KI in partnerschaftlichen Beziehungen

KI in partnerschaftlichen Beziehungen
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  • Veröffentlicht: 17.06.2024
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Diese Geschichte glauben Sie mir nie. Auf der Suche nach Inspiration wanderte ich auf den Grünberg. Welche KI mich auf dem Weg zwischen Vogelgezwitscher und Frühlingssonne im Wald gefunden hat? Und warum sie mich kopfschüttelnd zurückließ.

Ich keuche gerade unter der letzten Seilbahnstütze nach oben, als mir ein stilvoll gekleidetes älteres Paar mit Hund entgegenkommt. „Griaß eich!“, presse ich im Vorbeigehen heraus. Der erste kleine Berg seit Monaten, meine körperliche Form lässt grüßen. Sie grinsen, grüßen freundlich zurück und wandern weiter bergab. Die hat sicher die Seilbahn oben ausgespuckt – aber nettes Paar, denke ich mir und nähere mich dem Gipfelplateau.

Ein wenig bekümmert setze ich mich mit meinem Käsebrot und Apfel auf die Bank. Noch immer keine Idee für die nächste Kolumne. Vielleicht sollte ich ChatGPT befragen? Mein Blick schweift über den malerischen Traunsee. Menschen um mich herum zücken ihre smarten Telefone und fangen die herrliche Kulisse ein, um sie gleich danach mit anderen im weltweiten Netz zu teilen. Das mache ich auch immer wieder. In diesem Moment finde ich uns als Spezies jedoch eigenartig. Dass wir uns so schwertun, im Moment zu sein und zu bleiben. So oft sind wir schon zwei Schritte voraus oder hängen Vergangenem hinterher.

Echos und eine fragwürdige Rettungsaktion im Zeitlupentempo

In dieser Sekunde ertappe ich mich dabei, die Einkaufsliste im Kopf zu ergänzen, die ich am Heimweg noch abhaken will. Also starte ich schnellen Schrittes Richtung Tal. Über Wurzeln und Steine durch den Wald nach unten hopsend sehe ich plötzlich den älteren Mann von vorhin. Er liegt vom Weg abgekommen, mit Laub übersät am Boden und versucht gerade, sich hochzurappeln. Seine Frau sehe ich im ersten Moment nicht. „Ist mit Ihnen alles in Ordnung?“, rufe ich ihm zu. Keine Antwort. Also werde ich zu meinem eigenen Echo: „Geht’s Ihnen gut oder brauchen Sie Hilfe?“

Der Mann versucht, sich zu erheben, scheitert aber am Gleichgewicht und stürzt erneut im steilen Gelände. Ich verlasse den Weg und steige zu ihm hinunter. Jetzt erkenne ich, warum er mir keine Antwort geben kann. Er ist völlig verschwitzt, außer Atem und erschöpft. Ich löchere ihn mit Fragen, während ich ihm die Hand reiche. „Sind Sie verletzt? Haben Sie den Weg verloren?“ Beim Versuch, ihn hochzuhieven, landet er wieder mit dem Allerwertesten am weichen Waldboden. Also hebe ich ihn hoch. Glücklicherweise ist er schlank, wenn auch sehr groß. Ich lege seinen Arm um meine Schulter und lotse ihn in Zeitlupentempo, aber sicher zurück zum Weg.

„Setzen Sie sich und rasten Sie einmal“, versuche ich, ihn zu beruhigen, während ich nach seiner Begleitung Ausschau halte. Beinahe fallen mir die Augen heraus, als ich entdecke, dass die gnädige Frau etwa 20 Meter weiter unten steht und seelenruhig zuschaut, wie ich ihren Mann aus dem Dickicht schleppe. Ihr Labrador läuft hilflos zwischen den beiden hin und her, versucht, mit einem Stock zu helfen, und scheitert kläglich. Der Hund hat eindeutig ein stärker ausgeprägtes Helfersyndrom als die feine Dame.

Designer-Sonnenbrille statt Wanderstöcke

„Wie kann sie nur so unbeeindruckt dastehen und nichts tun?“, brodelt es in mir. Kein Zurufen, Ermutigen, Bestärken. Zurückgehen, noch dazu bergauf, ist scheinbar erst recht keine Option für sie. Stattdessen zupft sie ihren luxuriösen Schal zurecht und rückt die Designer-Sonnenbrille gerade. Komplett kühl wirkt sie – so, als würde sie es gar nicht interessieren, wie es ihm gerade geht. Wunderbare Partnerschaft, denke ich mir heimlich, aber zynisch. So ein altes Ehepaar will ich lieber nicht werden.

„Wollen’S probieren, dass wir zu Ihrer Frau hinunterkommen?“, erkundige ich mich. Nachdem er zustimmt, bringe ich den Senior auf extrem wackeligen Beinen in Bewegung. Sie rührt sich noch immer nicht von der Stelle. Schon nach wenigen Metern ist mir klar: Der Ausflügler schafft es nie bis zur Grünbergbäuerin. Zu unwegsam und weit ist die Strecke, so kraftlos wie er ist. Weiter kann ich noch nicht denken. Ich bin zu beschäftigt, das Gelände mit ihm zu bewältigen.

Vergebliche Hoffnung und Eisberg-Empathie

Die Frau empfängt uns mit dem Satz: „Ich hab ihm eh gesagt, er soll die Stöcke mitnehmen, aber das wollt er nicht.“ Meine linke Augenbraue wandert in ungeahnte Höhen. Ich verkneife mir aber jede spitze Bemerkung, die mir auf der Zunge liegt. Zwei Schritte weiter positioniere ich den entkräfteten Herren am Fuß eines Baumes, damit er sich anlehnen und durchatmen kann. Der Schweiß rinnt ihm über die Stirn. Ob er nicht auch ein bisschen verwirrt ist, frage ich mich, als ich ihn so anschaue.

Kein sorgevolles Wort verlässt ihre Lippen. Kein „Wie geht’s dir? Hast du dir weh getan? Kann ich dir helfen?“ Stattdessen versprüht sie die Wärme eines Eisbergs und lässt nicht lange auf den nächsten Vorwurf warten: „Dass du immer so stur bist!“ Das Häufchen Elend am Erdboden kann nicht einmal etwas erwidern. Es ist mit Atmen und Schwitzen beschäftigt. Nach liebevollen, mitfühlenden Gesten suche ich vergebens zwischen den Zweien.

Resistent gegen hilfreiche Ideen

„Es ist noch weit bis nach unten. Das wird schwierig in so einer Verfassung!“, versuche ich, den Ernst der Lage zu verdeutlichen. Eine lange, erholsame Pause ist das Mindeste, was der gute Herr braucht, wenn es weitergehen soll. Sie bedankt sich kurz und knapp bei mir, schickt mich aber weiter. „Wird schon gehen!“, beschwichtigt sie meine Sorge. Leicht irritiert und mangels anderer Lösungen nehme ich meinen Weg wieder auf. Bei jeder Wurzel, jedem größeren Schritt und dem unwegsamen Gelände denke ich an den Mann. Nie im Leben werden die beiden es schaffen, heil am nächsten Parkplatz anzugelangen.

Ich kehre um und sprinte nochmal ein paar Minuten nach oben. Da sehe ich, wie er schon wieder aufgestanden ist, sie ihn von Baum zu Baum delegiert und dabei seine Hand hält. Seine Beine zittern wie wild, er hat Koordinationsschwierigkeiten und sieht noch erschöpfter aus als zuvor.

„Wollen’S nicht um Hilfe bitten? Die Bergrettung hat eine Dienststelle in Gmunden!“, flehe ich die Frau beinahe an. Doch sie wimmelt ab. Trinkflasche, Rucksack, Jause – Fehlanzeige. Eine schicke Handtasche und sonst nichts. „Haben Sie ein Handy dabei für den Notfall?“, ist die letzte Frage, die ich noch stelle. „Jaja!“, winkt sie ab und lässt mir keine andere Wahl, als von dannen zu ziehen.

„Selbst wenn wir uns wie das wandernde Ehepaar körperlich nahe sind, sind wir emotional oft Welten voneinander entfernt.“

Eine KI, die Beziehungen bedroht

Da ist sie, dämmert es mir plötzlich: KI in einer partnerschaftlichen Beziehung. Und zwar nicht „Künstliche Intelligenz“, sondern „Künstliche Intimität“, wie Esther Perel das bezeichnet. Selbst wenn wir uns körperlich nahe sind (wie das wandernde Ehepaar), sind wir emotional oft Welten voneinander entfernt. Diese Einsamkeit, Abgetrenntheit und Kälte, die dabei entstehen, sind ein Phänomen unserer Zeit. Einerseits sind wir global blendend vernetzt, andererseits kennen Menschen nicht einmal die Namen ihrer NachbarInnen. Wir leben unter einem Dach, trauen uns aber teilweise nicht zu fragen, wie es unserem Gegenüber wirklich geht.

Die Sehnsucht, das Verlangen und das Bedürfnis, echte Intimität zu erleben, sind enorm. Doch sind wir auch bereit, auf uns zu nehmen, was es dafür braucht?

 

  • Den Zweifel aushalten, ob die andere Person auch mit uns verbunden sein möchte
  • Die Konflikte austragen, die aus echtem offenem Austausch entstehen
  • Die Experimente wagen, wenn etwas Neues entstehen darf und soll
  • Die Reibung verkraften, die wirkliche Intimität auslösen kann
  • Der Verletzlichkeit ausgesetzt sein, wenn wir uns menschlich zeigen möchten

Am eigenen Leib erlebe ich an diesem Tag, wie unzufriedenstellend es ist, für etwas keine Lösung gefunden zu haben. Gerne würde ich an dieser Stelle berichten, dass ich den Mann heroisch bis zur Grünbergalm geschleppt oder auf anderem Wege gerettet habe. Fehlanzeige. Ich muss aushalten, dass Empathie das Einzige ist, was die beiden annehmen wollten. Besser gesagt er. Sie wollte nicht einmal das.

Empathie ist größer als Problemlösungen

So geht es uns auch in unseren Partnerschaften. Wir haben die besten Ideen, innovativsten Lösungen und umwerfendsten Pläne für die Probleme anderer. Manchmal ist es aber klüger, sie sich zu verkneifen. Denn echte Verbindung entsteht durch andere Dinge.

Wenn ich aushalte, verkrafte und hinnehme, dass Empathie größer ist als eine Lösung, kann eine tiefere Verbindung entstehen als durch die schnelle Bewältigung eines Problems. Wie das im Fall des wandernden Duos mit Vierbeiner aussehen hätte können?

  • Statt aus der Ferne seine Überforderung und den Sturz im Laub zu beobachten, hätte die Frau Kontakt aufnehmen können – durch Zuruf, Ermutigung oder Anleitung.
  • Statt mit Vorwürfen, die Wanderstöcke nicht zu nehmen, hätte sie ihm mit einem aufrichtigen „Ich sehe, dir geht es nicht gut!“ begegnen können.
  • Statt mit herabwürdigenden Blicken hätte die Frau sich zu ihm auf den Boden setzen und ihm auf Augenhöhe begegnen können.
  • Statt den Mann vorschnell zum Weitergehen zu zwingen, hätte sie sagen können: „Dein Wohlergehen ist mir wichtig. Lass uns noch rasten, bis es dir besser geht.“

EI statt KI

Beim Einkauf am Heimweg gehen mir die beiden immer noch durch den Kopf. Ich spekuliere, ob und wie die beiden es ins Tal geschafft haben. Gleichzeitig merke ich wieder: Als Paar aufzutreten, heißt noch lange nicht, ein Paar zu sein. Es gehört mehr dazu, als unter einem Dach zu leben. Es gehört mehr dazu, als denselben Ring am vierten Finger zu tragen. Es gehört mehr dazu, als nebeneinander zu gehen.

„Wenn es uns gelingt, jemanden nicht nur körperlich, sondern auch emotional nah an uns heranzulassen und umgekehrt herangelassen zu werden, dann wird aus Künstlicher Intimität ECHTE Intimität.“

Wir brauchen die Bereitschaft, einander sehen zu wollen. Ganz und gar. Mit unseren Stärken und vor allem mit unseren Schwächen. Dazu braucht es Mut und gleichzeitig ein sanftes Herz. Und wenn es uns gelingt, jemanden nicht nur körperlich, sondern auch emotional so nah an uns heranzulassen und umgekehrt herangelassen zu werden, dann wird aus Künstlicher Intimität ECHTE Intimität. Ich vertraue darauf, dass wir Menschen dazu in der Lage sind. Denn Maschinen werden dafür bestenfalls noch etwas länger brauchen.

Foto: Marie Bleyer

Kerstin Bamminger

Psychologische Beraterin & Elementarpädagogin

Web: www.kerstinbamminger.com
Mail: lebendig@kerstinbamminger.com
Instagram: @die.beziehungsweise