Vom Wert der Hingabe

Vom Wert der Hingabe
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  • Veröffentlicht: 19.12.2021
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In einer Gesellschaft, die gerne alles unter Kontrolle hat, wird Hingabe oft mit Selbstverlust oder Selbstaufgabe gleichgesetzt. Welch ein Missverständnis! Die Tugend der Hingabe ist ein Schlüssel zu mehr Zufriedenheit.

Bereits als Kindergartenkind konnte sich Katharina Baschinger stundenlang mit einer Sache beschäftigen, ohne dass ihr langweilig wurde. Bei allem, was sie interessierte, war sie in ihrem Element, ganz gleich ob sie im Garten Unkraut zupfte oder ein Holzstück bearbeitete, das sie auf der Baustelle ihres Elternhauses gefunden hatte.

Eine spezielle Begeisterung entwickelte sie für die Musik. Spielte auf Dorffesten oder Kirtagen eine Blasmusikkapelle auf, war sie vom facettenreichen Klang der Instrumente und der fröhlichen Stimmung, die die Menschen erfasste, so ergriffen, dass sie freudig hüpfte und schon als Vierjährige zur Blasmusik wollte.

Natürlich erkannte sie bald, dass ihr für ein Blechblasinstrument die Puste fehlte. Wenig später fielen ihr bei einem Erntedankfest zwei Harmonikaspieler auf. „Das will ich auch lernen!“, erklärte sie ihren Eltern und war ein Jahr lang „lästig“. Diese versuchten ihr das Klavierspiel schmackhaft zu machen, aber das war für Baschinger uninteressant.

„Hingabe erfordert, dass man sich körperlich, geistig und seelisch einlässt. “
Katharina Baschinger, Musikerin und Studentin der Diatonischen Harmonika

Mut zum Interesse

Deshalb suchte sie auf eigene Faust in ihrer Gemeinde einen Pensionisten auf, der die Steirische Harmonika spielte, und bat ihn, sie zu unterrichten. „Der Traxler-Hans, so hieß er, sah mich erstaunt an: ‚A bissl kloan bist scho no, oba probieren ­kenna mas!‘

Und wie es der Zufall so wollte, fanden wir auf dem Dach­boden meiner Oma eine 100 Jahre alte Harmonika, die einst meinem Urgroßvater gehört hatte. Auf der fing ich an!“, erinnert sich ­Baschinger. Fortan packte sie einmal pro Woche ihre „Quetschn“ auf einen kleinen Leiterwagen und fuhr damit zu ihrem Mentor. Dieser lehrte sie die Grifftechnik und nahm sie zu diversen Auftritten mit.

Nach zwei Jahren konnte er Baschinger­ nichts mehr beibringen und empfahl ihr die Fortsetzung des Unterrichts an der Musikschule. Erst dort erkannte auch sie ihre Gabe – „und die Pflicht, verantwortungsvoll mit ihr umzugehen“.

Mit 14 Jahren wechselte sie ans Musik­gymnasium und studierte parallel dazu das Fach „Steirische ­Harmonika“ an der Akademie für Begabtenförderung der Anton Bruckner Privat­universität in Linz. Seit dem heurigen Oktober absolviert sie dort das Studium „Jazzkomposition“­ und am Mozarteum­ in Salzburg das Studium „Diatonische­ ­­Harmonika“.

Nebenbei tritt sie als Solistin und Mitglied des variierenden Ensembles „Diatonische Expeditionen“ auf, ebenso bei Fernseh- und Radiosendungen. Dabei gibt sie nicht nur Volksmusikstücke zum Besten, sondern auch Kompositionen der klassischen Musik und des Jazz sowie experimentelle Eigenkompositionen und Improvisationen.

Verbindung zu Menschen spüren

„Die Harmonika an sich ist nur ein Holzkasten mit Knöpfen. Für mich ist sie aber enorm wichtig, weil ich mich durch sie ausdrücken und Verbindungen zu Menschen schaffen kann“, sagt Katharina Baschinger. In ihrer Musik erlebt sie „heilige Augenblicke“.

Sich verschenken

„Hingabe erfordert, dass man sich körperlich, geistig und seelisch einlässt. Nur wenn ich beim Spiel meine Emotionen einbringe, kann ich mich spüren, eine Melodie authentisch vermitteln, mich verschenken und die Menschen berühren“, sagt die Musikerin. Der größte Genuss sei für sie, wenn sie „schweißgebadet“ von der Bühne gehe.

Dann wisse sie: Das war ein intensiv gelebter, kostbarer Moment. „In diesem ekstatischen Flow-Zustand, in dem Körper und Verstand instinktiv handeln und ausschließlich der Emotion folgen, treten Techniken zugunsten eines einzigen, großen Spürens in den Hintergrund. Dadurch darf ich immer wieder eine Losgelöstheit von Zeit und Raum erfahren, ein Einssein mit allem, was ist.

Glücksgefühle wahrnehmen

Ihr erstes Erlebnis dieser Art widerfuhr ­Baschinger 2018 beim Alpenländischen Volks­musikwettbewerb, wo sie am Festabend vor über 1.000 Leuten spielte: „Mir war, als hätte ich mein Inneres nach außen gestülpt. So ein Augenblick ist heilig und ewig!“

Um solche Glücksgefühle länger auskosten zu können, versucht sie bei Konzerten störende Elemente – wie ein Hüsteln oder Räuspern im Saal – zu ignorieren. Freilich nimmt sie diese Geräusche wahr, aber sie misst ihnen keinerlei Bedeutung bei. „Gelingt es mir, mein Publikum mitzunehmen, ist es im Saal immer mucksmäuschenstill. Setzt der Applaus am Ende des Stücks zeitverzögert ein, weiß ich, dass ich die Menschen erwischt habe.“

Das Wesentliche schätzen

Um ihre Hingabe leben zu können, musste ­Baschinger auch noch etwas anders tun: sich von den Erwartungen unserer Gesellschaft lösen, „die auf Wirtschaftlichkeit und Effizienz basiert und jeden zu einem gewissen Tempo zwingt“.

Als Kind sei sie oft auf Unverständnis gestoßen, wenn sie für eine Sache ewig brauchte. Doch heute wisse sie: Mit Hudeln ist Hingabe unverträglich! Schließlich erfordere das tägliche Üben viel Zeit. Deshalb bleibe auch weniger davon für Familie und Freunde übrig. „Ich frage mich ständig, ob ich etwas versäume. Aber meine Antwort ist stets die gleiche: Wenn wir das Wesentliche zu schätzen wissen und eine Sache machen dürfen, die uns erfüllt, dann ist das mehr als ausreichend.“

Welt der Frauen Dezember 2020

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Erschienen in „Welt der Frauen“ Dezember 2020

Wir danken der Bruckner-Universität Linz und Gössl-Moden für die Unterstützung beim ­Fotoshooting.

Location: Bruckneruni, Kleidung: Goessl