Gabriele Herbst: „Die Sehnsucht weist mir den Weg“

Gabriele Herbst: „Die Sehnsucht weist mir den Weg“
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  • Veröffentlicht: 25.03.2021
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Was bedeutet Sehnsucht für Sie? Worauf richtet sich Ihre Sehnsucht? Welche Sehnsucht hat sich für Sie in Ihrem Leben schon erfüllt? Unsere Leserinnen haben uns ihre Gedanken dazu geschrieben.

Für die frühere Buchhändlerin und Biodanza-Gruppenleiterin Gabriele Herbst (64) aus Wien ist die Sehnsucht eine Wegweiserin.

Das Gefühl der Sehnsucht kenne ich sehr gut, es hat mich lange Zeit meines Lebens begleitet. Da gab es Verschiedenstes, wonach ich mich von ganzem Herzen sehnte: ein Mann, in den ich verliebt war. Paris, die Stadt meiner Träume, wo ich unbedingt leben wollte. Ein besonderes Kleid, das ich in einer Auslage gesehen hatte.

Manchmal sehne ich mich auch nach Zuständen – nach Sicherheit, Geborgenheit, Fürsorglichkeit. Meine Sehnsucht meint also Wichtiges und Weltbewegendes, aber auch ganz einfache und profane Dinge. Ich nehme sie als Wegweiserin wahr, die mir meine Wünsche und Bedürfnisse bewusst macht.

Sie zeigt mir, was mir wichtig ist, was mir fehlt, was ich gern hätte. Das nehme ich zur Kenntnis, das nehme ich ernst. Aber auch wenn manche Sehnsucht nicht erfüllt wird, beziehungsweise im Moment nicht erfüllt werden kann, ist das Leben trotzdem lebenswert.

Zu Beginn der Coronakrise war das Gefühl der Sehnsucht sehr stark in mir spürbar: das Warten auf das Ende des Lockdowns, die Hoffnung auf eine Wiederkehr der „Normalität“, der Wunsch, wieder tanzen, ins Kino oder in ein Museum gehen zu können. Doch das Warten nahm kein Ende – nach dem ersten Lockdown folgte der zweite …

Irgendwann änderte sich etwas in mir: Ich beschloss, mit dem Warten aufzuhören und mein Leben so anzunehmen, wie es sich im Moment für mich zeigte. Das Alleinsein, die Einschränkungen: Das war jetzt mein Leben! Und das Erstaunliche an dieser Entscheidung war das Gefühl: So ist jetzt mein Leben – und es ist gut so, wie es ist!

Ich begann damit, einfach von Tag zu Tag zu leben, von einem Moment auf den anderen. Ich begann dankbar zu sein, für alles, was trotzallem möglich war und ist, für alles, was es an Schönem und Lebenswertem in meinem Leben gab und gibt: meinen Partner, meine Wohnung, meine Freundinnen, die Natur.

Natürlich gibt es hie und da Anflüge von Sehnsucht: die Sehnsucht danach, endlich wieder zum Friseur zu gehen, zum Beispiel. Aber das ist immer nur kurz. Was meine Frisur betrifft – meine Haare sind zu lang, ich fühle mich nicht mehr wohl damit –, habe ich auch einen Weg gefunden: Ich flechte einige Zöpfe oder verwende eine Spange und gehe in den Park, um mich von den Bäumen trösten zu lassen.

Natürlich meldet sich hin und wieder noch die Sehnsucht nach dem „normalen Leben vor Corona“, nach der Unbefangenheit, nach der Freiheit. Wir waren daran gewöhnt, alles tun zu können, wozu wir gerade Lust hatten. Wir glaubten fest daran, dass sich das so gehört, dass uns das zusteht.

Aber in der Coronazeit habe ich gelernt, dass nichts selbstverständlich ist. Deswegen gehe ich jetzt mit meiner Sehnsucht anders um als früher: Ich konzentriere mich wieder auf mein Leben, das jetzt, in diesem Moment, stattfindet und freue mich über das, was möglich ist.

Welt der Frauen April 2021

 

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Foto: Carolina Frank