Dass viele Menschen bei einer Krebsdiagnose aktiv zu ihrer Heilung beitragen möchten, ist mehr als
verständlich. Leider sind manche der natürlichen Heilmittel in Kombination mit schulmedizinischen Therapien alles andere als harmlos.
Nadja Kapeller ist 34 Jahre alt, als sie beim Anziehen zufällig einen Knoten in ihrer Brust entdeckt. Sie geht sofort zu ihrem Gynäkologen.Die Diagnose: Brustkrebs, triple negativ, eine aggressive Tumorart. Sie vertraut ihrem Arzt, der sich außerhalb der Sprechstunden viel Zeit für sie und ihren Partner nimmt, und fragt ihn nach Alternativen zur Schulmedizin, doch er rät ab.
Schließlich entscheidet sie sich für eine Chemotherapie mit anschließender Mastektomie. „Ich hatte tausende Fragen im Kopf und keine Ahnung, was jetzt alles auf mich zukommen würde“, beschreibt sie ihr Gefühl heute. Sie ist damals gerade dabei, sich beruflich zu etablieren, und hat einen dreijährigen Sohn, der noch zu jung ist, um zu verstehen, was der Mama fehlt.
Als sie nach Hause kommt, erklärt sie es ihm in einfachen Worten. Sie sagt, dass da jetzt ein Knödel ist in ihrer Brust, der dort nicht hingehört. Sie sagt auch, dass sie ins Krankenhaus gehen und dort ein Medikament bekommen würde, von dem der Knödel kleiner und kleiner wird, bis er schließlich verschwindet.
Die Alternativmedizin kommt für sie nicht infrage. Aber was ist mit der Komplementärmedizin? Sie möchte so gerne selbst etwas zu ihrer Heilung beitragen, das über gesunde Ernährung und Sport hinausgeht. Zu passiv ist ihr die Therapie, bei der sie über fast sechs Monate hinweg einmal pro Woche ins Krankenhaus muss und dort Infusionen bekommt.
Alternative Krebstherapie: Akupunktur, Phytotherapie & Kräuter
Im Spital rät ihr ein Onkologe zu regelmäßiger mäßiger Bewegung – ein Tipp, für den sie später noch sehr dankbar sein wird. Sie informiert sich, wie sie den Heilungsprozess durch die richtige Ernährung unterstützen kann. Schon vor ihrer Krebserkrankung hat Nadja Kapeller unter Endometriose gelitten und hier mit Akupunktur gute Erfahrungen gemacht. Sie wendet sich nun an eine ihr vertraute Ärztin für Allgemeinmedizin und traditionelle Chinesische Medizin, die sich viel Zeit für Gespräche nimmt und sie akupunktiert.
Außerdem empfiehlt die Ärztin ihr eine Phytotherapie. Nadja Kapeller ist skeptisch, ihr Onkologe habe sie gewarnt, sie solle auf die Einnahme anderer Substanzen während der Chemotherapie verzichten. Aber die Ärztin winkt ab, sie habe schon viele KrebspatientInnen mit den Kräutern behandelt und keine negativen Erfahrungen gemacht. Bis zu diesem Zeitpunkt hat Nadja Kapeller die Chemotherapie gut verkraftet und nur unter leichten grippeähnlichen Symptomen gelitten.
Starke Nebenwirkungen
Das ändert sich. Sie bekommt Magenkrämpfe, starken Durchfall, sie fühlt sich schwach und kann das Haus kaum verlas-en. Sie bemerkt, dass die Einnahme der Kräuter und die Verschlechterung ihres Zustands zeitlich genau zusammenfallen. Erst als auch ihre Leberwerte schlechter werden und sie deshalb eine Woche von der Chemotherapie pausieren muss, erzählt sie ihrem Onkologen von den Kräutern. Seine Reaktion: „Bitte hören Sie sofort auf damit!“
Genervte Ärztinnen?
Warum hat sie nicht vorher mit ihm geredet? „Anfangs bekam ich von meinem Umfeld sehr viele Ratschläge, was ich alles nehmen könnte, um wieder gesund zu werden“, sagt Kapeller. „Ich fragte meine OnkologInnen, ob ich diese Substanzen – Ingwerextrakt, Kurkumaextrakt, Mandelpilze – einnehmen darf. Die Antworten fielen knapp aus, und ich hatte den Eindruck, dass sie sich gar nicht wirklich damit beschäftigen oder sogar leicht genervt waren von meinen Fragen. Ich dachte, sie seien unter Zeitdruck, und wollte nicht ihre Zeit stehlen.“
Im Rückblick denkt sie, sie hätte hartnäckiger sein und detaillierte Erklärungen fordern sollen. Und damit ist Kapeller nicht alleine: Ihrer Beobachtung nach haben viele ihrer Mitpatientinnen heimlich Nahrungsergänzungsmittel, Vitamine oder Kräutermischungen eingenommen. Der Markt ist riesig, und oft ist es schwierig, seriöse von unseriösen Informationen zu unterscheiden.
In den sozialen Medien wird für abstruse Wundermittel Werbung gemacht, auf YouTube und anderen Videokanälen tummeln sich selbst ernannte Gurus und erzählen von mysteriösen Spontanheilungen. „Viele geben sehr viel Geld aus für Dinge, die gar nichts bringen. Das tut weh“, sagt Ansgar Weltermann, Onkologe am Ordensklinikum Linz und Leiter des Tumorzentrums Oberösterreich.
Konventionell, dann alternativ
„Wir müssen die PatientInnen schützen“, sagt die Linzer Onkologin Elisabeth Bräutigam. Sie hat Verständnis für deren Bedürfnis, selbst aktiv zu werden. Aber gerade bei Brustkrebs, der antihormonell behandelt wird, gebe es viele Wechselwirkungen mit pflanzlichen Präparaten, weil diese oft hormonell wirkten. „Ich rate meinen PatientInnen, zuerst die konventionelle Therapie zu machen und erst da-nach andere Heilmethoden zu suchen.“
Europaweit nutzen 15 bis 70 Prozent der Tumorerkrankten komplementäre oder alternative Medizin. Die Dunkelziffer ist hoch, weil viele PatientInnen ihren OnkologInnen verschweigen, dass sie alternative Heilmittel einnehmen, einige wenige wenden sich auch komplett von der Schulmedizin ab.
„Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“ – der Spruch wirkt veraltet. Heute stehen viele Menschen der klassischen Medizin skeptisch gegenüber. Die Gründe für den Vertrauensverlust sind vielfältig, aber der häufigste Kritikpunkt lautet wohl: die fehlende Zeit der ÄrztInnen. Das Gesundheitssystem ist straff organisiert, die Spitäler müssen wirtschaftlich arbeiten.
„Wir Ärzte haben das Zaubern verlernt. Dabei ist die Einstellung der PatientInnen zur Therapie entscheidend. Wir müssen ihnen vermitteln, dass sie auch viel Gutes und Gesundes in sich haben“, sagt Ansgar Weltermann. Ein ganzheitlicher Ansatz und mehr Empathie seien gefragt und das Angebot: „Was kann ich tun, damit es Ihnen gut geht?“ Denn letztendlich entscheiden nicht die OnkologInnen, sondern die PatientInnen selbst, welche Therapie sie wählen und was sie zusätzlich tun möchten, um wieder gesund zu werden.
„Leider gibt es in der Onkologie eine schlimme Tendenz zum Geschäft mit dem Lebensende“
Was aber, wenn es dafür zu spät ist? „Leider gibt es in der Onkologie eine schlimme Tendenz zum Geschäft mit dem Lebensende“, sagt die ehemalige Homöopathin und kritische Ärztin Natalie Grams. Sie meint damit, dass bei einer aussichtslosen Krebsdiagnose oft unnötige und teure Chemotherapien verordnet werden, die das Leben der Betroffenen zwar verlängern könnten, deren Lebensqualität aber verschlechtern. „Vielleicht will ich bei aussichtsloser Diagnose meine letzten zwei Monate nicht brechend über einer Toilettenschüssel verbringen, vielleicht helfen mir alternative Heilungsmethoden wie Yoga oder das Gespräch mit einer guten Psychoonkologin viel mehr“, gibt Grams zu bedenken.
Lebensqualität am Ende
Krebs ist ein Milliardengeschäft und die Pharmafirmen verdienen gut daran. Warum übernehmen die Krankenkassen nicht die Kosten für alternative Methoden, wenn diese manchen tödlich Erkrankten viel mehr bringen würden als eine Chemotherapie? Natalie Grams sagt: „Krankenkassen sind nicht zuständig für Wellness und Wohlbefinden, sondern für erwiesenermaßen wirksame Therapien.“ Sie hat selbst in einer Geriatrie gearbeitet und ist der Meinung, dass die Palliativmedizin aufgewertet werden sollte: „Es geht darum, am Ende den Schmerz zu lindern, das Atmen zu erleichtern und Seelsorge anzubieten, auch für die Angehörigen. Und es sollten keine überzogenen Heilsversprechen gegeben werden, egal von welcher Seite.“
Nadja Kapeller hat die Therapie gut überstanden und befindet sich jetzt in der Nachsorge. Die beim triple negativen Mammakarzinom ersten kritischen zwei Jahre sind fast überstanden. Neben der Therapie haben ihr die Unterstützung durch ihren Partner, Verwandte und FreundInnen sehr geholfen und die Gespräche mit der Psychoonkologin im Spital, die ihr vermittelt hat, dass es in Ordnung sei, wenn ihr kleiner Sohn mitbekomme, dass sie krank ist und leidet. „Das hat viel Druck herausgenommen“, sagt Kapeller.
Sie rät KrebspatientInnen, auf sich selbst zu hören und selbstbewusst mit guten Ratschlägen umzugehen, die oft von allen Seiten auf einen einprasseln.
Wenn FreundInnen und Verwandte es gut meinen und die neue Wunderdiät gegen Krebs oder das Wundermittel aus dem Internet empfehlen, hilft laut Nadja Kapeller oft ein aufrichtiges und selbstbewusstes „Nein danke!“. Und es gilt wohl immer noch der alte Spruch: Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker, wobei es heute auch heißen müsste: Fragen Sie Ihre Ärztin oder ihre Apothekerin.
Was geht gut und was lässt man lieber?
Was bedeutet Komplementärmedizin?
Komplementärmedizin ergänzt die Schulmedizin und versucht, die Nebenwirkungen der Krankheit und ihrer Therapie zu mildern. Wenn ÄrztInnen Schulmedizin und Komplementärmedizin kombinieren, sprechen sie von integrativer oder ganzheitlicher Medizin.
Was sind Wechselwirkungen?
Viele auf den ersten Blick harmlose pflanzliche Therapien können in Kombination mit schulmedizinischen Krebstherapien gefährliche Wechselwirkungen hervorrufen, Nebenwirkungen verschlimmern oder die Wirkung der Medikamente herabsetzen. So verträgt sich beispielsweise eine Stammzellentransplantation nicht mit einer Misteltherapie.
Was heißt evidenzbasiert?
Evidenzbasiert bedeutet, dass die Wirksamkeit einer Therapie oder eines Medikaments durch wissenschaft liche Studien nachgewiesen wurde. Schulmedizinische Medikamente werden erst im Labor oder an Tieren getestet, bevor sie angewendet werden. Dann folgen Studien mit freiwilligen TeilnehmerInnen, die die Wirkung belegen müssen.
In der Komplementärmedizin und Alternativmedizin geht man andersherum vor: Erst zeigt die Erfahrung, dass ein Heilmittel wirkt, dann wird im Labor geprüft , ob und wie es wirkt. Generell kann Komplementärmedizin auch evidenzbasiert sein.
Was ist ungefährlich?
Alles, bei dem keine Substanzen eingenommen werden: zum Beispiel dem Fitnesslevel angepasste Bewegung, Akupunktur, Massage, Yoga, Achtsamkeitstraining oder Qigong. Auch therapeutisches Schreiben scheint sehr ttguherhert zuapeuapeu helttfisisen.cheche Ässrz S StchrchrInneneibeneiben emp s s fcheincheinehlentt , s s dehrehras s sich PatientInnen für die Maßnahme entscheiden sollen, die ihnen am meisten liegt. Bei allen Methoden geht es darum, sich wohlzufühlen und mit den Nebenwirkungen von Krebs und Krebstherapie besser umgehen zu können. Den Krebs bekämpfen können die alternativen Methoden – nach aktuellem Wissensstand – nicht.
Was ist mit Ingwer, Kurkuma & Co.?
Knoblauch, Kurkuma und Vitamin C –gefühlt alle paar Monate gibt es ein neues Nahrungsmittel oder Nahrungsergänzungsmittel mit angeblich wundersamer Antikrebs-wirkung oder dem Versprechen, die Nebenwirkungen einer Chemotherapie zu lindern. Das Problem: Wenn die Nebenwirkungen gelindert werden, kann das auch bedeuten, dass die Chemotherapie weniger wirkt und der Krebs nicht ausreichend eff ektiv bekämpft wird. Viele Nahrungsmittel und Nahrungs-ergänzungsmittel vertragen sich nicht gut mit Krebsmedikamenten. Ob es zu Wechselwirkungen kommt, hängt im Einzelfall von der Krebsart und der Art der Medikamente ab. Komplett verzichten sollte man während der Therapiezeit auf Grapefruit und grünen Tee.
Kräuter sind immer harmlos – stimmt das?
Leider nein. In Kombination mit einer Chemotherapie haben viele Kräuter oder Pflanzenextrakte unerwünschte Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen. Johanniskraut, das oft empfohlen wird, um die Nebenwirkungen einer Chemotherapie zu verringern, senkt die Wirksamkeit der Medikamente und sollte deshalb während der Therapie nicht eingenommen werden. Zudem gilt: Was bei der einen Krebsart ungefährlich oder sogar hilfreich ist, schadet bei der anderen! So wird zum Beispiel eine Therapie mit dem Extrakt von Misteln bei vielen Krebsarten empfohlen, nicht aber bei Lymphomen, Leukämien und Hirn- oder Rückenmarkstumoren. OnkologInnen warnen auch vor TCM-Kräutern: Da es sich um Mischungen handelt, ist es schwierig bis unmöglich, vorauszusehen, wie sie sich mit bestimmten Krebsmedikamenten vertragen.
An wen kann man sich wenden?
Die Wechselwirkungen zwischen Krebsmedikamenten und anderen Stoff en sind komplex. „In der onkologischen Forschung tut sich so viel, es gibt ständig neue Substanzen, da ist es selbst für OnkologInnen sehr schwer, am Ball zu bleiben“, sagt die Linzer Onkologin Elisabeth Bräutigam. Deshalb können HausärztInnen überfordert sein, wenn es um Wechselwirkungen zwischen Krebsmedizin und Komplementär medizin geht. Sie können aber zum Beispiel die richtigen AnsprechpartnerInnen für Fragen sein, etwa wie sich die Nebenwirkungen einer Chemotherapie besser meistern lassen oder was in der Zeit nach der Krebstherapie zu tun ist. Außerdem helfen PsychoonkologInnen dabei, mit der großen psychischen Herausforderung einer Krebsdiagnose besser umgehen zu können.
Links und Tipps:
selbertun.at
krebshilfe.net
kostenlose Telefonhotline der Krebshilfe: 0800 699 900
Der Artikel ist in der Ausgabe April 2020 erschienen. Das Einzelheft können Sie hier nachbestellen.