Heilung ohne Ehrgeiz

Heilung ohne Ehrgeiz
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  • Veröffentlicht: 10.10.2022
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Yoga ersetzt nicht die klassische Medizin, hilft aber bei Brustkrebs in vielerlei Hinsicht. Sanft praktiziert, lindern die Übungen Schmerzen, stärken das Wohlbefinden und erzeugen im besten Fall auch mehr Gelassenheit gegenüber körperlichen Vorgängen. Sabine Wilde bietet seit beinahe zehn Jahren spezielle Kurse zu Yoga bei Brustkrebs an.

„Ich habe das als so heilsam erlebt.“ Die größte Hilfe, die ihr Yoga nach der Brustkrebsbehandlung bot, war das Gefühl, wieder selbst etwas für sich tun zu können, sagt Sabine Wilde. „Du bist ja die ganze Zeit dieser Medikamentenmaschine ausgeliefert. Yoga zu praktizieren, ist eine Möglichkeit, die Wirksamkeit wieder in die eigene Hand zu bekommen.“

Yoga spielte schon vor der Erkrankung eine zunehmend große Rolle in Sabine Wildes Leben. 2004 hatte sie mit ihrem Mann, einem Kampfkunstsportler, das Studio „Bushido“ in Wien gegründet, in dem in familiärer Atmosphäre neben Taekwondo auch Pilates und Yoga unterrichtet werden. Im Hauptberuf ist Sabine Wilde Bankangestellte. Sie hatte, damals noch in leitender Position, niemals vor, sich zur Yogalehrerin ausbilden zu lassen. Dann kam sie aber doch auf den Geschmack und gab schließlich selbst nebenberuflich Kurse in ihrem Studio, bis sie 2010 die niederschmetternde Diagnose Brustkrebs erhielt.

„Operation, Chemo, Bestrahlung, Antihormon- und Antikörpertherapie“, Sabine Wilde durchlief das volle Behandlungsprogramm, fing aber noch während der Therapie wieder an, Sport zu treiben und vor allem Yoga zu praktizieren. „Damals wollte ich fast verzweifelt wieder in Bewegung kommen“, sagt sie. Vor allem aber wollte sie, wenn die Therapie hinter ihr läge, etwas von ihren Erfahrungen weitergeben und ein spezielles Yogaangebot für Brust- krebsbetroffene schaffen. Das war damals im Jahr 2012 noch „relativ exklusiv“, es wurde bei Weitem nicht so viel über die Erkrankung gesprochen wie heute, es gab weniger Initiativen, Brustkrebs galt als ein Stigma, und die körperliche Wirkung meditativer Praktiken war kaum wissenschaftlich erforscht. Heute ist das anders.

Sabine Wilde wandte sich an die Krebshilfe, die ihr Vorhaben unterstützte, und begann eine Ausbildung in Therapieyoga. Ihre Kurse „Yoga bei Brustkrebs“ waren, so vermutet sie, unter den ersten, die überhaupt in Österreich angeboten wurden. Die Kurse finden in geschütztem, ruhigem Rahmen statt, zu einer Tageszeit, in der wenig Geschäftigkeit im Studio herrscht, und das Spezielle an ihnen ist – neben der Zusammensetzung der Gruppe –, dass sie auf die besondere Situation nach einer Brustkrebsoperation und auf die individuellen Bedürfnisse der Teilnehmerinnen ausgerichtet sind. So liegt ein Schwerpunkt auf Übungen für den Hals-, Nacken- und Brustbereich: sanftes Dehnen, sanftes Bewegen. Aus eigener Erfahrung weiß Sabine Wilde, welche Probleme nach einer Krebsbehandlung auftreten können, etwa Polyneuropathien, also Taubheitsgefühle oder Kribbeln in den Gliedmaßen, als Folge der Bestrahlung oder Gelenksteifigkeit nach einer Antihormontherapie.

„Ich kann Rückenschmerzen physiologisch als Probleme des Iliosakralgelenks beschreiben, ich kann aber auch von einer Energieblockade sprechen und vom Wurzelchakra. Das wäre die yogische Sicht.“

Wohlbefinden geht vor

Sie selbst hat einen weiten Weg zurückgelegt. Während sie noch die Ausbildungskurse für therapeutisches Yoga besuchte, erhielt Sabine Wilde eine zweite Krebsdiagnose, der Tumor war zurückgekehrt. Noch einmal ging alles von vorne los, doch diesmal war etwas anders. Denn die Ausbildung bei Günther Niessen und Ganesh Mohan nach der SVASTHA-Methode, (einer Kombination aus orthopädisch-westlichem und yogisch-östlichem Zugang), die Wilde dann erst 2015 abschließen konnte, lehrte sie wesentlich mehr Gelassenheit gegenüber Einschränkungen, Geduld und sanftes Körperbewusstsein. „Diese Ausbildung“, sagt sie, „hat mich geheilt.“ Im Nachhinein war ihr klar, dass sie nach der ersten Erkrankung in dem Bedürfnis, schnell wieder anspruchsvolles Yoga zu praktizieren, über ihre Grenzen gegangen war. Heute übt sie wesentlich sanfter ohne jeglichen Leistungsdruck – der Fokus liegt auf dem Wohlbefinden: „Spüre, welche Bewegung sich für dich heute gut anfühlt“, ist fast ein Mantra in ihren Kursen.

„Sei achtsam, ohne zu bewerten“, Wilde verbindet diesen Ansatz mit einer wohltuenden Freiheit der Weltsicht. Denn die Wirkung des Yoga lässt sich auf verschiedene Weise erklären. „Ich kann Rückenschmerzen physiologisch als Probleme des Iliosakralgelenks beschreiben, ich kann aber auch von einer Energieblockade sprechen und vom Wurzelchakra. Das wäre die yogische Sicht.“ Sabine Wilde bietet den TeilnehmerInnen ihrer Kurse beide Formulierungen an. „Ich bin für ein Leben ohne Dogmen“, sagt sie und erwähnt lächelnd einen Teilnehmer ihres Hatha-Yogakurses, einen Manager, der anfangs zitternd vor Anspannung auf der Matte lag und all das für Hokuspokus hielt. Vor allem die Übungen mit Tönen, die Schwingungen im Brustkorb erzeugen, wie Omm-Singen oder das „Bienensummen“ fand er lächerlich. Heute kommt er genau wegen dieser Übungen in den Kurs.

Für ihr „Yoga bei Brustkrebs“-Angebot arbeitet Sabine Wilde mit Selpers zusammen (der Name ist aus den Worten „self“ und „help“ gebildet, also Selbsthilfe), einer Organisation, die Hilfestellungen für ein Leben mit chronischer Erkrankung gibt. Selpers bietet unter anderem kostenlose Onlinevideos zum Umgang mit verschiedensten chronischen Leiden an, unter anderem auch einen Mitmachkurs von Sabine Wilde. Ihr Zugang habe sich mit der Zeit verändert, sagt sie, heute stehe nicht mehr die eigene Betroffenheit im Vordergrund, sondern ihre Kompetenz, die natürlich durch die Krankheitserfahrung geformt und gewachsen sei. In der Regel besuchen zwischen vier und zehn Teilnehmerinnen Sabine Wildes „Yoga bei Brustkrebs“. Manche kommen nur während der Therapiephase, manche kommen unregelmäßig im Abstand von Monaten, manche kommen seit Jahren und etliche wechseln später in die üblichen Yogaklassen. „Man will das auch irgendwann hinter sich lassen“, sagt Sabine Wilde. Das Thema Brustkrebs muss nicht das ganze Leben bestimmen. Yoga allerdings darf weitergehen. „Die Übungen sind oft so unspektakulär und doch so heilsam. Yoga ist ein wunderbar unterstützendes Element.“

Sabine Wilde war vermutlich eine der ersten Yogalehrenden in Österreich, die sich auf Brustkrebs-Patientinnen konzentrierte.

Nähere Informationen:

yoga4health.at/wien-kurse.php

selpers.com

Dieser Artikel ist in der „Welt der Frauen“ Oktober 2021-Ausgabe erschienen. Erhältlich als Einzelheft in unserem Shop, zum Testabo geht es hier.