Klein, aber frei

Klein, aber frei
Foto: Patricia Rieder
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  • Veröffentlicht: 18.06.2024
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Wie viel Platz brauchen wir tatsächlich zum Leben? Und wie viel, um glücklich zu sein? Drei Frauen erzählen, wie sie ihren Wohnraum reduziert haben – und wie sich das auf ihr Inneres auswirkt.

„Wer braucht schon eine Kasnudelform? Ich musste sie vor Jahren unbedingt haben – und habe sie kein einziges Mal verwendet“, erzählt Waltraud Kerndle (70) im Interview. Die Steirerin wurde 2022 Witwe. „In dem Moment, als mein Mann starb, habe ich beschlossen, unsere Wohnung aufzugeben und mir was Kleineres zu suchen.“ 40 Jahre hatte das Ehepaar in der 130 Quadratmeter großen Wohnung gelebt. „Wunderschön, mitten in Graz, mit einem 900 Quadratmeter großen Garten. Aber auch unwirtschaftlich, viel zu arbeitsintensiv und einfach nicht gemacht fürs Älterwerden.“

„Letzten Endes musste ich feststellen, dass ich so vieles hatte, womit ich überhaupt nichts anfangen konnte. Die Entsorgung dieser Dinge war ein sehr befreiender Prozess für mich.“
Waltraud Kerndle

Mittlerweile wohnt die Mutter einer Tochter und Großmutter einer Enkelin in einer modernen Neubauwohnung, ebenfalls mit Garten, aber mit einer kleineren Fläche. „Das erste Mal, als ich in der Wohnküche dieser Wohnung stand, dachte ich mir: ,Menschenskind, ist das winzig!‘ Aber geschickt eingerichtet finde ich es jetzt vollkommen ausreichend für mich.“ Die Vorteile überwiegen für die Pensionistin jedenfalls: „Ich bin in allem viel schneller und bin auch nicht auf Hilfe angewiesen. In meiner alten Wohnung konnte ich die hohen Fenster nicht mehr selbst putzen. Das geht jetzt ohne Probleme und ich brauche keine Leiter dazu. Auch meinen kleinen Garten kann ich gut selbst betreuen.“ Einzig eine Vorratskammer fehlt ihr. „Da musste ich mich umstellen, weil ich früher gerne auf Vorrat eingekauft habe. Aber man gewöhnt sich daran.“

Das alte Leben loslassen

Ein Jahr lang musste sie warten, ehe sie übersiedeln konnte, weil die neue Wohnung noch fertiggestellt wurde. „Das war aber notwendig“, resümiert sie. „Ein Lebensabschnitt ging zu Ende, das muss man emotional auch verarbeiten. Außerdem hat sich in den 40 Jahren einiges angesammelt – das sorgfältig zu sortieren, braucht Zeit. Ein paar Lieblingsstücke wie zwei alte Kommoden, einen Esstisch im Jugendstil und unsere Hussenstühle mussten unbedingt mit, aber vom Großteil musste ich mich trennen.“ Die Sachen, die in ihrer neuen Bleibe keinen Platz mehr fanden, verschenkte Kerndle vielfach an FreundInnen und Bekannte. „Letzten Endes musste ich feststellen, dass ich so vieles hatte, womit ich überhaupt nichts anfangen konnte. Die Entsorgung dieser Dinge war ein sehr befreiender Prozess für mich.“

Wertvoller als Besitz

Auch Psychotherapeut Christian Beer von der „Wiener Couch“, dem Zentrum für Psychotherapie und Persönlichkeitsentwicklung, sieht im Sich-Zeit-Nehmen und in der ehrlichen Auseinandersetzung mit sich selbst eine besondere Qualität: „Ein Verlust ist ein Verlust, und da ist man eingeladen, zuerst hinzusehen. Wenn ich das nicht tue, wird mich das alles zu einem späteren Zeitpunkt sehr wahrscheinlich schmerzhaft einholen.“ Denn es liege nicht per se in unserer Natur, uns zu verkleinern, sagt der Experte. Er erklärt: „Wir sind darauf ausgerichtet, zu wachsen und größer zu werden. Alles andere fühlt sich für uns selten stimmig an. Jemand, der es jahrelang gewohnt war, im 5-Sterne-Hotel Urlaub zu machen, wird nicht sagen, dass es im 2-Sterne-Hotel besser ist. Auch weil Besitz und Konsum, auch gesellschaftlich geprägt, viel mit unserer Identität zu tun haben und wir uns – auch wenn wir es vielleicht nicht immer gerne hören – über Autos, Urlaube und Ähnliches definieren.“ Es sei denn, man findet im Loslassen einen Mehrwert für sich selbst, der größer ist als das Gefühl, das man mit den Dingen, die man besitzt, verbindet. Etwas, das einen tief im Inneren antreibt. Das kann emotionale Stabilität schaffen – und am Ende zu einem positiven Lebensgefühl und echtem Glück führen.

„Ich frage mich oft, warum ich diesen Schritt nicht früher gegangen bin und drei Jahre zugewartet habe.“
Kerstin Peterlik

So wie bei Kerstin Peterlik (42). Auch sie verlor unerwartet vor drei Jahren ihren Mann. Der gemeinsamen Tochter wegen wollte sie im Haus bleiben: 300 Quadratmeter mit riesigem Garten, Pool und einem 17 Quadratmeter großen Schrankraum. „Ich dachte, ich bin ihr das schuldig“, sagt sie. „Mein Therapeut hat mir irgendwann aber den Anstoß zur Veränderung gegeben, indem er mich fragte, wovon meine Tochter wohl mehr hat: von einer unglücklichen Mutter in einem großen Haus oder einer glücklichen Mutter in einer kleineren Wohnung?“ Also entschied sich die Witwe dazu, das Haus zu verkaufen. „Ich war unglaublich überfordert mit allem, ständig grantig und habe mit meinem Kind wegen Kleinigkeiten diskutiert. Nur, damit ich zu anderen sagen kann: ‚Mir gehört dieses Haus‘? Nein, das steht nicht dafür!“ Anfang dieses Jahres zog sie in eine 90 Quadratmeter große Wohnung. „Ich bin relaxter denn je“, sagt die angehende Unternehmerin heute. „Auch die Beziehung zu meiner Tochter hat sich entspannt. Ich wohne zur Miete, weil ich die Last eines Kredits nicht mehr tragen will. Ich frage mich oft, warum ich diesen Schritt nicht früher gegangen bin und drei Jahre zugewartet habe.“

Foto: Patricia Rieder
„Weniger Platz erfordert bessere Organisation und optimierte Aufbewahrungslösungen. Dafür braucht es ein organisiertes und geordnetes Leben.“
Patricia Rieder

Das Gefühl von Kontrolle und Ordnung

Patricia Rieder ist Interior-Designerin und Expertin für Wohnpsychologie. Sie kann bestätigen, dass weniger Wohnraum tatsächlich oft zu mehr Wohlbefinden führen kann – sofern man ihn optimal nutzt: „Weniger Platz erfordert bessere Organisation und optimierte Aufbewahrungslösungen. Dafür braucht es ein organisiertes und geordnetes Leben. Psychologisch gesehen fördert ein kleinerer, gut durchdachter Wohnraum ein Gefühl der Kontrolle und Ordnung.“ Das reduziere Stress, so die Expertin. Und man hat mehr Zeit für andere Dinge und Tätigkeiten. Noch ein Vorteil von weniger Quadratmetern: „Kleinere Wohnräume sind einfacher und schneller zu reinigen und zu pflegen.“ Aber bei der Wohnqualität kommt es nicht allein auf die Quadratmeter an. „Vor allem Faktoren wie Licht, Luftqualität, Raumaufteilung und die Verwendung natürlicher Materialien spielen eine entscheidende Rolle“, weiß Rieder. „Diese Elemente sind oft wichtiger als die Größe, denn sie beeinflussen direkt, wie wir uns in unserem Zuhause fühlen. Wenn man die richtige Beleuchtung, Materialien, Farben beziehungsweise Verstaumöglichkeiten oder flexible Möbel hat, dann kann das sehr viel zum Wohlbefinden beitragen.“

„Wenn jede Ecke vollgestellt ist, verliere ich oft den Fokus fürs Wesentliche.“
Carolin Ebner

Nach ihrer Scheidung musste Carolin Ebner ebenfalls ihren Wohnraum verkleinern und siedelte von einem 150 Quadratmeter großen Haus mit riesigem Garten am Stadtrand in eine Wohnung mitten in Wien. Die zweifache Mutter resümiert: „Ich musste mich von einigem trennen, aber ich habe mich befreit gefühlt, den ganzen Ballast und die vielen Sachen und Möbel zu entrümpeln. Ich habe viel gespendet und meine neue Wohnung nicht mehr vollgeräumt.“ Die Gründerin von „Mama Retreat“ versucht weiterhin, nichts mehr anzuhäufen. „Für mich ist es nicht immer einfach, mich beim Kaufen zurückzuhalten, aber ich brauche den leeren Platz für meinen Kopf. Wenn jede Ecke vollgestellt ist, verliere ich oft den Fokus fürs Wesentliche.“ Durch den Umzug hat sie für sich gelernt: „Weniger ist tatsächlich oft mehr.“

Wie man in kleineren Wohnräumen die Lebensqualität steigert:

  • Licht: Natürliche Beleuchtung verbessert die Stimmung und das Wohlbefinden. Achten Sie darauf, dass Ihre Räume ausreichend Tageslicht erhalten.
  • Luftqualität: Gute Belüftung und frische Luft sind essenziell. Investieren Sie in Pflanzen und Luftreiniger, um die Luftqualität zu verbessern.
  • Raumaufteilung: Eine intelligente Raumaufteilung maximiert den Nutzen jedes Quadratmeters und schafft ein Gefühl von Weite.
  • Materialien: Verwenden Sie natürliche Materialien wie Holz und Stein, um eine warme und einladende Atmosphäre zu schaffen.
  • Aufbewahrungslösungen: Optimierte und funktionale Aufbewahrungssysteme helfen, Ordnung zu halten und Stress zu reduzieren.
  • Flexibilität der Möbel: Möbel, die mehrere Funktionen erfüllen, wie ein Schlafsofa oder ein ausziehbarer Esstisch, sparen Platz und bieten Flexibilität.
  • Farben und Dekoration: Helle Farben und minimalistische Dekorationen lassen Räume größer und offener wirken.

Vorteile von kleineren Wohnräumen:

  • Bessere Struktur: Weniger Platz fordert eine bessere Organisation und fördert ein geordnetes Leben.
  • Weniger Stress: Ein kleinerer, gut durchdachter Raum verringert Unordnung und schafft innere Klarheit.
  • Zeitgewinn: Weniger Wohnfläche bedeutet weniger Aufwand für Reinigung und Pflege. So bleibt mehr Zeit für andere Aktivitäten.
  • Finanzielle Erleichterung: Geringere Wohnkosten und reduzierte Ausgaben für Einrichtung und Dekoration entlasten das Budget.
  • Nachhaltiger leben: Ein kompakter Wohnraum hat einen kleineren ökologischen Fußabdruck und ist oft energieeffizienter.
  • Klarheit im Kopf: Weniger Besitz fördert geistige Klarheit und ermöglicht es, sich auf die wesentlichen Dinge im Leben zu konzentrieren.
  • Kontrolle und Sicherheit: Kleinere Räume sind übersichtlicher und vermitteln ein Gefühl von Kontrolle und Geborgenheit.
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