Was bedeutet Sehnsucht für Sie? Worauf richtet sich Ihre Sehnsucht? Welche Sehnsucht hat sich für Sie in Ihrem Leben schon erfüllt? Unsere Leserinnen haben uns ihre Gedanken dazu geschrieben.
Die Steirerin Maria Riebenbauer (62) leitete ein Pflegewohnhaus der „Caritas“. Dort, bei den Sterbenden, erkannte sie, welche Sehnsucht alle Menschen eint: die Sehnsucht, so geliebt zu werden, wie man ist.
Sehnsucht war in meinem Leben immer wieder ein Thema. Ich bin nun 62 Jahre alt, und die Sehnsucht ist immer noch da. Ich würde Sehnsucht als ein Sehnen und Suchen beschreiben. Sehnen nach Ganz-Sein, nach Nähe und Geborgenheit, nach einem Zustand des Eins-Seins mit mir selbst und einem guten Miteinander mit den Menschen und der Natur.
Diese Suche treibt mich an, macht mich manchmal unruhig, und dann spüre ich wieder, dass ich einen guten Schritt weiter gekommen bin. Der Satz von Augustinus „Unruhig ist unser Herz bis es ruht in dir“ beschreibt aus christlicher Sicht diesen Zustand der Sehnsucht sehr gut.
Die Sehnsucht lässt mich schauen und suchen, wonach ich mich gerade am meisten sehne und ob hinter dem, was ich ersehne, noch tiefere Sehnsüchte stecken. Momentan haben wir alle die Sehnsucht nach unserem „alten Leben“, nach Freiheit, nach menschlicher Nähe und Geselligkeit.
Danach sehne auch ich mich sehr. Aber es gibt auch die Sehnsucht, in einem reduzierten Dasein Sinn und Lebensfreude zu empfinden. Das gelingt mir nur ansatzweise.
Die elf Jahre vor meiner Pensionierung habe ich ein Caritas-Pflegewohnhaus geleitet, in dem 47 Frauen und Männer leben. In all diesen Jahren habe ich erlebt, wie auch in einem reduzierten Dasein – bedingt durch Bewegungseinschränkungen, Schmerzen, Demenz und große Verluste – noch so viel gutes Leben möglich ist, wenn da Menschen sind, die einem auf Augenhöhe, empathisch und liebevoll begegnen.
Die Sehnsucht stirbt zuletzt. Dort, wo ein Mensch es geschafft hat, selbst liebevoll und dankbar auf sein Leben zurückzublicken, kann sich die Sehnsucht in der letzten Lebensphase hin orientieren auf ein endgültiges Ganz-Sein, auf ein Eins-Sein mit einer universellen, göttlichen Kraft.
Bei vielen Menschen durfte ich ein gutes Leben und Sterben miterleben. Allerdings habe ich auch Menschen begleitet, die diesen inneren Frieden meinem Empfinden nach nur ansatzweise erreicht haben – da waren zu viele Verletzungen, Verhärtungen, zu viel Groll, Wut und Angst. Immer war jedoch die Sehnsucht da, als Mensch so geliebt und akzeptiert zu werden, wie man ist.
Dies gelingt professionellen PflegerInnen in vielen Fällen besser als Angehörigen, da sie ja keine lebenslange Geschichte mit diesen Menschen haben. Wie oft habe ich erlebt, dass bei den größten Grantlern und Nörglern plötzlich kleine Türen und Fenster aufgehen und sie Zuneigung, Dankbarkeit und soziale Fähigkeiten entwickeln, die man ihnen schon längst abgesprochen hatte.
Derzeit versuche ich mich stärker auf mich selbst zu konzentrieren und erste Schritte zu setzen, um jetzt in der Pension meine Ziele für diese neue Lebensphase zu verwirklichen. Ich sehne mich danach, Weitwandern zu gehen und größere Bergtouren zu unternehmen, meinen Garten mit mehr Hingabe zu gestalten und mit meinen drei Kindern und beiden Enkelkindern viel Zeit zu verbringen. Das wertschätzende Miteinander mit ihnen ist für mich wunderschön und gibt mir viel Kraft.
Und dann ist da auch noch die Sehnsucht, nochmal etwas ganz Neues anzufangen, meine Fähigkeiten, Kompetenzen und meine Lust am Entwickeln einbringen zu können – in sinnstiftende Projekte mit anderen Menschen. Ich bin zuversichtlich, dass auch hier sich neue Möglichkeiten mit der Zeit auftun werden.
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Foto: privat