körper der Zwangsprostitution zur Verfügung zu stellen. Das verdiente Geld muss abgegeben werden,“ weiß Salvatorianerin Schwester Maria Schlackl (69), die eine der vehementesten österreichischen Kämpferinnen gegen diesen Frauenhandel ist. Sie ist die Gründerin der Initiative „Aktiv gegen Menschenhandel – aktiv für Menschenwürde“.
„Prostitution ist bezahlte Vergewaltigung – und der Staat kassiert mit“
Sabine Kronberger: Frau Schlackl, Sie gelten als unermüdliche Kämpferin gegen Zwangsprostitution und den damit verbundenen Menschenhandel, der stärker denn je vor unseren Augen über die Bühne geht. Was ist ihr Antrieb?
Maria Schlackl: Wir müssen diesen Frauen eine Stimme gegen, das Thema aufs Tapet bringen und sichtbar machen, was im Unsichtbaren täglich geschieht. Wir wollen ein Bewusstsein für das Phänomen Sexkauf schaffen. Erst wenn es inmitten unserer Gesellschaft in reifer Weise angesprochen wird, am Stammtisch, im Verein, unter Freunden, dann wird es auch wahrgenommen.
Viele Menschen sind der Meinung, dass es bei uns in Österreich keinen Menschenhandel gibt.
Schlackl: Es ist wichtig, dass die Wahrnehmung dafür geschult wird, die die Bilder zu diesem Thema verändert und richtige Aussagen und Fakten dazu tradiert werden. Erst wenn es in der Gesellschaft und auf politischer Ebene als Realität angekommen ist, kann auch eine Gegenbewegung gestartet werden. Wir sprechen von einer Parallelgesellschaft, in der ausgebeutete Personen, ohne Stimme in der Öffentlichkeit, existieren. Ich darf an dieser Stelle Oberst Gerald Tatzger vom Bundeskriminalamt Wien, verantwortlich für den Kampf gegen Schlepperei und Menschenhandel, zitieren. Er sagte erst in diesem Jahr, dass der Menschenhandel der am schnellsten wachsende Wirtschaftszweig auf der Welt ist. Und er floriert immer besser.
„Menschenhandel ist der am schnellsten wachsende Wirtschaftszweig der Welt!“
Wenn wir von Zwangsprostituierten sprechen, welche Frauen sind das?
Schlackl: Das sind Frauen aus wirtschaftlich armen Ländern, Frauen, die aus einem patriarchalen System kommen, in dem sich der Mann nehmen darf, was er braucht und als dominanter Part im Familien- und Gesellschaftssystem gesehen wird. Sie werden in der Annahme auf wirtschaftliche Besserstellung hierhergelockt, bezahlen Schlepper und Schmuggler und müssen jedoch als Sexarbeiterinnen arbeiten und im Nachhinein ihre Schulden bei den Menschenhändlern abbezahlen. Sie bezahlen für ihre eigene Vergewaltigung. Hier ist es unsere Aufgabe, für diese Frauen eine Stimme zu sein. Sie sitzen ohne Papiere in einem Bordell oder anderen Häusern fest, ohne eine Chance auf Entkommen. Sie sind Opfer.
Herr Lehner, wo Opfer sind, da müssen auch Täter sein. Wie kann man erklären, dass solche Dinge innerhalb einer Gesellschaft existent sein können?
Erich Lehner: Die Täter sehen sich zunächst nicht als Täter, die Freier empfinden sich als Männer, die sich in einer Welt der Möglichkeiten bedienen. Die Forschung hat in der Thematik der Zwangsprostitution stets den Ansatz bei den Frauen gesucht, das Forschungsfeld, das sich an den Männern orientiert, ist noch ein sehr junges. Wir sehen, dass sich Männer, die Sex kaufen kaum vom durchschnittlichen Mann unterscheiden. Jedoch kann man sagen, dass sie eher kurze Beziehungen, eher mehr sexuelle Kontakte haben, eher aus einem gewaltgeprägten Umfeld stammen und den Mann als den dominanten Part sehen. Sie leben ein tradiertes männliches Bild. Auch in den Fällen der Femizide der letzten Zeit, trafen diese Beschreibungen auf die Täter zu.
Wo sehen Sie den Hebel, um diese Form der Parallelgesellschaft und der Unterdrückung von Frauen in der Zwangsprostitution entgegenzuwirken?
Lehner: Gewalt spielt eine große Rolle. Und genau dieses Thema muss auf Seiten der Männer aufgerollt werden. Die durchschnittliche Männlichkeit wird durch Stärke, Gewaltbereitschaft und Konkurrenzkampf geprägt – und hier spreche ich natürlich nicht von allen Männern. Ich denke, dass hier das Nordische Modell ein zielführender Hebel sein könnte.
Worum handelt es sich beim Nordischen Modell?
Lehner: Es ist ein Prinzip, das beim Mann und nicht wie bisher bei der Prostituierten ansetzt. Grundgedanke ist, dass nicht mehr die Frauen für die Prostitution bestraft werden sollten, sondern der Mann, der diesen Dienst in Anspruch nimmt. Damit kommt der Mann in den Fokus. In Schweden und nordischen Ländern ein gelebtes Prinzip. Daher der Name.
„Nur wer Gleichstellung als System anerkennt, verweigert oder verachtet den Konsum von Prostitution“
Sind dort Erfolge oder messbare Parameter zu verzeichnen?
Lehner: Es ist damit gelungen, die Prostitution einzudämmen. Und es wird nach wie vor diskutiert, wie man dies noch steigern kann. Maria, du weißt da noch mehr.
Schlackl: Die Grundidee setzt bei der Gleichstellungsfrage an. Man fragt sich im Nordischen Modell: Was braucht es, um Menschenhandel einzudämmen? Das hat man in der Bildung geortet und setzt dort an, um den Kindern und Jugendlichen näherzubringen, dass es nicht in Ordnung ist, einseitig sexuelle Befriedigung zu kaufen – gegen den Willen der Frau. Grundlage dafür ist der Gleichstellungsgedanke. Nur wer Gleichstellung als System anerkennt, verweigert oder verachtet den Konsum von Prostitution. Früher wurden die Frauen bestraft, wenn sie illegal in nordischen Ländern weilten und sich prostituierten. In Schweden bestraft man diese Frauen nicht mehr. Denn sie sind ohne Papiere, ohne die Kenntnis der Sprache gar nicht in der Lage, der Zwangsprostitution zu entkommen und könnten dann auch noch dafür kriminalisiert werden. Deshalb fokussiert man sich auf den Mann und bestraft ihn, wenn er sexuell ausbeutet und merken sollte, dass es sich bei der Frau entweder um eine Minderjährige handelt oder sie sich nicht freiwillig in dieser Rolle befindet.
Wenn wir von dieser Sex-Industrie sprechen und Vokabeln wie schnellst wachsender Wirtschaftszweig betrachten, von welchen Summen in diesem Kreislauf können wir ausgehen?
Schlackl: Wir sprechen bei der weltweiten Sexindustrie von wirtschaftlichen Erfolgen: Die Internationale Arbeitsorganisation (International Labour Organisation, kurz ILO) schätzt den jährlichen Profit durch Menschenhandel mit mindestens 150 Milliarden US-Dollar ein, davon 100 Milliarden US-Dollar durch Frauenhandel. Die sexuelle Ausbeutung gilt eindeutig als Haupterscheinungsform. Es werden aber auch Fälle von Arbeitsausbeutung, Ausbeutung in der Bettelei und Ausbeutung durch Begehung von Straftaten verzeichnet. Und das Heikle daran ist: Das Erkennen der betroffenen Opfer ist eine große Herausforderung und erfordert Sensibilität der ermittelnden Beamten. Viele Betroffene fühlen sich selbst nicht als Opfer und erstatten daher keine Anzeige, denn sie sind zutiefst eingeschüchtert und haben meist Todesängste. Es geht einfach um richtig viel Geld. Die große Frage dazwischen ist dabei zusätzlich: Wo findet die Geldwäsche hierbei statt. Denn auch das ist ein Aspekt der Kriminalität.
„Viele Betroffene fühlen sich selbst nicht als Opfer und erstatten daher keine Anzeige. Sie sind zutiefst eingeschüchtert und haben meist Todesängste.“
Was kann die Gesellschaft oder jede Einzelne dazu beitragen? Hat diese Kriminalität nicht eine derart große Reichweite, dass man als Einzelperson gar nichts beitragen kann?
Schlackl: Wir können im Einzelfall jetzt nicht über Nacht helfen, aber wir können sensibilisieren. Ich werde von vielen Organisationen dazu eingeladen, über diese Themen zu referieren und aus meiner Arbeit im Kampf gegen Zwangsprostitution zu erzählen.
Aber muss man nicht die Veranlassung des Mannes, sich in diese Szenerie der Prostitution zu begeben, bekämpfen, Herr Lehner?
Lehner: Der Einstieg für einen Mann ist oftmals zufällig. Neugier ist hier der erste Treiber. Der Sex und die Möglichkeit einen reinen Sex ohne Verbindlichkeiten zu konsumieren. Das ist das Problematische. Wo soll man da im Einzelfall ansetzen? Das Bewusstsein zu schulen, dass im Hintergrund ein kriminelles Feld agiert, ist bei Freiern nicht vorhanden. Deshalb muss die Gesellschaft auf diese Problemfelder hingewiesen werden. Und dem Mann muss früh gelernt werden, dass ein neues Männerbild gültig wird. Weg vom aggressiven, kämpfenden Mann, hin zum sorgenden Mann. Hier spreche ich von der Beziehungsebene.
„Legalisierte Prostitution ist vom Staat unterstützte Vergewaltigung!“
Was ist Ihrer persönlichen Einschätzung nach, die erste Maßnahme, die im Kampf gegen diese Vorgehensweisen der Zwangsprostitution vorzunehmen wäre?
Schlackl: Der Ansatz in der Politik. Ganz klar. Legalisierte Prostitution ist vom Staat unterstützte Vergewaltigung, so die Aussage von ehemaligen betroffenen Frauen. Das heißt, wir brauchen in Österreich einen öffentlichen, politischen Diskurs zu diesem Thema. Da bin ich dran und versuche, bei ranghohen Politikern Termine zu erhalten. Aber eines ist klar: Das Thema ist unbequem und bei Entscheidungsträgern nicht sonderlich beliebt. Die Einführung des Nordischen Modells wäre ein Anfang. Die Kriminalität muss von der Frau wegorientiert werden.
Lehner: Ich stimme Maria zu. Und: Es ist an der Zeit, ein neues Männerbild zu prägen. Um dies zu erreichen, muss man Regelungen einführen, wonach Männer gleich lange in Karenz gehen können, die sozialen Tätigkeiten in der Pflege von Angehörigen übernehmen und ähnliche weitere Maßnahmen natürlich. Die Wege müssen rasch bereitet werden.
Am 18. Oktober, dem europäischen Tag gegen Menschenhandel, lädt Maria Schlackl ab 19 Uhr zum breiten Diskurs mit Menschenrechtsaktivistin Inge Bell und Männer- und Geschlechterforscher Erich Lehner ins Hotel Kolping in Linz. Infos auf www.solwodi.at
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Mag. Dr. Erich Lehner ist Psychoanalytiker in freier Praxis. Er forscht und lehrt im Bereich der Männlichkeits- und Geschlechterforschung und im Bereich der Palliative Care.
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