Welche mentalen Auswirkungen kann ein unerfüllter Kinderwunsch haben? Warum kann assistierte Reproduktion in Österreich nicht von Single-Frauen in Anspruch genommen werden? Was unterschätzen Paare, wenn sie sich für Fortpflanzungsmedizin entscheiden? Gynäkologin Miriam Mottl beantwortet diese Fragen.
Wann sprechen ÄrztInnen von einem unerfüllten Kinderwunsch, und welche Möglichkeiten haben Frauen, die davon betroffen sind?
Bei Frauen mit Kinderwunsch, die über ein Jahr hinweg regelmäßigen und ungeschützten Geschlechtsverkehr haben, spricht man von „unerfüllt“. Regelmäßig bedeutet in diesem Fall mindestens zweimal wöchentlich. Die Möglichkeiten zur unterstützten Reproduktion hängen dann beispielsweise vom Alter ab. Die erste Anlaufstelle für die Abklärung der potentiellen Wege ist der Gynäkologe oder die Gynäkologin.
Inwiefern spielt das Alter bei der Familienplanung eine Rolle?
Wenn man Anfang 20 ist, hat man weniger Zeitdruck, sich mit einem möglichen Kinderwunsch auseinanderzusetzen. Man muss sich allerdings darüber im Klaren sein, dass ab 35 Jahren die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, um fast 50 Prozent sinkt.
„Häufig kann man nicht genau definieren, was das Problem ist, bei vielen Paaren ist eine Mischung aus verschiedenen Faktoren der Grund.“
Welche Untersuchungen werden bei einem Arzt oder einer Ärztin gemacht, wenn ein Kinderwunsch unerfüllt bleibt?
Als Ärztin schaue ich, ob der Hormonstatus passt, wie es um die Schilddrüse und um die Gebärmutter steht und ob der Ultraschall okay ist. Man darf auch nicht vergessen, den Partner anzuschauen, beispielsweise über ein Spermiogramm. Diese Untersuchungen können auch direkt in einer Kinderwunschklinik stattfinden, dort kann man dann gleich die weiteren Möglichkeiten abstecken.
Was sind Ihrer Erfahrung nach die häufigsten Ursachen für einen unerfüllten Kinderwunsch?
Das ist wiederum altersabhängig. Manchmal ist es die abnehmende Fruchtbarkeit, je älter man wird. Bei anderen sind die Eileiter aufgrund verschiedener Gründe wie einer früheren Chlamydieninfektion, Operationen oder Endometriose nicht mehr so gut durchgängig. Beim PCOS-Syndrom, einer hormonellen Störung, kann man als MedizinerIn beispielsweise sehr viel unternehmen, obwohl man bei dieser Erkrankung häufig keinen Eisprung und sehr lange Zyklen hat. Selten ist es allerdings nur eine Ursache, die eine Schwangerschaft verhindert. Häufig kann man nicht genau definieren, was das Problem ist, bei vielen Paaren ist eine Mischung aus verschiedenen Faktoren der Grund. Falls es bereits zwei, drei Fehlgeburten gab, ist es essenziell, abzuklären, wie es dazu gekommen ist, zum Beispiel in einer dafür speziellen Ambulanz.
„Wenn sich eine Frau durch zig negative Schwangerschaftstests und eingetretene Perioden immer wieder von einem potenziellen Kind verabschieden muss, macht das etwas mit der Psyche.“
Welche emotionalen Auswirkungen beobachten Sie als Ärztin, wenn Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch zu Ihnen kommen?
Die Frauen, die bei uns in der Praxis untersucht werden, haben bereits probiert, schwanger zu werden. Die wenigsten kommen vorab zu uns, um sich vorzubereiten. Wenn sich eine Frau durch zig negative Schwangerschaftstests und eingetretene Perioden immer wieder von einem potenziellen Kind verabschieden muss, macht das etwas mit der Psyche. In der Medizin weiß man inzwischen, dass Infertilität zur posttraumatischen Belastungsstörung und auch zu einem Trauma werden kann. Die hohe Anzahl an Mikrotraumen, die mit der regelmäßigen, negativen Schwangerschaftserfahrung einhergehen, kann zu einer großen psychischen Belastung werden. Oft führt das dazu, dass diese Frauen keine Schwangeren oder Kinder mehr sehen wollen. Deswegen finde ich es eine Frechheit, Frauen zu fragen, wann sie denn jetzt endlich Kinder kriegen – man weiß nämlich nie, wie lange ein Kinderwunsch besteht. Die Resilienz ist auch bei jeder Person unterschiedlich: Manche Frauen nehmen etwa einen zweijährigen, unerfüllten Kinderwunsch nicht so schwer wie andere, für die diese Reise in einer Depression enden kann. Das ist einer der Gründe, warum zusätzlich zu einer künstlichen Befruchtung auch eine psychologische Beratung empfohlen wird. Bei uns in der Johannes Kepler Universitätsklinik, wo ich neben meiner wahlärztlichen Tätigkeit als Oberärztin angestellt bin, haben wir mehrere Psychologinnen in der Abteilung, die für die Betreuung von Frauen mit Kinderwunsch zuständig sind. Das ist sehr fortschrittlich und nur in wenigen Krankenhäusern möglich.
Würden Sie also sagen, dass Frauen selbst in die Pflicht genommen werden sollten, sich gut auf eine geplante Schwangerschaft vorzubereiten?
In den letzten 50 Jahren hat sich die Medizin von ärztegeführt zu selbstbestimmt entwickelt. Früher ist man zum Arzt gegangen und was der gesagt hat, wurde gemacht. Durch die Menge an bereits zugänglichen Informationen haben PatientInnen viel Selbstverantwortung. Das Problem dabei ist, dass durch die Medien vieles suggeriert wird, das einfach nicht stimmt. Beispielsweise, dass man als Frau auch mit 40 oder 50 Jahren noch ein Kind kriegen könne. Das führt zu einer falschen Sicherheit bei jungen Frauen, dass sie sich mit dem Kinderwunsch noch Zeit lassen können. Dabei sollte man wissen: Wie läuft das mit der Fruchtbarkeit? Wie hoch ist die eigene Schwangerschaftswahrscheinlichkeit? Als junge Frau muss man sich darüber im Klaren sein, dass zwei gesunde 25-Jährige, die versuchen, ein Kind zu zeugen, pro Zyklus nur eine Chance von 25 Prozent haben. Das ist nicht hoch. Wenn wir in Richtung eines Alters von 40 Jahren gehen, liegt die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, pro Zyklus im einstelligen Bereich. Wichtig ist daher, einen Plan zu haben. In meiner Praxis ist es mir daher ein Anliegen, dieses Thema bei Frauen ab ihrem 30. Lebensjahr aktiv anzusprechen.
Wenn man assistierte Reproduktion in Anspruch nehmen möchte: Gibt es Dinge, die Paare unterschätzen, wenn sie Fortpflanzungsmedizin in Anspruch nehmen?
Oft werden die Auswirkungen auf die Sexualität unterschätzt. Studien haben gezeigt, dass über 60 Prozent der Paare eine Beeinträchtigung des Sexlebens im Rahmen von assistierter Reproduktionsmedizin erfahren. Das fängt bereits bei der Planung des Verkehrs zum optimalen Zeitpunkt an. Dann kommt es zu fehlender Intimität, die Spontanität ist nicht mehr gegeben. Paare sollten darüber offen sprechen.
Häufig gibt es auch keinen Überblick über die Kosten. Eine Insemination kostet pro Versuch zwischen 600 und 800 Euro, aber die Kosten können auch bis in den vierstelligen Bereich gehen. Dies hängt davon ab, ob Fremdsamen angekauft werden müssen oder ob sie vom Partner kommen. Bei einer künstlichen Befruchtung liegen wir oft in einem fünfstelligen Bereich, bei einer Unterstützung durch den IVF-Fonds bei circa 2.000 Euro pro Versuch. Nicht alles wird von der Kasse getragen, obwohl wir mit dem IVF-Fonds in Österreich gesegnet sind und dieser einen Teil der Finanzierung übernimmt.
Zudem gibt es viele Termine: Blutabnahmen an verschiedenen Zyklustagen, Untersuchungen, Ultraschalle, Besprechungen. Dieser organisatorische Aufwand, der dann auch dem Alltag und dem Beruf gegenüber priorisiert werden muss, ist nicht immer im Vorhinein klar. Kinderwunschzentren haben halt nicht abends geöffnet, wenn man mit der Arbeit fertig ist, sondern nur bis in den Nachmittag hinein.
„Hierzulande sind wir in der sehr privilegierten Situation, dass Frauen in einer Partnerschaft vier Versuche bezahlt werden, wenn bestimmte Kriterien eine Schwangerschaft verhindern.“
Mit welcher Erfolgsrate dürfen Paare bei einer assistierten Reproduktion rechnen?
Durchschnittlich kann man mit einer Erfolgsrate von durchschnittlich 45 bis 35 Prozent rechnen. Das ist gut, wenn man sich überlegt, dass nur ein Drittel aller befruchteten Eizellen in einer Schwangerschaft enden.
Bislang haben wir über die Möglichkeiten von Frauen gesprochen, die sich in einer Partnerschaft befinden. Für Single-Frauen in Österreich ist das Angebot allerdings eingeschränkt.
In Deutschland ist es bereits möglich, Reproduktionsmedizin als Single-Frau in Anspruch zu nehmen. In Österreich nicht. Ich glaube, dass das mit dem System zu tun hat: Hierzulande sind wir in der sehr privilegierten Situation, dass Frauen in einer Partnerschaft vier Versuche bezahlt werden, wenn bestimmte Kriterien eine Schwangerschaft verhindern. In anderen Ländern geben Menschen also zwischen 30.000 und 50.000 Euro für ein Kind aus. Social Freezing, also die Konservierung von Eizellen zur späteren Verwendung, ist in Österreich nur bei bestimmten Diagnosen möglich, wie bei einer vorzeitigen Menopause oder bei Krankheiten, die die Fruchtbarkeit einschränken. Persönlich fände ich es natürlich gut, wenn jeder über seine eigene Fruchtbarkeit bestimmen könnte. Aber es gibt die Möglichkeit, in das umliegende Ausland zu gehen, um sich als Single-Frau Unterstützung zu holen. Man muss aber auch dazu sagen, dass die Abholung der eingefrorenen Eizellen im einstelligen Bereich liegt. Die meisten lassen mit Ende 20 oder Anfang 30 die Eizellen einfrieren und werden dann doch auf natürlichem Weg schwanger, was zu Millionen eingefrorener Zellen und hohen Kosten im Gesundheitssystem führt.
„Jede Person hat ein Recht auf Selbstbestimmtheit, und ich finde, dass jede Person selbst entscheiden sollte, ob sie ein Kind haben möchte oder nicht.“
Viele Frauen können sich, wenn sie Anfang 20 sind, einfach noch keine Schwangerschaft vorstellen.
Ich befinde mich auch in der Generation, die erlebt, was es bedeutet, wenn man spät Kinder kriegt oder wie zäh die Kinderbetreuung sein kann. Bevor wir über Social Freezing sprechen, müssten zuerst die Möglichkeiten gegeben sein, sich als Mutter auch beruflich entfalten zu können. Wir brauchen strukturelle Veränderungen wie Wickelbereiche und Tagesbetreuungen. Diese Unterstützung ist leider nicht immer gegeben.
Wie sehen Sie das als Ärztin: Hat jeder Mensch ein Recht auf ein Kind?
Jede Person hat ein Recht auf Selbstbestimmtheit, und ich finde, dass jede Person selbst entscheiden sollte, ob sie ein Kind haben möchte oder nicht. Aber es gibt medizinische und biologische Grenzen, deshalb braucht es eine gute Aufklärung seitens der MedizinerInnen, und zwar interdisziplinär. Nicht nur aus gynäkologischer, sondern auch aus psychologischer Sicht. Als Mutter oder Vater muss man dafür sorgen, dass das Kind sein Potential vollständig entfalten kann. Zuerst muss man sich daher fragen: Existieren die Voraussetzungen dafür in der eigenen Umgebung?
Wie, denken Sie, wird sich das Fortpflanzungsmedizingesetz in den kommenden Jahren verändern?
Allein in den fünf bis sechs Jahren, seit denen ich in der Reproduktionsmedizin tätig bin, ist die Medizin deutlich liberaler geworden. In Österreich wurde in den letzten Jahren die Eizellenspende erlaubt, in Deutschland im Jahr 2022 auch die Single-Mütter-Schwangerschaften ermöglicht worden. Vor 20 Jahren wäre Social Freezing beispielsweise noch nicht möglich gewesen, weil wir medizinisch noch nicht auf dem nötigen Stand waren. Die Gesetzeslage muss noch aufholen – nicht nur in der Reproduktionsmedizin. Erst seit ein paar Jahren wissen wir, dass wir Frauen andere medizinische Parameter brauchen, Erkrankungen wie Herzinfarkte anders als Männer erleben und andere Dosierungen von Medikamenten benötigen. Wir dürfen nicht runterspielen, welche Errungenschaften die Medizin bereits erreicht hat, obwohl man sich nach wie vor als Frau benachteiligt fühlen kann. Dahingehend wird sich noch mehr verändern.
Sie sind selbst Mutter. Welche Wege wären Sie gegangen, wenn eine Schwangerschaft auf natürlichem Wege für Sie nicht möglich gewesen wäre?
Ich hätte mich von meinen KollegInnen beraten lassen. Natürlich muss man dabei die möglichen Wege auch in der Partnerschaft besprechen. Während meiner Arbeit in einer Kinderwunschklinik habe ich meine Fruchtbarkeit durchchecken lassen. Ich wollte nicht dort sitzen und Frauen beraten, während ich nicht einmal selbst weiß, wie es um meine Fruchtbarkeit steht. Diese Untersuchung kann übrigens jede Frau auf Eigenkosten in Anspruch nehmen – der Preis liegt bei 100 bis 150 Euro – und sie funktioniert, wenn gerade keine hormonellen Kontrazeptiva wie die Pille eingenommen werden. Hätte ich nicht auf natürlichem Weg schwanger werden können, wäre es kein Hindernis für mich gewesen, in eine Kinderwunschklinik zu gehen.