Ist Liebe stärker als politische Überzeugung - und ist der Gang zur Wahlurne wichtiger als die Chemie? Wir haben mit Betroffenen gesprochen.
„Es hat aber nicht lange gehalten, weil es sich durch alle Bereiche unser beider Leben gezogen hat”, erzählt die 23-jährige Anna über ihre gescheiterte Beziehung mit einem politisch Andersdenkenden. Die Unterschiede, sagt sie, seien überall spürbar gewesen: “Wie wir einkaufen, wie wir konsumieren und wie wir andere Menschen behandeln“. Das funktionierte einfach nicht. “Es manifestiert sich eben, wenn man politisch nicht ganz desinteressiert ist”, sagt Anna. “Politik fängt schon im kleinsten Kreis an.“ Der kleinste Kreis: Annas Beziehung – die damit zum Scheitern verurteilt war.
Annas Geschichte steht stellvertretend für eine Generation, die erkennt: Politische Unterschiede in Beziehungen sind nicht vergleichbar mit einer akademischen Diskussion über Steuersätze. Sie manifestieren sich vielmehr in den banalsten Alltagsentscheidungen – vom Griff ins Supermarktregal bis zur Frage, wie man seinen Mitmenschen begegnet. Sie sind keine isolierten Meinungsverschiedenheiten, sondern fein verwoben in alle Bereiche des Lebens.
Dating im politischen Minenfeld
„Ich würde keine Beziehung mit jemandem anfangen, der nicht dieselbe politische Meinung hat wie ich“, sagt uns die 24-jährige Biologin Eva. Dann fügt sie einen Nachsatz hinzu: „Aber ich denke, das kann schwierig sein, wenn man heterosexuell ist.“
In diesem Nachsatz steckt eine nüchterne Analyse der Dating-Realität. Während in queeren Dating-Pools eine gewisse politische Grundausrichtung vorausgesetzt werden kann, die sich für ein soziales Miteinander einsetzt, sehen sich Heterosexuelle mit der vollen Bandbreite politischer Überzeugungen konfrontiert. Dabei hilft es nicht, dass Studien, wie die Shell-Jugendstudie, suggerieren, dass Männer im Schnitt immer rechter und Frauen immer linker werden.
Das private ist und bleibt politisch
Was Annas Geschichte so erhellend macht, ist ihre Beobachtung, dass Politik nicht erst bei Wahlentscheidungen oder Demonstrationen beginnt. Sie zeigt sich im Kleinen: Kaufe ich das billige T-Shirt oder das fair produzierte? Nehme ich das Auto oder das Rad? Lache ich über den fragwürdigen Witz oder widerspreche ich?
Diese Mikro-Entscheidungen summieren sich zu einem Lebensstil, einer Haltung, einer Weltanschauung. Wenn diese grundlegend verschieden sind, wird jeder Einkauf zur potentiellen Konfrontation, jede Alltagssituation zum möglichen Konfliktfeld.
Evas pragmatischer Ansatz, politische Kompatibilität von vornherein zur Grundvoraussetzung zu machen, erscheint da fast wie ein Akt der Selbstfürsorge. Wenn Politik bis in die intimsten Bereiche des Zusammenlebens hineinreicht, dann doch lieber gleich nach jemandem mit übereinstimmenden Werten suchen!
Ein Ausblick in polarisierte Zeiten
In Zukunft wird die Suche nach politischer Kompatibilität in Beziehungen vermutlich noch wichtiger werden. Nicht, weil die jüngere Generation intolerant gegenüber anderen Meinungen ist. Sondern weil sie erkannt hat, dass politische Überzeugungen mehr sind als abstrakte Ideen – sie sind die Blaupause für das Leben, das wir führen wollen.