Auch Kinder und Jugendliche können unter den Spätfolgen einer Coronainfektion leiden. Ein Gespräch mit Beate Biesenbach, Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde und stellvertretende Leiterin der Kinder-Reha „kokon“.
Mit welchen Symptomen kommen Kinder und Jugendliche, die von Long Covid betroffen sind, zu Ihnen?
Das häufigste Symptom ist die Belastungsintoleranz und eine massive Erschöpfung. Dazu kommen Kopfschmerzen, Beschwerden beim Atmen, Schwindel, Kreislaufprobleme, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsprobleme, Probleme beim Einschlafen, Bauchschmerzen und Übelkeit. Die Kinder, die zu uns kommen, sind schon über Monate nicht mehr schul- und alltagstauglich und sie haben extrem lange Fehlzeiten. Wir sehen nur die Spitze des Eisbergs. Ich glaube, dass es viele Kinder gibt, die die Schule gerade noch schaffen, aber dass sie keine Freizeitaktivitäten mehr machen können, weil die Kraft dafür fehlt.
„Ein Großteil will, aber kann nicht.“
Wird die Diagnose „Long Covid“ bei Kindern und Jugendlichen zu selten gestellt?
Ja! Wenn die Abklärung unauffällig bleibt, also Befunde wie EKG, Lungenfunktion, Labor et cetera nicht pathologisch sind, wird oft eine rein psychosomatische Ursache hinter den Beschwerden vermutet. Hier sehen wir aber deutliche Unterschiede zu den primär depressiven Jugendlichen, die wir auch in Rohrbach betreuen: Jugendliche mit Long Covid können auch depressive Anpassungsreaktionen aufgrund ihrer Alltagseinschränkungen entwickeln, sie sind aber dennoch hochmotiviert, wieder in ihren Schulalltag zurückzukehren. Sie sagen ungern Therapien ab, verschlechtern sich nach Überlastung über Tage und bei Untersuchungen zeigt sich das sogenannte POTS-Syndrom (Anm. d. Red.: Das Posturale Tachykardiesyndrom ist eine Störung des autonomen Nervensystems und äußert sich vor allem in einem abnormalen Anstieg der Herzfrequenz beim Aufsetzen oder Aufstehen, begleitet von Symptomen wie Schwindel, Müdigkeit und Ohnmacht.) Das und noch einige andere Details unterscheidet Jugendliche mit Long Covid ganz klar: Ein Großteil will, aber kann nicht.
Wie viele junge PatientInnen betreuen Sie und in welchem Alter sind sie?
In den vergangenen Jahren haben wir 110 PatientInnen betreut zwischen sieben und 18 Jahren, die Mehrheit der Jugendlichen ist 14 Jahre und älter und 75 Prozent davon sind Mädchen.
„Je früher man einen chronischen Verlauf verhindern kann, desto besser.“
Wie wird bei der Reha vorgegangen?
Gerade bei den jungen PatientInnen mit Belastungsintoleranz ist es wichtig, dass sie lernen, sich selbst besser einzuschätzen und Pausen zu machen, wenn sie diese benötigen. Für das „Pacing“ (Anm. d. Red.: Pacing ist ein therapeutisches Konzept, in dem es darum geht, die Aktivität daran anzupassen, was die Leistungsgrenze hergibt. Überlastungen aller Art sollten auf jeden Fall vermieden werden.) haben wir einen kindgerechten Ansatz. Die Kinder und Jugendlichen erhalten Pulsuhren, damit sie lernen, auf ihren Puls und ihr Energielevel zu achten. Wir bauen Atem- und Entspannungsübungen in die Therapie ein, kombiniert mit Physiotherapie. Die Prognose bei Kindern und Jugendlichen ist grundsätzlich besser als bei Erwachsenen. Einige unserer PatientInnen können wieder ohne Einschränkungen in die Schule gehen, es gibt aber auch manche, bei denen es sich über die Sommermonate verbessert und mit Schulbeginn wieder verschlechtert. Wichtig ist, nicht erst an eine Reha zu denken, wenn die Kinder schon monatelang zuhause sind, sondern schon früher. Je früher man einen chronischen Verlauf verhindern kann, desto besser. Im vergangenen Herbst wurden die Schulärzte geschult, damit sie sensibilisiert sind.