Wie kann man mit Belastungen und negativen Emotionen umgehen? Die psychologische Beraterin und Glückstrainerin Andrea Röcklinger erklärt, was Menschen zufrieden macht und geht dem Glücksempfinden auf den Grund.
Frau Röcklinger, in Ihrer Praxis im Mostviertel bieten Sie neben psychologischer Beratung auch Glückstraining an. Was ist Glückstraining?
Während meiner Ausbildung zur Beraterin bin ich auf die positive Psychologie gestoßen, die sich mit der Glücksforschung beschäftigt. Ich war fasziniert von diesem Thema und beschloss, mich in meiner Tätigkeit darauf zu fokussieren. Das Glückstraining fließt über verschiedene Übungen in meinen Einzelberatungen ein: Ziel ist es dabei, die Stärken einer Person herauszuholen, sich die vorhandenen Ressourcen anzusehen, und mit dem, was ist, zu arbeiten. Natürlich sieht man sich das Grundproblem an, aber eine Lösung wird gemeinsam über die Stärken, die sozialen Kontakte und die Visionen und Wünsche erarbeitet. Inkludiert werden dabei auch Tätigkeiten, die einen in den Fluss bringen.
Für wen ist Glückstraining geeignet?
Psychologische BeraterInnen arbeiten mit Personen, die persönliche Herausforderungen haben, jedoch in keine diagnostizierte Krankheit fallen. Ich darf psychisch erkrankte Menschen begleiten und unterstützen, mit ihnen Tagesabläufe planen und Übungen durchführen, die darauf abzielen, das eigene Leben wieder positiver zu empfinden. Ich begleite sie in herausfordernden Zeiten, um den Alltag erfreulicher zu gestalten. Ich unterstütze vor allem Frauen, ihr Selbstbewusstsein zu stärken und ihren Alltag mit mehr Leichtigkeit und Gelassenheit zu schaffen.
„Wir leben viel zu häufig in der Vergangenheit oder in der Zukunft: Abends im Bett sehen wir oft nur das, was wir nicht geschafft haben. Zukunftsszenarien, die wir uns vorstellen und die uns sorgen, treffen mit hoher Wahrscheinlichkeit nie so ein.“
Warum wollen Sie mit dem Glück arbeiten?
Aktuell ist Negativität allgegenwärtig – beispielsweise durch Schlagzeilen und ständiges Vergleichen. Menschen sehen nur, was sie noch nicht haben, was noch möglich wäre, und nicht das, was sie bereits haben. In meiner Beratung mache ich meine KlientInnen darauf aufmerksam, dass die kleinen Glücksmomente das Leben langfristig zufrieden machen. Ein wichtiger Faktor dabei ist, Zufriedenheit in den kleinen Dingen zu finden und es keinen Lottogewinn, kein großes Haus oder teures Auto braucht, um glücklich zu sein.
Mir ist es ein Anliegen, auf das Einfache und die Kleinigkeiten hinzuweisen. Wir leben viel zu häufig in der Vergangenheit oder in der Zukunft: Abends im Bett sehen wir oft nur das, was wir nicht geschafft haben. Zukunftsszenarien, die wir uns vorstellen und die uns sorgen, treffen mit hoher Wahrscheinlichkeit nie so ein. Eine Möglichkeit ist es, die eigene Aufmerksamkeit ins Hier und Jetzt zu bringen.
Was passiert in unserem Körper, wenn wir glücklich sind?
Studien haben gezeigt, dass die Botenstoffe Serotonin und Dopamin, die auch als Glückshormone bezeichnet werden, ausgeschüttet werden, wenn wir bestimmte Übungen machen, wie etwa Lächeln. Das Gehirn kann nicht unterscheiden, ob ich eine Tätigkeit tatsächlich vollziehe oder nur so tue. Deshalb sollte ich mich auch morgens vor den Spiegel stellen und mich anlächeln.
Zwischen Dankbarkeitstagebüchern, Sport-Praktiken und Effektivitätstrackern versprechen viele aktuelle Trends den Schlüssel zu einem glücklichen Leben. Warum versuchen wir alles, um glücklich zu sein?
Viele Menschen suchen den Sinn in ihrem Leben – wollen noch mehr, als sie bereits haben. Wichtig ist zuerst die Deckung der Grundbedürfnisse: Für jemanden, der am Existenzminimum lebt, ist es schwierig, glücklich und zufrieden zu sein. Der eigene Glaube ist nicht mehr so richtungsweisend im eigenen Leben wie bei früheren Generationen. Dafür bekommen wir durch die sozialen Medien stärker mit, welche negativen Ereignisse um uns herum passieren. Das Glücklichsein wird daher aktiv angestrebt.
„Es gibt keine negativen Emotionen. Manche Emotionen leben wir gern, manche weniger freudig, aber alle haben ihre Berechtigung und Platz.“
Muss man immer glücklich sein? Wäre es nicht heilsam, auch negativen Emotionen wie Wut und Trauer ihren Raum zu geben?
Wir können nicht immer glücklich sein. Im Leben gibt es immer Hochs und Tiefs. In der positiven Psychologie und in der Glücksforschung geht es darum, alle Gefühle zuzulassen. Ich sage immer: Es gibt keine negativen Emotionen. Manche Emotionen leben wir gern, manche weniger freudig, aber alle haben ihre Berechtigung und Platz. Meine Arbeit darf nicht mit positivem Denken verwechselt werden, welches oft mit einer rosaroten Brille nur auf das Gute schaut. Wenn nicht alle Gefühle zugelassen werden, kann es zu keiner Heilung kommen. Wir können nicht glücklich sein, wenn wir unsere Wut und Trauer nicht herauslassen und aufarbeiten. Ich empfehle dafür das Führen eines Tagebuchs. Es kann dabei helfen, eigene Erfahrungen niederzuschreiben und diese aus seinen Gedanken zu bekommen.
„Andere glücklich zu machen, kann auch das eigene Wohlbefinden steigern.“
Sie haben vorhin die Deckung der Grundbedürfnisse als Voraussetzung für das Glücklichsein angesprochen. Welche Dinge, die wir manchmal als selbstverständlich erachten, erfreuen uns?
Dankbarkeit ist ein großer Faktor. Genau wie das eigene Umfeld: dass ich qualitativ hochwertige Beziehungen führe, die ich zu meinen Ressourcen zählen kann. Viele Frauen kommen zu mir, überwiegend junge, überforderte Mütter, bei denen wir uns dann ansehen, welche Kontakte bestehen und wo dieses Hilfsnetz unterstützen kann.
Es hilft auch, ein Ziel vor Augen zu haben: Es muss nicht unbedingt der Job sein, in dem man sich findet. Ich kann mir ein Hobby suchen oder mich sozial engagieren: Andere glücklich zu machen, kann auch das eigene Wohlbefinden steigern.
Aktuell leben wir in einer Gesellschaft, in der Luxusurlaube oder die schön dekorierte Wohnung, die wir auf Instagram posten, als Freudenbringer zelebriert werden. Machen uns Statussymbole glücklich?
Persönlich glaube ich nicht, dass Statussymbole glücklich machen. Gesundheit ist eines der wichtigsten Dinge: Wer krank ist, ist in allem eingeschränkt. Ein teures Auto kann auch nicht dabei helfen, sich selbst anzunehmen und zu lieben, wie man ist. In den sozialen Medien und in der Öffentlichkeit wird allerdings das Gegenteil suggeriert.
Hat der eigene Glaube oder Spiritualität Auswirkungen auf das eigene Glücksempfinden?
Wer an etwas glaubt oder spirituell veranlagt ist, hat einen gewissen Halt im Leben. Der Glaube bringt Ziele, Visionen und Wünsche. Es gibt Menschen, die sehr gläubig sind und regelmäßig in die Kirche gehen und in dieser Tätigkeit und in dieser Gemeinschaft Sinn finden. Beschäftigung, die einem Menschen Sinn im Leben gibt, macht glücklich und zufrieden.
„Wenn ich zu etwas „Ja“ sage, obwohl ich das eigentlich gar nicht will, stehe ich nicht zu mir und meinen Bedürfnissen. “
Welche „Glücksfresser“ kristallisieren sich bei Ihrer Arbeit mit KundInnen heraus?´
Neid ist ein riesiger Glücksverhinderer. Solange man nur die Dinge sieht, die einem fehlen, und man glaubt, dass es andere besser haben, kann man nicht zufrieden sein. Auch der Perfektionismus hat in unserer Gesellschaft stark an Macht gewonnen. Häufig kommt dieser aus der Kindheit, weil wir Erfahrungen gemacht haben, in denen wir uns nicht angenommen gefühlt haben. Die Unfähigkeit, „Nein“ zu sagen, hindert uns ebenfalls am Glücklichsein. Wenn ich zu etwas „Ja“ sage, obwohl ich das eigentlich gar nicht will, stehe ich nicht zu mir und meinen Bedürfnissen.
„Wir können uns beim Nachhausekommen vorstellen, wie wir unsere Emotionen wie Berufskleidung abstreifen, bevor wir durch die Haustür gehen.“
Egal, ob es der nörgelnde Chef ist, die lärmende Nachbarin oder die in der Waschmaschine eingegangene Bluse: Wie lässt sich Glück trotz alltäglicher Aufregungen bewahren?
Den Vorgesetzten oder die Person, die mich ärgert, kann ich nicht ändern. Aber ich kann mich fragen: Wie gehe ich mit dieser Sache um? Kann ich etwas tun, alte Glaubenssätze bearbeiten oder niederschreiben, die mich beschäftigen? Vor allem vom Job nehmen wir uns vieles mit nach Hause.
Wir können uns beim Nachhausekommen vorstellen, wie wir unsere Emotionen wie Berufskleidung abstreifen, bevor wir durch die Haustür gehen. Oder wir stellen uns unter die Dusche und lassen die Gedanken im Abfluss verschwinden. Wenn das Gedankenkarussell nicht stillstehen will, können wir anstatt eines Dankbarkeitstagebuches alle negativen Erfahrungen niederschreiben. Dadurch nehme ich Negatives bewusst aus meinen Gedanken heraus. Oder wir stellen uns einen „Grübelstuhl“ zurecht: Wenn wir auf diesem Stuhl sitzen, darf alles Belastende kommen. Wenn wir wieder aufstehen, bleiben diese Gedanken dort. Wichtig ist, dass daraus ein Ritual wird. Wer das nur so im Vorbeigehen macht, spürt den positiven Effekt natürlich nicht so stark.
Wie steht es um Sie persönlich? Sind Sie glücklich?
Das werde ich oft gefragt! Im Moment bin ich glücklich. Genau darum geht es: immer den Moment zu sehen. Jetzt freue ich mich, dass ich ein Interview geben darf. Oder ich stehe auf und bin glücklich, weil die Sonne scheint. Diese Kleinigkeiten werden im Alltagsstress oft vergessen, sind aber wichtig, um mit unvorhergesehenen Herausforderungen besser zurecht zu kommen. Wichtig ist, sich zu fragen: Wie komme ich aus Negativität heraus und wie mache ich danach weiter? Was nehme ich an Erfahrung mit und habe ich daraus gelernt?
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