Zuhören ist so viel mehr als nur Hören. Vier Frauen, in deren Beruf dabei auch das Mitdenken, das Einfühlen und die Klarheit eine große Rolle spielen, erzählen.
Ein gesunder Mensch ist mit zwei Ohren ausgestattet. Dank dieser Sinnesorgane mit dem hochkomplexen System voller Knöchelchen, Röhren und Labyrinthe können wir Klänge und Geräusche wahrnehmen, das Ohr ist außerdem unser Gleichgewichtsorgan. Mithilfe unserer Ohren können wir hören – aber können wir dadurch auch schon zuhören?
Oft prasselt eine Flut an Eindrücken auf uns ein, sodass vieles einfach ausgeblendet werden muss und wir eher weghören statt hinhören. Geht man dann zur Abwechslung einmal schweigend durch den Wald, können Vogelstimmen, knackende Äste und plätschernde Bäche plötzlich wieder unser Ohr erreichen.
Bewegt man sich mit offenen Ohren durch die Stadt, hört man auch sie alle: die Autohupen, Fußgängerstimmen, Straßenmusikerklänge. Wenn wir ruhig und entspannt ohne ablenkende Geräusche mit einem Menschen sprechen, kommen Zwischentöne und versteckte Botschaften wieder zum Vorschein.
Beziehung durch Zuhören
„Solange man selbst redet, erfährt man nichts“, meinte Marie von Ebner-Eschenbach. Wenn Menschen miteinander sprechen und vor allem auf ihre jeweils eigenen Botschaften, auf ihren eigenen Auftritt konzentriert sind, bleibt von diesen Begegnungen nicht viel übrig. Wenn in einem Gespräch allerdings bewusst zugehört wird, kann Beziehung entstehen. Als Zuhörende kann man über das Gegenüber und dabei auch über sich selbst etwas lernen.
Bewusstes Zuhören ist eine Übung, die vielen Menschen schwerfällt: zu wenig Zeit, zu viel Ablenkung, zu viel Konzentration auf die eigenen Anliegen. Zum bewussten Zuhören braucht es Entspanntsein, ehrliches Interesse und die Ruhe, auch Pausen im Gespräch zuzulassen und diese nicht gleich wieder zu füllen. Es gibt Menschen, denen diese Fähigkeit in die Wiege gelegt wurde, wie beispielsweise Lata Zacherl: „Ich bin jemand, der gerne zuhört, und in Gesprächen meist nicht die, die redet“, sagt sie.
Seit vielen Jahren arbeitet sie als Biografin, schreibt über das Leben von Menschen, die sie dafür beauftragen. Einer solchen Biografie gehen zahlreiche Gespräche voraus, bei denen Lata Zacherl vor allem eines tut: zuhören. Und wie andere Menschen, in deren Beruf das eine große Rolle spielt, berichtet sie von den Folgen, die das bewusste Zuhören hat: Es entsteht eine Bindung, eine starke Beziehung. Die Menschen berichten ihr, wie gut es tut, wenn jemand zuhört.
Außerdem sagt sie: „Ich lerne selbst so viel dabei.“ Nicht nur sind die Gespräche mit älteren Menschen wie ein spannender Geschichtsunterricht, Zacherl erfährt auch, wie Menschen Krisen bewältigen, wie das gute Leben aus der Perspektive älterer Menschen aussieht. Sie betont, dass es hilft, dass sie als Außenstehende unbelastet zuhören kann, sie stellt dadurch andere Fragen und bekommt ehrliche Antworten. Ruhigeren Menschen wie ihr fällt das Zuhören leichter als Menschen, aus denen die Worte wie ein Wasserfall sprudeln. Wenn man selbst viel spricht, bleibt nur mehr wenig Raum zum Zuhören.
Zuhören als Berufung
In fast allen Bereichen, in denen Menschen mit Menschen zu tun haben, spielt das Zuhören eine große Rolle. Die Qualität des Zusammenlebens mit PartnerInnen, Kindern, FreundInnen und Eltern ist davon beeinflusst, wie gut wir zuhören und die Bedürfnisse anderer wahrnehmen. In vielen Berufen ist das gute Zuhören eine wichtige Voraussetzung: RichterInnen hören zu, um ein gerechtes Urteil fällen zu können.
LehrerInnen erfahren durch Zuhören, ob ihre SchülerInnen den Stoff verstanden haben oder ob sie Probleme haben. Menschen in Dienstleistungsberufen müssen ihren KundInnen gut zuhören, wenn diese ihre Wünsche und Vorstellungen schildern – sonst ist der Schreck beim Friseur oder in der frisch gestrichenen Wohnung groß.
ÄrztInnen müssen den Beschreibungen der Beschwerden ihrer PatientInnen zuhören, um Symptome besser einschätzen zu können. SeelsorgerInnen hören zu, um zu helfen und zu unterstützen. Wem schenken Sie heute Gehör? Wann fällt es Ihnen leicht, „ganz Ohr“ zu sein?
Petra Hartlieb
Buchhändlerin und Autorin
Beim Zuhören kommt die Wiener Buchhändlerin Petra Hartlieb auch auf Ideen für ihre Bücher. Kürzlich erschien der dritte Band ihrer Schnitzler-Reihe „Sommer in Wien“ (Dumont Verlag, 18,00 Euro). www.hartliebs.at
Das Zuhören bei uns BuchhändlerInnen beginnt schon, wenn wir von den Vertretern neue Bücher angeboten bekommen, das ist unsere erste Erzählbeziehung. Wir müssen zuhören, um herauszufinden, ob wir das Buch brauchen könnten. Beim Verkaufen im Geschäft finden wir später durch Zuhören heraus, was der noch unentschlossene Mensch kaufen möchte.
Viele sagen einfach, sie wollten „was Nettes“ oder „was Lustiges“ lesen oder würden ein Geschenk für eine „Frau um die 50“ suchen. Da musst du gut nachfragen und zuhören. Wenn ich den Inhalt eines Buches erzähle, habe ich nur eine halbe Minute Zeit, um das Interesse zu wecken. Wenn ich falsch beginne, schweift der Blick der Kundin oder des Kunden schon nach zehn Sekunden ab, das ist frustrierend.
In einen Laden wie den unseren kommen auch viele Menschen, die einfach ein bisschen quatschen wollen. Im Supermarkt redet keiner mehr mit den alten Menschen, also plaudern wir hier über das Wochenende und die Enkel, eben was früher alle Besitzer kleiner Geschäfte gemacht haben. Egal, wie viele Leute im Laden sind, wir nehmen uns viel Zeit und hören zu.
Auch als Buchautorin ist das Zuhören für mich wirklich wichtig. Wenn du den Leuten gut zuhörst, musst du nichts mehr erfinden. Jeden Typ Mensch gibt es schon, und in einen Buchladen kommt eine unglaubliche Bandbreite an Menschen.
Zuhören spielt in meinem Privatleben ebenfalls eine wichtige Rolle. Ich habe ein reges Sozialleben, höre guten Freundinnen zu, manchmal gibt es auch nichts zu sagen und wir schweigen gemeinsam. Meine syrische Freundin hat mir ihre Fluchtgeschichte erzählt. Da sitzt du und hörst zu. Was willst du auch sagen auf so ungeheuerliche Geschichten hin. Da hat das Zuhören nur den Zweck, dass du da bist und zuhörst.
Weitere Porträts finden Sie in der Printausgabe.
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