Eigentlich ist unsere Autorin zufrieden mit ihrem Körper. Und trotzdem fragt sie sich jeden Tag, ob sie nicht doch zu dick ist. Aber sollten wir unseren Wert wirklich über unser Gewicht bestimmen?
Seit meinem 15. Lebensjahr mache ich Diäten – mal intensiver, mal weniger intensiv. Der Grund ist die innere Überzeugung, dass ich abnehmen muss. Sie verfolgt mich seit Teenagertagen. Und das bis heute. Es gibt genau gesagt keinen einzigen Tag, an dem ich vollkommen zufrieden in den Spiegel blicke. Automatisch vergleiche ich die Person, die mich dabei ansieht, mit Influencerinnen und Topmodels und versuche verzweifelt, mir einzureden, dass ich nicht dick bin.
Fürsprecher für meine These? Gibt es kaum. Denn laut dem Body-Maß-Index bin ich eindeutig übergewichtig, sogar fast adipös. Für meine Körpergröße bin ich also laut Statistik viel zu schwer. Dabei sehe ich nicht übergewichtig aus, und schon gar nicht lebensbedrohlich fettleibig. Der BMI berücksichtigt auch nicht, wie viele Muskeln man hat, wie man aussieht oder wie oft man trainiert. Er bewertet einzig unsere Körpergröße und unser Gewicht, ohne auf unsere Individualität einzugehen. Ziemlich problematisch.
Ich würde sagen, ich lebe ein Durchschnittsleben. Wie viele andere versuche ich, mit meinen 10.000 Schritten pro Tag aktiv zu bleiben – und scheitere regelmäßig an diesem Vorhaben. Ich ernähre mich normal, mal gibt es einen Big Mac, mal einen Green Goddess Salat. Naja, und so sieht eben auch meine Figur aus: Normal. Und versteht mich nicht falsch, ich bin zufrieden mit meinem Körper. Nur die Gesellschaft scheint es nicht zu sein. Dabei möchte ich gar keine Barbie-Figur haben. Nur habe ich es eben auch satt, abgestempelt zu werden, weil ich die klassischen Schönheitsideale nicht erfülle. Warum können wir nicht einfach endlich akzeptieren, dass jeder Körper anders – und das genau richtig so ist?
Wir haben gelernt: Bodyshaming ist normal
Selbst ein Blick in die Statistik zeigt: Mehr Gewicht auf der Waage heißt tendenziell auch, dass man es schwerer im Leben hat. Und zwar nicht unbedingt gesundheitlich. Übergewichtige Menschen haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, an einer psychischen Störung zu erkranken, erleben eher Herausforderungen im Liebesleben und werden bei der Jobsuche benachteiligt. Ganz zu schweigen von dem gängigen Klischee der disziplinlosen, ungesunden oder dummen Dicken.
Dabei gibt es sowohl sehr sportliche Übergewichtige als auch sehr faule Schlanke und alles dazwischen. Das Problem sind also nicht die Fakten, sondern unsere Sozialisation: Wir alle wachsen mit einem bestimmten Menschenbild auf. An Beispielen für diese These mangelt es gewiss nicht. Ich bin aufgewachsen mit Frauen wie Bridget Jones (Film: Schokolade zum Frühstück) oder Gretchen Haase (Serie: Doctor`s Diary). Beide waren weit weg von Übergewicht. Und beide wurden dennoch regelmäßig wegen ihres Körpers gedemütigt. Das Ganze hatte Struktur – und wir haben gelernt, dass Bodyshaming normal ist.
Das war in den 2000ern. Heute könnte man meinen, sind wir weiter als Gesellschaft. Leider sieht die Realität anders aus. Auch, wenn die Anspielungen auf vermeintlich normale und abnormale Körperformen vor allem in den Medien mittlerweile durchaus subtiler geworden sind, finden sie nach wie vor statt. Nehmen wir nur einmal die Modewelt: Kurvige Models sind auf Laufstegen noch immer eher eine Seltenheit. Selbst wenn Heidi Klum eine kurvige Frau zum Topmodel Deutschlands kürt, hat das irgendwie einen bitteren Beigeschmack. Allein, weil der Zusatz “curvy” noch immer notwendig zu sein scheint. Getreut dem Motto: Natürlich dürfen auch „kurvige“ Frauen mitmachen – als die Quotendicken. Das Modelbusiness hat seine alten Schönheitsideale nie wirklich losgelassen.
Was Schönheit uns (nicht) geben kann
Aber Bodyshaming ist nicht nur ein Thema der Modewelt. Auch auf Social Media prägt der Schlankheitswahn die Kultur. Etwa in Form der absurdesten Diäten und Selbstoptimierungstipps von vermeintlichen Topmodels, die uns Normalgewichtigen in Wahrheit dank Photoshop ein falsches Schönheitsideal vorleben. Der Weg dahin führt oft über durchaus fragwürdige Tipps. Aktuell on vogue ist die Promi-Diät im Pen-Format: Ozempic. Eigentlich eine Abnehmspritze für Menschen, die gesundheitlich bedingt zu viele Kilos auf den Rippen haben, schmeißen sich jetzt auch jene das Medikament ein, die einen völlig normalen, mit ziemlicher Sicherheit sogar schönen, Körper haben.
Wenn wir an diesem Punkt bereits angekommen sind, sind wir dann nicht vielleicht sogar bereit, für den perfekten Bikini-Body über Leichen zu gehen? Im Fall der Abnehmspritze jedenfalls nehmen wir fahrlässig hin, dass Diabetiker das für sie mitunter überlebenswichtige Medikament später oder gar nicht bekommen. Einfach, weil gesunde Menschen das Medikament aufkaufen, um gesellschaftlich vorgegebenen Normen zu entsprechen. Wir sollten statt nur gesund auszusehen lieber Acht auf unsere innere Gesundheit geben und uns fragen, was wir uns von diesem Diät-Wahn eigentlich wirklich versprechen. Liebe? Anerkennung? Erfolg?
Was es auch sein mag, ein schlankes Aussehen allein wird – steile These – nicht der Weg dahin sein. Und doch streben wir weiter nach der Schönheit als sei sie die einzig wahre Erfüllung unseres Lebens und wundern uns gleichzeitig, dass unsere Psyche gesamtgesellschaftlich leidet und die Zahlen von Magersucht, Depressionen und Übergewicht allesamt steigen. Wenn du mich fragst, befinden wir uns damit auf dem kompletten Irrweg. Ich für mich habe beschlossen, mich einfach trotzdem wohl in meinem Körper zu fühlen. Ich mag mich, weil ich nicht dem Schönheitsideal entspreche. Zahlen hin oder her. Denn eine Sache habe ich zum Glück verstanden: Jeder Körper ist schön, auf seine ganz eigene Art und Weise – ganz egal ob groß oder klein, braun oder blond, dünn oder dick.