Unsere Leserin Christa Recheis-Kienesberger & ihre Tochter Alexandra Huber im „Welt der Frauen“-Gespräch.
Welt der Frauen-Leserin Christa Recheis-Kienesberger (64) aus Pinsdorf im Traunviertel ist Religionspädagogin und Betreuungslehrerin für verhaltensauffällige Kinder. Als sie 18 Jahre alt war, erfuhr sie von ihrer Frauenärztin, dass es aufgrund ihrer Gebärmuttersenkung fraglich sei, ob sie jemals Mutter werden könne. „Ich will aber Kinder!“, protestierte sie und trat – resolut wie sie ist – gleich nach der Matura mit ihrem damaligen Partner vor den Traualtar. Acht Wochen später war sie schwanger! Ob Tochter Alexandra Huber (44), sie ist Sonderschullehrerin für schwerbehinderte Kinder, nur deshalb ihr ganzer Stolz ist? Wir fragten erst bei der Mutter nach und baten anschließend die Tochter zum Gespräch.
„Alexandra war ein absolutes Wunschkind – nach der Diagnose und dem Schock natürlich noch mehr! Ich wollte unbedingt eine Tochter haben und hatte von Beginn an das Gefühl, dass es ein Mädchen wird. So war es dann tatsächlich. Für Alexandra stellte ich sogar mein Studium hintan, das absolvierte ich einfach später. Schon als Volksschülerin war sie sehr sozial, aber auch jedes Mal erschüttert, wenn manche ihrer Klassenkameraden, die aus dem damaligen Jugoslawien stammten, wegen ihrer Herkunft diskriminiert wurden. Da beschloss sie, Lehrerin zu werden und sich für Gleichberechtigung einzusetzen. Sie ist eine sehr selbstbestimmte Frau, weiß genau, was sie will. Das finde ich super! Auch handwerklich ist sie extrem geschickt, da erblassen sogar viele Männer! Was ich aber am meisten an ihr bewundere, ist, wie selbstbewusst diese bildhübsche Frau mit ihrer Glatze umgeht …“
Christa Recheis-Kienesberger
Alexandra Huber im Interview
Petra Klikovits: Alexandra, Sie leben in Vorchdorf und unterrichten am „Integrativen Zentrum“ in Wels sieben geistig und körperlich schwer beeinträchtigte Kinder. Die Jüngsten sind sechs, der älteste 18 Jahre alt. Ihre Mutter sagt, dass sie Sie ungemein dafür bewundert, wie kreativ und geduldig sie den Kindern den Stoff vermitteln und ihnen Freude am Lernen schenken. Wie gelingt Ihnen das?
Alexandra Huber: Bei uns in der Klasse geht es sehr lustig zu. Die Stimmung ist immer gut. Ich weiß nicht, woran das liegt: An den Kindern, an mir, an den Teamassistentinnen, die die Kinder zum Beispiel wickeln. Was ich sagen kann ist, dass ich immer Schüler und Schülerinnen bekomme, die super in das Klassengefüge passen. Mir ist wichtig, dass sie nicht abgeschasselt werden, sondern so behandelt werden wie ganz normale Menschen. Dadurch fühlen sie sich respektiert und angenommen. So gibt es auch mit Kindern, die als schwierig gelten, kein Problem. Jeder akzeptiert den anderen, wie er ist. Natürlich muss man kreativ sein, denn die Kinder sind oft jahrelang im gleichen Zahlenraum. Ich muss mir laufend neue Spielchen überlegen, damit das Rechnen klappt. Dann erfinde ich Hunde, die Knochen suchen, Hühner, die Eier legen, und Hasen, die diese verstecken. Dieses spielerische Lernen macht den Kindern und mir wahnsinnig Spaß. Es wäre mir wirklich zu fad, nur mit Büchern zu arbeiten. Bin richtig froh, dass ich für jedes Kind individuelle Übungen vorbereiten darf. So kann ich jedes dort abholen, wo es entwicklungsmäßig gerade steht, und bleibe gefordert.
Sie haben auch drei eigene Kinder. Katharina (22) stammt aus einer früheren Beziehung und besucht die Pädagogische Hochschule. Johanna (16) und Markus (13) haben Sie gemeinsam mit ihrem jetzigen Mann Nik. Er ist Direktor an einer neuen Mittelschule und steht am Wochenende meist hinter dem Herd. Auch unter der Woche kochen sie oft drei Menüs, weil sie „sehr heikle Kinder“ haben, „die nicht alles essen“. Grund sind nicht Nahrungsmittelunverträglichkeiten, sondern persönliche Vorlieben Ihrer Kinder. Sind Sie dann beim Kochen auch so kreativ wie in der Schule?
Beim Kochen brauche ich mir nichts einfallen lassen, denn unserem Sohn schmeckt nur wenig. Somit wiederholen sich Reis, Nudeln und Knödel relativ häufig. Mir ist wichtig, dass er selbst entscheiden darf, was er isst. Als ich noch ein Kind war, musste ich immer essen, was auf den Tisch kam. Das gefiel mir nicht, denn auch ich war sehr heikel und aß ständig nur die Beilagen. Meine Mutter zum Beispiel hat überhaupt nicht gern gekocht. Wenn sie sich hinstellte, dann bereitete sie gleich Essen für zwei Tage zu. Meinem Vater zuliebe musste es immer Fleisch sein. Das mache ich nun anders. Mir ist wichtig, dass meine Kinder gerne und mit Lust essen. Und frisch gekochte Mahlzeiten! Deshalb koche ich ihnen, was sie mögen. Meine Freundinnen sagen: „Du spinnst!“ Aber das ist mir egal. Ich akzeptiere, dass meine Kinder weder Gemüse noch Salate und Obst essen. In allen Ratgebern steht, dass man es ihnen nur mit Saucen garnieren und in Gesichtsform anrichten braucht, damit sie zulangen. Ich habe alles probiert. Sie mögen es einfach nicht. Man muss Kinder nehmen wie sie sind.
Ihre Eltern ließen sich 2005, als Sie und Ihr Bruder Gerhard 29 bzw. 27 Jahre alt waren, „in aller Freundschaft“ scheiden. „Wir haben zu jung geheiratet. Außerdem sind wir so unterschiedliche Wesen. Wir hätten uns gegenseitig nur geschadet“, sagt Ihre Mutter heute zu diesem Entschluss. Wie gingen Sie mit der Trennung Ihrer Eltern um? Schmerzt es weniger, wenn man selbst schon erwachsen ist?
Nein. Ich dachte, es wäre leichter wegzustecken, wobei ich nicht weiß, wie ein acht- oder 14-jähriges Kind eine Trennung erlebt. Aber Fakt ist: Auch mit 29 war es echt hart, als Mama und Papa auseinandergingen. Gleichzeitig war ich froh, dass sie es taten. Sie stritten schon, als mein Bruder und ich noch klein waren. Die Urlaube waren immer wunderbar, aber der Alltag war schwierig, weil sie ganz andere Interessen, Hobbies und Freundeskreise haben. Meine erste Reaktion war jedenfalls: „Na endlich, Gott sei Dank!“ Meine Mutter hat das schockiert, denn sie blieb „wegen uns Kindern“ so lange in ihrer Ehe.
Inzwischen sind Ihre Mutter und Ihr Vater mit neuen Partnern ein zweites Mal verheiratet. Wie gestaltet sich das Patchwork-Leben?
Super, weil wir jetzt eine riesige bunte Familie sind. Über meinen Bonus-Papa kam ich zu drei Bonus-Schwestern und einem Bonus-Bruder, über meine Bonus-Mutter zu zwei weiteren Bonus-Brüdern und einer Bonus-Schwester. Die drei sehe ich leider weniger, weil man Vater keine Treffen forciert. Natürlich haben wir alle kein geschwisterliches Verhältnis, weil wir ja nicht miteinander aufwuchsen, aber wir sind freundschaftlich verbunden. Auch zu meiner Bonus-Mama habe ich eine gute Beziehung. Wir gehen zu zweit oft Bergwandern.
Sie verlegen gerne Parkettböden, malen Zimmer aus und reparieren mit Leidenschaft. Ihre Mutter sagt: „Ich könnte das auch, wenn ich mich bemühte. Aber ich bemühe mich nicht, weil’s mein Mann eh kann“.
(lacht) Typisch Mama. Sie denkt da wie viele Frauen. Mit meinem Mann Nik gibt es diese klassische Rollenverteilung nicht. Wir beide packen bei allem an. Nachdem wir den gleichen Beruf haben und sogar die gleiche Anzahl an Wochenarbeitsstunden leisten, können wir uns nicht gegenseitig vorwerfen: „Ich arbeite mehr, also erledigst du den Haushalt!“ Deshalb putzen, saugen, kochen, waschen und bügeln wir beide. Nur die Autos repariert ausschließlich er, das interessiert mich nicht. Dafür schraube ich die Möbel zusammen.
Wer hat ihr handwerkliches Geschick gefördert?
Mein Großvater mütterlicherseits. Er hieß Fery, wurde 1933 geboren und war ein uneheliches Kind. Man vermutet, dass er Ungar war. Seine Mutter hatte ihn nie angenommen, so wurde er im Kinderheim in Gmunden groß. Darum war er ein richtiger Kämpfer. Opa war außerdem sehr fleißig. Er arbeitete sich vom Elektriker-Lehrbub zum Chef der Lehrwerkstätte hoch. Er konnte tischlern, schlossern und meine Räder und Ski reparieren. Mich hat das unglaublich fasziniert. Deshalb hat er mir auch Vieles gezeigt, auch wenn es in meiner Kindheit noch unüblich war, Mädchen für Technik zu begeistern. Dank ihm entwickelte ich Freude am Reparieren. Das taugt mir viel mehr als das Kaufen neuer Dinge. Immer wenn ich was zusammenbringe, denke ich an ihn und sage: „Opa, jetzt waradst wieda stoiz g’wesn auf mi!“
Eine andere prägende Person in Ihrem Leben ist Ihre Tante Anita Kienesberger, die Schwester Ihrer Mutter. Sie war Geschäftsführerin der „Österreichischen Kinderkrebshilfe“, ist lesbisch, mit einer Frau verpartnert und eine überzeugte Feministin. Sie setzt sich mit ihrer Lebensgefährtin federführend für die politische Initiative „Stopp Sexkauf“ und schrieb das Buch „Fucking poor“. Laut Ihrer Mutter hat sie Ihnen schon als Kind die feministische Frauenzeitschrift „Emma“ geschenkt. Mir wäre lieber, Sie hätte Ihnen die „Welt der Frauen“ hingelegt.
(lacht) Die lernte ich bei meiner Mama kennen! Tante Anita, sie absolvierte ein feministisches Grundstudium, war immer schon dahinter, dass ich mich nicht einem Mann unterordne und man auch ein unkonventionelleres Leben führen kann. Immer wieder holte sie mich zu sich nach Wien. So lernte ich bei diversen Festen auch ihre Freunde kennen, darunter viele homosexuelle Paare, Menschen, die miteinander kifften, uneheliche Kinder, alles Mögliche. Manche hatten rot gefärbte Haare und Piercings, andere kahlgeschorene Köpfe und bunte Kleider. Das war unglaublich spannend für mich! Eine ganz andere Welt als daheim im biederen Gmunden, wo alle brav in ihren Häuschen mit Garten sitzen und beisammen bleiben, obwohl sie sich nichts mehr zu sagen haben. So begriff ich schon als Achtjährige: Diese Buntheit gibt‘s auch!
Saugten Sie alle Eindrücke nur auf wie ein Schwamm oder wurde Ihnen auch erklärt, was Sie da sahen?
Da war keine Erklärung nötig. Wenn man schon als Kind sieht, dass zwei Frauen in einem Haus wohnen oder zwei Männer Händchen halten, dann macht man sich darüber keine Gedanken. Dann ist das für einen selbstverständlich und normal und keineswegs befremdlich. Dann ist man auch als Erwachsener im Denken offener. Viele PädagogInnen zerbrechen sich den Kopf, wie Kinder sich entwickeln, wenn sie von homosexuellen Eltern groß gezogen werden. Ich glaube, weitaus toleranter als manch andere, die nur ein Lebensmodell kennen.
Sie sahen von klein auf, wie divers man als Frau leben kann. Sie erlebten Ihre Omas, die „Vollbluthausfrauen“ waren, ab der Geburt der Kinder nie wieder einer Erwerbsarbeit nachgingen, für die familiären Belange verfügbaren waren und „nur für Ihre Männer lebten“. Sie erlebten eine berufstätige Mutter, die neben den Kindern studierte und mehrere Ausbildungen absolvierte. Und sie erlebten Tante Anita. Wie orientiert man sich bei so vielen unterschiedlichen Lebenskonzepten selbst?
Ich wurde mit 22 Jahren das erste Mal schwanger. Das war ein Schock, auch wenn ich mich irrsinnig freute. Geschockt war aber vor allem Tante Anita. An dem Tag, als ich beim Frauenarzt meinen Mutter-Kind-Pass abholte, saß sie im Wartezimmer. Ich dachte, ich falle um! Als sie meinen damaligen Freund neben mir sah, überriss sie natürlich sofort, was los war. Gleich redete sie auf mich ein, ob ich sicher sei, so früh Mama werden zu wollen. Aber ich sagte ihr klipp und klar, dass ich mein Kind bekommen werde. Die beste Entscheidung meines Lebens! Man darf nie auf andere horchen – zumindest nicht so sehr, dass man beeinflusst wird. Tante Anita wusste, dass ich Medizin studieren wollte. Dass ich dann Lehrerin wurde, war für sie Wahnsinn. „Du machst alles wie deine Mama! Das ist ja schlimm! Wieso machst du nichts Eigenes aus deinem Leben?“, fragte sie vorwurfsvoll. Ich empfand es nicht als gleich. Schließlich war ich nicht verheiratet.
Als Katharina zweieinhalb Jahre alt war, verließen Sie ihren Vater und waren kurz Alleinerzieherin. Ihren jetzigen Mann Nik kannten Sie damals schon. Wie kam’s?
Nik und ich waren zu diesem Zeitpunkt E-Mail-Freunde. Ihm konnte ich meinen Kummer anvertrauen. Er war immer da für mich. So wurde bald ein Paar aus uns. Allerdings war ich damals auch die erste Frau in der Verwandtschaft, die es wagte, einen Mann zu verlassen. Dieser Schritt war notwendig, sonst wären wir beide vor die Hunde gegangen. Ich wollte nicht meiner Tochter zuliebe bleiben. Mit so einer Selbstaufopferung halst man Kindern eine enorme Bürde auf. Ich finde, dass man sich von einem Mann auch dann trennen kann, wenn er nicht gewalttätig wird, sondern einfach, weil es nicht mehr passt. Frauen anderer Generationen tun sich damit schwerer. Sie halten sich an das Versprechen „Bis dass der Tod uns scheidet“ oft wegen der finanziellen Abhängigkeit. Ich wollte nie finanziell abhängig sein. Deshalb habe ich immer gearbeitet.
Ihre Oma legte es anders an. Sie förderte lieber die Karriere ihres Mannes und lebt jetzt von seiner „üppigen Doppelpension“. Ihre Mutter sagt: „Das muss ihr eine Frau, die berufstätig war, erstmal nachmachen!“. Was sagen Sie dazu?
(lacht) Natürlich finden das berufstätige Frauen unfair, schließlich hat Oma ihr Leben lang nicht gearbeitet und casht nun mehr als manch andere, die sich 45 Jahre abstrampelte. Ich sehe das differenzierter als Mama. Denn hätte Oma nicht auf meinen Bruder und mich aufgepasst, einmal pro Woche für uns gekocht und uns versorgt, wenn wir krank waren, hätte Mama nie ihre vielen Ausbildungen machen können. Solche Frauen wie Oma muss es also auch geben, sonst könnten andere Frauen keine Karriere machen. In meinen Augen hat sich Oma ihre üppige Doppelpension verdient.
Auch viele junge Frauen heute ticken ähnlich wie Ihre Großmutter und bleiben nach der Geburt des ersten Kindes daheim. Was halten Sie von diesem Backlash?
Auch mir fällt auf, dass immer mehr junge Frauen die Hausfrauenrolle vorziehen, ihren Männern hörig sind und glauben, ihnen Rechenschaft ablegen zu müssen. Das erschreckt mich! Für mich war dieses Lebenskonzept nichts, obwohl ich auch geplant hatte, längere Zeit nicht zu arbeiten und ausschließlich für die Familie da zu sein. Ich merkte aber, dass mich das nicht ausfüllte und ich meinen Job brauche. Natürlich ist die Doppel-Aufgabe anstrengender, aber ich glaube, es ist gut, dass eine Mama nicht immer bei ihren Kindern pickt. Dann ist man ausgeglichener. Wäre putzen, kochen und Wäsche waschen meine Hauptbeschäftigung, wäre ich nicht froh. Ich bin glücklich, dass ich auch wieder Zeit für mich habe.
Mussten Sie das erst lernen?
Ja. Gelehrt haben mich das meine Bandscheibenvorfälle in der Hals-und Lendenwirbelsäule, als ich noch eine Glucken-Mama war. Ich wollte sie damals weder in den Hort noch in die Nachmittagsbetreuung geben, sondern alles selbst bewerkstelligen. Irgendwann konnte ich mich nicht mehr bewegen, musste operiert werden und stellte fest, dass ich nicht einmal mehr Zeit für meine Gymnastikübungen habe. So war ich gezwungen, mehr auf mich selbst zu schauen. Das war gut. So wurde ich selbstbewusster.
Dieses Selbstbewusstsein beweisen Sie täglich durch Ihren Umgang mit Ihrer Glatze. Wie kam es dazu, dass Ihnen 2010 Ihre schönen langen Haare büschelweise vom Kopf fielen und seither nicht mehr nachwuchsen?
Ich leide seit meinem achten Lebensjahr unter der Weißfleckenkrankheit „Vitiligo“, so wie das bekannte kanadische Model Winnie Halow. Dabei handelt es sich um eine Pigmentstörung, die zu bleibenden weißen Flecken auf der Haut führt. Für viele Betroffene bedeutet das eine seelische Belastung. Die Ärzte vermuten, dass mein kreisrunder Haarausfall ebenso eine Autoimmunerkrankung sei, die mit Vitiligo zusammenhängt. Denn das alles fing zu einer Zeit an, in der ich viel Stress hatte. Wir zogen damals gerade in unser Haus ein, ein Kind kam in den Kindergarten, das andere in die Schule. Wahrscheinlich war der Stress Auslöser für den Ausbruch meiner Krankheit. In Folge probierte ich Naturheilmethoden und auch Gesprächstherapien aus, aber mein Haar wurde nicht mehr. Auf meinem Kopf wächst nur noch ein leichter weißer Flaum – wie bei einem Baby.
Wie gingen Sie mit dem Haarverlust, den man erst einmal aushalten muss, um? Schränkt er sie in Ihrem Weiblichkeitsempfinden ein?
Durch „Vitiligo“ war Schönheit immer ein Thema für mich. Ich schaute nie aus wie alle anderen, dachte, mich verstecken zu müssen. Deshalb trug ich immer Hosen und langärmelige Leiberl, damit man ja nicht meine Flecken sieht. Nur im Sommer im Freibad ging das nicht. So zog ich immer wieder die Blicke auf mich. Von daher war ich es gewohnt, anders zu sein. Meine Haarpracht, die wirklich besonders war, half mir dabei, diesen Makel zu kompensieren. Als ich dann aber die Haare verlor, war ich reduziert auf mein Wesen. Anfangs stand ich nur heulend unter der Dusche, weil ich nach dem Shampoonieren wieder einen Büschel in der Hand hielt. Das war fürchterlich! Einige Monate konnte ich die kahlen Stellen mit Haarbändern und Tüchern verdecken. Als Kaschieren nicht mehr ging, musste ich die letzten Überbleibsel meiner Mähne abrasieren und mich damit abfinden. Meine Mutter hätte mir eine teure Perücke finanziert. Dieses Geschenk lehnte ich aber ab, weil ich mir damit verkleidet vorkam und mich selbst nicht mehr erkannte. Stattdessen lernte ich, mich so zu akzeptieren wie ich bin. Das brachte mich näher zu mir selbst und war sehr heilsam.
Trotzdem gehen Sie nur mit einem Hauberl aus dem Haus. Warum?
Das tue ich zu meinem Schutz. Viele Leute starren mich auch so schon mitleidig an, weil sie denken, dass ich Krebs habe. Die wenigsten wagen es, mich direkt darauf anzusprechen. Das wäre viel einfacher für alle Beteiligten und mir auch lieber als von oben bis unten gescannt zu werden. Meine Schülerinnen und Schüler tun das nie. Sie nehmen mich wie ich bin.
Das tut auch Ihr Mann. Manch andere Männer haben schon ein Problem, wenn sich ihre Partnerinnen die Haarspitzen schneiden lassen!
Das stimmt. Als mir die Verkäuferin damals bei der Perückenanprobe die Haare abrasierte und Nik neben mir stand, war sie gerührt und meinte: „Es kommt so gut wie nie vor, dass Männer ihre Frauen so großartig unterstützen. Die meisten schieben unpassende Kommentare und gehen zur Tür hinaus.“ Nik ist da anders. Er hat auch meine Tochter Katharina sofort wie seine eigene akzeptiert. Er ist ein absoluter Glücksgriff!
Petra Klikovits
In ihrer monatlichen Onlinekolumne „Meine wunderbare Tochter“ führt Petra Klikovits bewegende Gespräche mit Töchtern, Schwiegertöchtern, Enkeltöchtern, Stieftöchtern, Adoptivtöchtern, Pflegetöchtern, Patchwork-Töchtern und anderen Bonustöchtern von Leserinnen, die auf diese via meinewunderbaretochter@welt-der-frauen.at aufmerksam machen. Mehr von Petra Klikovits lesen Sie jeden Monat in Welt der Frauen.
Fotos: privat