Fieberträume in Kuba

Fieberträume in Kuba
  • Teile mit:
  • Veröffentlicht: 05.02.2021
  • Drucken

Notiz #16: Über meine Reise in ein trauerndes Kuba

Der Tod eines Mannes

Als ich an einem kalten Märzabend 2013 ein Flugzeug von Madrid nach La Habana bestieg, lag sieben tausend Kilometer entfernt von mir ein noch nicht sehr alter Mann im Sterben. Wäre er nicht genau am Tag meiner Ankunft gestorben, hätte ich ein ganz anderes Kuba erlebt. Doch ich ahnte nichts davon, als ich mit einer Einladung des Santiago de Cuba Filmfestivals in der Tasche voller Vorfreude die sternenklare Nacht über dem Atlantik durchquerte. Ich wollte immer schon nach Kuba reisen, solange Fidel Castro noch lebte. Kubas Sonnen- und Schattenseiten kennenlernen. Doch über meiner Reise lag irgendwie ein Fluch.

Stille

Als ich in Kuba landete und das Zentrum von La Habana besuchte, wunderte ich mich über die ungewöhnliche Stille. Die Stadt war menschenleer und alle Läden geschlossen. Nirgendwo hörte man Musik. Ich irrte mit meiner Freundin Sonia lange durch halbverfallene Stadtviertel und suchte vergeblich nach seinen Bewohnern.

Kollektive Trauer

Irgendwann fanden wir sie. Eine fahnentragende, lautlose Menschenmasse umzingelt von Militärs und uniformierten Polizisten. Mich besiegte die Neugier und ich fragte die Militärs was hier vor sich ginge. Sie schauten mich an als käme ich vom Mond. Ob ich das nicht wüsste: Hugo Chavez sei gestorben. Dies sei die Mahnwache des kubanischen Volkes zu seinen Ehren. Man hatte das ganze Land heruntergefahren, eine mehrtägige Staatstrauer angeordnet, die Geschäfte geschlossen und jegliche Musik verboten. Das ganze Land hatte kollektiv zu trauern um einen Mann, der ihnen fremd war.

Eine Odyssee

Ich aber musste irgendwie nach Santiago de Cuba gelangen. Die Busse fuhren nicht und so wurde unsere Reise zu einer mühseligen Odyssee quer durchs ganze Land. Eine schwere Grippe hatte in mir ihren Lauf genommen und je näher ich dem Ziel meiner Reise kam, desto schlechter ging es mir. Ich versuchte mein Fieber zu ignorieren und die vielen Eindrücke festzuhalten. Doch alles verschwamm in meinen Fieberträumen.

Das Festival

Ich erinnere mich nur mehr an die bunten Häuser entlang der steil zum Meer abfallenden desolaten Straßen Santiago de Cubas. Auf der anderen Seite des Meeres lag das haitische Port-au-Prince, wo ich drei Jahre zuvor meinen Film GAELLE gedreht hatte. Der Film lief jetzt beim internationalen Wettbewerb des Santiago de Cuba Filmfestivals. Doch mir war alles gleichgültig geworden und im Fieberdelirium verschlief ich die Vorführung meines eigenen Films.

Kubanische Gastfreundschaft

Das letzte, an was ich mich noch erinnere, war die Rückreise nach La Habana auf der Rückbank eines total überfüllten kubanischen Busses, in dem man mir so gut es ging, einen Platz zum Liegen gerichtet hatte, mir zu trinken einflößte und irgendwelche Tabletten gab. Die Kubaner kümmerten sich rührend um mich. In meiner Apathie schluckte ich alles und verschlief zur Gänze die sechzehnstündige Fahrt, während das Fieber in mir tobte. Als ich aufwachte fühlte ich mich vollkommen gesund und konnte noch am selben Abend den Heimflug antreten. Cuba habe ich nie mehr besucht, doch ich erinnere mich oft an jene delirische Busfahrt, als mich die Kubaner der Grippe entrissen.

Natalie Halla

Natalie Halla

spricht sechs Sprachen, ist weitgereist und arbeitet als unabhängige Filmemacherin. Ihre „Notizen einer Abenteurerin“ bieten sehr persönliche Einblicke in eine unbekannte, spannende Welt abseits üblicher Reiserouten und befassen sich auch mit sozialen und humanitären Ungerechtigkeiten, denen sie begegnet ist.
www.nataliehalla.com

Foto: Alexandra Grill

Fotos: Natalie Halla