Coronapandemie, Krieg, Inflation, Klimakrise: Die Welt liegt im Argen. Trotzdem müssen und dürfen wir zuversichtlich sein. Ein Gespräch mit Zukunftsforscherin Christiane Varga über Prognosen und Trends, die hoffnungsvoll stimmen.
Nicht nur in den Nachrichten prasseln negative Schlagzeilen auf uns ein. Auch die sozialen Medien sind voll von Schreckensmeldungen aus aller Welt. Wir können uns dem Sog schlechter Meldungen kaum entziehen. Die Welt befindet sich gefühlt in einem permanenten Ausnahmezustand – und das seit Jahren. Das belastet. Die Zukunftsforscherin Christiane Varga spürt die emotionale Müdigkeit, die Verdrossenheit und die Ängste, die sich durch unsere Gesellschaft ziehen. „Aber man ist als Einzelner gar nicht so ohnmächtig, wie es manchmal vielleicht scheint“, erklärt sie im Gespräch und spricht auch darüber, was wir alle konkret für ein besseres Morgen beitragen können, welche guten Prognosen es für 2024 gibt und worin wir jetzt besonders viel Halt finden.
Konflikte, Kriege, Klimakrise und weitere Katastrophen: Vor allem in den letzten Jahren haben sich die Negativmeldungen überschlagen. Haben wir überhaupt noch eine Zukunft vor uns?
Es stimmt, dass die negativen Meldungen so zahlreich sind wie nie zuvor. Das ist nicht nur ein Gefühl. Das liegt einerseits daran, dass alte Systeme nicht mehr zu neuen Lebensformen passen, aber auch daran, dass die Welt so vernetzt ist wie nie zuvor. Globale Lieferketten, Social Media: Wir bekommen jetzt alles hautnah mit. Wir erleben außerdem in fast allen Bereichen eine Krisenzeit. Unser Bildungssystem, Politisches, medizinische Strukturen: Überall haben sich vor allem seit der Coronapandemie Schwachstellen gezeigt. Es ist wichtig, anzuerkennen, dass wir in herausfordernden Zeiten leben. Wenn Menschen Angst vor der Zukunft haben, ist das ein legitimes Gefühl. Umso essenzieller ist es aber auch, diese multiplen Krisen zu nutzen, um sich mit wesentlichen Fragen auseinanderzusetzen: Was kann ich für ein besseres Morgen tun? Wie kann ich in der Gegenwart die Zukunft mitgestalten? Was braucht mein Umfeld? Wo kann ich mich sinnvoll einbringen? Das hilft im Kleinen und, wenn es viele machen, auch im Großen.
„Unsere Lebenswelt ist für eine Gesellschaft designt, die es so nicht mehr gibt.“
Seit der Coronapandemie spricht man gerne von der „neuen Normalität“. Inzwischen ist auf der Welt viel passiert. Wo stehen wir heute als Gesellschaft?
Wir befinden uns gerade in einer unangenehmen Zwischenphase. Altes ist noch nicht ganz zu Ende, Neues ist noch nicht ganz da. Allein wenn man das bisherige Steigerungsdenken betrachtet: höher, schneller, weiter – das funktioniert so nicht mehr. Unsere Lebenswelt ist für eine Gesellschaft designt, die es so nicht mehr gibt. Zukunft war noch nie so ungewiss wie heute. Dort, wo wir jetzt stehen, ist niemand gerne. Bei manchen führt diese große Unsicherheit zu Fatalismus, bei anderen äußert es sich in Aggressionen.
Was kommt nach dieser Zwischenphase, wohin geht die Reise?
Das kommt ganz darauf an, für welche Richtung wir uns heute entscheiden. Und jeder entscheidet selbst, etwa indem wir uns wieder mehr aufs Menschsein besinnen. Es tut gut, wenn wir nicht nur auf uns selbst schauen, sondern auch wahrnehmen, was andere brauchen. Ich bin eine große Verfechterin von Freundlichkeit im Alltag. Das mag banal klingen, bewirkt aber viel.
Wenn wir an 2024 denken: Mit welchen positiven Entwicklungen dürfen wir rechnen?
Die angespannte Finanzsituation wird sich hoffentlich etwas beruhigen. Auch politisch und gesellschaftlich kommen wir aus einer so intensiven Phase, dass der Gedanke, dass es nicht so weitergehen kann, bei den meisten angekommen ist. Das macht sich oft auf kleinerer, dezentraler Ebene bemerkbar. Ich unterrichte an einer FH, an der die StudentInnen sich zum Beispiel einem sehr wichtigen Thema verschrieben haben: Wie kann es gelingen, Generationen wieder mehr miteinander zu verbinden? Sie haben dafür ein Konzept ins Leben gerufen, wo jüngere Menschen älteren die digitale Welt erklären. Projekte wie diese machen Mut und Hoffnung.
Auch viele Jugendliche machen sich Sorgen über ihre Zukunft. Wie kann man ihnen ihre Ängste nehmen?
Die Lebensläufe der jungen Generation gestalten sich nicht mehr so linear und vorhersehbar, weil auch die Welt fluider und dynamischer geworden ist. Die Jugendlichen sind deshalb viel adaptiver als die Generationen vor ihnen. Was man hier vor allem sehen muss, sind die Möglichkeiten, die dem zugrunde liegen. Noch nie konnte man sein Leben so vielfältig gestalten wie jetzt. Jugendliche sollen und dürfen sich auf die abenteuerlichen Aspekte des Lebens konzentrieren. Was mir auch auffällt: Viele fühlen sich für all die Geschehnisse verantwortlich beziehungsweise für den Weg heraus aus der Krise. Solche Gedanken belasten. Was wir als Gesellschaft tun können, ist, für Jugendliche Verständnis zu haben, zu fragen, was in ihnen vorgeht.
„Wenn unsere Grundstrukturen neu organisiert werden würden, würden wir mehr Stabilität bei einer gleichzeitigen Flexibilität gewinnen.“
Welche Lösungsansätze für eine bessere Zukunft sollen stärker diskutiert werden?
Systeme sollten wieder dezentraler funktionieren. Nicht jede Stadt hat dieselben Bedürfnisse, nicht immer passt eine Lösung nach Schema F. Wenn unsere Grundstrukturen neu organisiert werden würden, würden wir mehr Stabilität bei einer gleichzeitigen Flexibilität gewinnen.
Ein Wandel, von dem man immer wieder liest: Mehr und mehr Menschen setzen auf Lebensqualität und verzichten dafür gerne auf materiellen Wohlstand. Welche Werte werden sich in Zukunft noch verschieben?
Ja, die klassischen Statussymbole haben für junge Menschen vielfach ausgedient. Aber jeder Trend hat auch einen Gegentrend. Erst unlängst kam dazu eine österreichische Jungendstudie heraus, bei der der Großteil der 17- bis 19-Jährigen gesagt hat, sie träumen von Eigenheim und Besitz. Dahinter steht ein großer Wunsch nach Beständigkeit und Sicherheit. Wenn die Welt im Chaos liegt, findet man oft Halt in der Tradition.
„Eine gute Zukunft ist immer eine Kombination aus bereits Bestehendem und Innovationen.“
Der Zukunftsforscher Opaschowski sagt, Menschen seien verstärkt auf der Suche nach Sinn. Wo finden wir ihn?
Die Menschen suchen – ja, das merkt man enorm. Viele fühlen sich von fernöstlichen Lebenskonzepten angezogen, was ich etwas schade finde, denn auch in unserer westlichen Welt gibt es vieles zu entdecken. Man muss dabei nur an das Konzept der Nächstenliebe denken.
Bedeutet eine Rückbesinnung auf bestimmte Werte gleichzeitig auch einen Rückschritt?
Überhaupt nicht. Werte, die Sinn machen, verwurzeln uns auf eine positive Art und Weise. Eine gute Zukunft ist immer eine Kombination aus bereits Bestehendem und Innovationen. Traditionen bringen Stabilität. Und je stabiler, desto sicherer kann man in Richtung Zukunft fliegen. Wichtig ist nur, dass man nicht stehenbleibt.
Und wie geht es mit dem Feminismus weiter? Oder anders gefragt: Wo findet er angesichts so vieler heftiger Krisen noch Platz auf der gesellschaftlichen Agenda?
Mit dem Begriff Feminismus verbindet mittlerweile fast jeder etwas anderes. Ich bin dafür, dass wir uns auf ein gutes Zusammenleben für jeden Einzelnen konzentrieren. Unsere Gesellschaft exkludiert so viele – das muss aufhören.