Feministin und Mutter

Feministin und Mutter
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  • Veröffentlicht: 13.03.2023
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Zwei Feministinnen im Gespräch über Fallstricke, die Schule als „Karrierekiller“ und eine gerechte Verteilung der Care-Arbeit.

Frau Kleen, Sie bezeichnen sich als „Teilzeit-Feministin“. Was verstehen Sie darunter?

Heike Kleen: Im Herzen bin ich Vollzeit-Feministin. Ich habe diesen Begriff gewählt, um klarzumachen wie schwer es ist, Feministin zu sein, vor allem wenn man Mutter wird. Ich dachte immer: Ich bekomme Kinder und nach einer gewissen Zeit arbeite ich wieder – wo ist das Problem? Dann sind die Kinder da und man stellt fest, wie schwer es ist, alles zu vereinbaren.

Frau Klüver, wie wurden Sie zur Feministin?

Nathalie Klüver: Mich hat das Muttersein zur Feministin gemacht. Bevor ich Mutter wurde, dachte ich: Das braucht man alles nicht mehr, wir haben doch alles erreicht. Und dann kamen die Kinder und ich stieß an Grenzen.

Kleen: Ich glaube auch, dass bei vielen Frauen erst mit den Kindern oder in der Lebensmitte das Bewusstsein kommt: Ganz so gleichberechtigt ist es nicht. Völlig unterschätzt habe ich auch die Emotionen und die Verletzlichkeit, wenn man so einen kleinen Wurm auf dem Bauch liegen hat. Am Anfang drehte sich alles um mein Kind.

„Das Schulsystem in Deutschland und auch in Österreich sorgt dafür, dass gut ausgebildete Mütter nachmittags bei ihren Kindern zuhause bleiben, weil es keine vernünftige Betreuung gibt.“
Heike Kleen

Viele Frauen denken: Mir passiert das nicht. Sie nehmen sich eine 50:50-Arbeitsteilung vor, in der Realität sind es eher 70:30. Mit Teilzeit-Job und dem Großteil der Care-Arbeit steuern Frauen nicht nur auf ein Burn-out, sondern auch auf die Altersarmut zu. Das alles ist längst bekannt: Warum tappen Frauen dennoch immer wieder in die Falle?

Kleen: Viele sind in den 70er- und 80er-Jahren in Familien aufgewachsen, in denen Frauen alle Hausarbeit gemacht haben. Bei uns hieß es: Mama muss ja nicht arbeiten gehen – als wäre das ein Privileg, dass meine Mutter sich den ganzen Tag um uns Kinder und den Haushalt kümmert, während der Vater arbeiten geht. Wenn ich zurückdenke, hatte die erste Zeit mit dem Baby viele schöne Seiten, andererseits hatte ich studiert, einen erfüllenden Job und wollte wieder arbeiten. Ich dachte: Ich bin ja so toll, ich schaffe beides. Zum einen glaubt man das wirklich, zum anderen hat man in Deutschland das extreme Mutterbild internalisiert, das noch aus dem Nationalsozialismus kommt: Die Mutter muss für das Kind da sein. Ohne Mutter geht gar nichts. Und wenn du das Kind in die Nachmittagsbetreuung abschiebst, bist du eine schlechte Mutter.

Klüver: Ich bin voll in die Falle getappt. Ich schrieb lange den Blog „ganznormalemama.com“, war in dieser Eltern-Bubble und dachte: Ich muss all diese Bilder erfüllen, ich mache alles gleichzeitig, ich muss nichts zurückschrauben. Aber das ist Wahnsinn. Die Emanzipation hat uns gebracht, dass wir auch noch arbeiten dürfen.

Kleen: Die unbezahlte Arbeit machen wir auch noch mit. Alice Schwarzer wusste das schon 1975: Wenn wir das mit der Hausarbeit nicht in den Griff kriegen, funktioniert Gleichberechtigung nicht. Jetzt sind fast 50 Jahre vergangen und es funktioniert immer noch nicht. Ich habe auf Wochenend-Seminaren oft folgendes erlebt: Die Frauen packen morgens um 6 Uhr die Tasche für die Kinder, weil es die armen Väter nicht können oder man es ihnen nicht zutraut. Und dann fahren die Väter zu ihrer Mama, die sich um die Kinder kümmert. So kann es auch nicht gehen!

Klüver: Ich finde es toll, wie es in Finnland läuft – mein Vater lebt dort. Finnland ist das erste Land der Welt, in dem Männer mehr Anteil an der Care-Arbeit nehmen als Frauen. In Finnland teilen sich Väter und Mütter die Elternzeit zur Hälfte, sonst erhalten sie nicht die vollen Bezüge.

Es bräuchte also staatliche Maßnahmen wie verpflichtende Vätermonate. Bei Nichteinhaltung gibt es weniger Kinderbetreuungsgeld.

Klüver: Genau! Das freiwillige Elterngeld funktioniert nicht.

Kleen: Schön wäre, wenn beide Elternteile 25 bis 30 Stunden arbeiten gehen, wenn der Staat es unterstützen würde, dass beide nicht Vollzeit arbeiten. Es geht ja um die Kinder!

Frau Kleen, Sie schreiben, dass die Schule ein „Karrierekiller“ ist. Wie meinen Sie das?

Kleen: Das Schulsystem in Deutschland und auch in Österreich sorgt dafür, dass gut ausgebildete Mütter nachmittags bei ihren Kindern zuhause bleiben, weil es keine vernünftige Betreuung gibt. Auch ist das ganze Schulsystem darauf ausgelegt, dass nur die Kinder gut durch die Schule kommen, deren Eltern sich gut um deren Lernerfolg kümmern. Vieles wird auf die Eltern abgeschoben und damit schaffen es Frauen oft gar nicht mehr, wieder voll in den Beruf einzusteigen.

Klüver: Frauen übernehmen auch all die Alltagsaufgaben und tragen den Mental Load.

Kleen: Genau. Das hat jetzt nichts mit Feminismus zu tun, aber ich finde es wichtig, dass man immer wieder mit dem Partner und den Kindern die Aufgabenverteilung verhandelt, wenn sich die Lebenssituation ändert: Wer macht was?

Vielen Frauen fällt das schwer …

Klüver: Ja, das ist schwierig, auch weil einem immer wieder entgegengehalten wird: Aber ich verdiene ja mehr Geld als du.

Kleen: Der geringe Verdienst wirkt sich auch auf das Selbstbewusstsein der Frauen aus. Und das Geld, das sie verdienen, geht dann zum Großteil wieder für den Kita-Platz drauf.

Klüver: Das deutsche Steuersystem ist auch alles andere als familienfreundlich, das sehe ich jetzt als Alleinerzieherin. Gut fände ich eine Individualbesteuerung wie in Skandinavien – das wäre sehr viel einfacher und übersichtlicher. Oder ein System wie in Frankreich, wo die Steuerlast auf die Anzahl der Familienmitglieder aufgeteilt wird: Ab dem dritten Kind zahlt man quasi keine Einkommenssteuer mehr, außerdem gibt es dort ausreichend Ganztagsbetreuung. Und wenn jede Familie, ähnlich wie in Frankreich oder Skandinavien, Ganztagsbetreuung in Anspruch nimmt, entsteht gar nicht erst dieser psychische Druck: Wer holt sein Kind als erstes ab?

Kleen: Dieser Druck unter den Müttern ist ein wichtiger Punkt, finde ich. Der Druck, weil die anderen Mütter einen schief anschauen, wenn man das Kind jeden Nachmittag in die Betreuung gibt, und auch der Duck auf das Kind. Es bekommt ja mit, dass es selbst bis 15 Uhr in der Betreuung ist und die anderen schon früher abgeholt werden. Allerdings: Man hat ja auch Vorbildfunktion. Trotzdem nerven mich diese Rechtfertigungen anderen gegenüber sehr.

Klüver: Ich habe lange versucht, mich von diesem schlechten Gewissen zu befreien. Bei meiner kleinen Tochter ist es aber mittlerweile so, dass ihre Freundinnen auch bis 16 Uhr im Kindergarten bleiben. Sie beklagt sich, wenn ich sie schon um 15 Uhr abhole. Bei meinem ersten Kind war das anders, da hatte ich ein schlechtes Gewissen.

„Wie soll ich meinem Kind klarmachen, dass es toll ist, eine erwachsene Frau und Mutter zu sein, wenn ich aus dem letzten Loch pfeife?“
Heike Kleen

Das ständige schlechte Gewissen plagt viele Frauen. Wie kann man es loswerden?

Klüver: Indem man den Fokus ändert. In Skandinavien sagt man: „Kinder haben ein Anrecht auf einen Betreuungsplatz.“ Nicht die Eltern müssen ihr Kind abgeben, sondern das Kind hat Anspruch auf außerhäusliche Betreuung, und die SkandinavierInnen betrachten dies als Bereicherung für das Kind. Das spiegelt sich auch in der Gesellschaft wider, in der Haltung: Kinder brauchen viele Kontakte, diese sind wichtig für die soziale Entwicklung, und deshalb ist es gut für die Kinder, wenn sie Betreuungseinrichtungen besuchen. Während hierzulande die Mutter alles macht. Die Betreuung hat in Skandinavien einen hohen Stellenwert, daher gibt der Staat auch viel mehr Geld dafür aus. Daher ist sie auch qualitativ besser als bei uns, und man muss als Eltern kein schlechtes Gewissen haben, weil man weiß, dass die Kinder gut aufgehoben sind.

Kleen: Man möchte für das eigene Kind ja auch ein Vorbild sein. Aber wie soll ich meinem Kind klarmachen, dass es toll ist, eine erwachsene Frau und Mutter zu sein, wenn ich aus dem letzten Loch pfeife, wenn ich meine, für alles zuständig zu sein und letztlich noch arbeiten muss: Welches Frauenbild vermittle ich meiner Tochter? Das sollte man sich auch immer klar machen: Wenn ich zeige, dass ich wertvoll bin, mich um meine Bedürfnisse kümmere, dann kann ich auch den Kindern vermitteln, auf ihre Bedürfnisse zu achten. Voraussetzung ist aber, dass sich alle für Familien zuständig fühlen, auch der Staat. Hierzulande sind Kinder leider Privatsache. Das haben wir während der Lockdowns erlebt. Da hieß es: „Liebe Eltern, dann kümmert euch mal schön!“ Und es waren wieder die Mütter, die noch mal schnell das Homeschooling mitmachten, während sie zugleich am Schreibtisch saßen und arbeiteten. Familien werden hierzulande oft allein gelassen. Da ist es kein Wunder, dass wir in Richtung Fachkräftemangel unterwegs sind, und wer einmal unsere Renten bezahlt, ist ein Rätsel. Ich möchte auch noch etwas zum Thema Stolz sagen: Kinder werden es irgendwann gut finden, wenn sie merken, ihre Eltern haben ein eigenes Leben. Wenn man sich als Mutter komplett zurücknimmt und sich nur auf die Kinder konzentriert, läuft man Gefahr, dass man den Schritt zurück ins Leben nicht mehr hinbekommt. Das stelle ich bei vielen Frauen in den Wechseljahren fest. In dieser Zeit hinterfragt man vieles noch einmal: Welches Leben habe ich gelebt? Was waren meine Träume? Man sollte auch auf sich schauen, das ist kein Egoismus.

Klüver: Auch in Anbetracht der Scheidungsraten kann ich nur sagen: Frauen sind nicht gut versorgt, wenn sie sich scheiden lassen. Das sollten Frauen zu Beginn einer Ehe völlig unromantisch betrachten und in Erwägung ziehen, dass sie gegebenenfalls einmal auf eigenen Beinen stehen müssen.

Sie sind Alleinerzieherin und sprechen aus eigener Erfahrung …

Klüver: Jede zweite Ehe wird geschieden, diese Zahlen kann man nicht wegleugnen und sagen: „Das wird schon gut gehen bei uns.“ Ich habe immer auf mein eigenes Einkommen geachtet. Mein Ex-Mann war drei Jahre lang sehr krank, in dieser Zeit habe ich das Familieneinkommen erwirtschaftet. Ich kann nur den Tipp geben, mit dem Partner auszuverhandeln: Wenn ich Teilzeit arbeite, dann zahlst du einen Teil meiner privaten Rentenversicherung.

„Man sollte aufhören, den Mann zum Gehilfen zu degradieren.“
Nathalie Klüver

Was würden Sie jungen Frauen raten?

Kleen: Mehr Elternzeit auch vom Vater fordern, vielleicht auch schriftlich festhalten, wer wann das Kind betreut. Studien zeigen auch: Nur wenn beide Elternteile ähnlich viel Elternzeit genommen haben, ändert sich im Anschluss wirklich etwas an der Verteilung der Care-Arbeit.

Klüver: Wir planen alles Mögliche im Leben, und das sollte auch hinsichtlich der Kinderbetreuung gelten, und zwar nicht erst im Babytaumel, sondern vor der Geburt des Kindes. Das Argument „Ich verdiene mehr als du“ sollte nicht gelten! Wenn man schon Kinder hat, rate ich dazu, Listen zu führen: Wer macht was? Wenn die Aufgaben verteilt sind, soll man sich auch daranhalten und Dinge abgeben: „Das ist nicht mehr mein Gebiet!“ Aussagen, wie „Mein Mann hilft im Haushalt mit“ bringen mich auf die Palme, denn es ist ja auch sein Haushalt. Man sollte aufhören, den Mann zum Gehilfen zu degradieren: Er hat seine Sachen zu tun und ich meine.

Kleen: Ich rate Müttern, so früh wie möglich ein Wochenende oder eine Woche alleine wegzufahren, sich dem ganzen Krempel zu entziehen, nicht vorkochen, keine Aufgabenlisten erstellen: Das funktioniert auch! Sonst heißt es immer: „Mama, Mama!“ Nach dieser Woche heißt es: „Papa!“ Das klappt! Es ist reine Gewohnheit und nicht Folge der biologischen Evolution, dass Kinder sich auf die Mütter stürzen – eben, weil sie am Anfang immer verfügbar sind. Das lässt sich ändern!

Klüver: Mir ist das unglaublich schwergefallen, loszulassen. Ich dachte, ich müsse für alles zuständig sein. Aber man muss sich Freiräume schaffen – das klappt!

„Ich denke, Mütter sollten lauter werden und ehrlicher sein. Ehrlich über das Muttersein reden.“
Nathlie Klüver

Wie hat sich Ihr Feminismus durch das Mutterwerden verändert?

Kleen: Ich habe festgestellt, dass noch viel Luft nach oben ist, was Frauenrechte angeht. Ich denke auch viel über die Erziehung von Töchtern und Söhnen nach, denn es geht ja um die nächste Generation, und unsere Kinder sollen nicht in dieselben Fallen tappen. Wenn ich meine, für alles zuständig zu sein, macht das vielleicht meine Tochter ebenso. Wir Frauen sollten uns auch nicht so sehr vom traditionellen Mutterbild vereinnahmen lassen.

Klüver: Mich hat das Muttersein eher radikalisiert. Richtig wütend macht mich die Instagram-Mamablog-Bubble, in der sich gut ausgebildete Frauen darauf reduzieren: Wie dekoriere ich mein Haus schön? Wie mache ich die perfekte Brotdose? In den sozialen Medien ist diese Selbstdarstellung besonders schlimm. Ich denke, Mütter sollten lauter werden und ehrlicher sein. Ehrlich über das Muttersein reden. Ich glaube, wenn wir ein klares, ungeschöntes Bild davon haben, wie es anderen geht, würde uns das schon helfen.

Zu den Personen:

Foto: Eva Häberle

Heike Kleen:
ist freie Journalistin und Autorin („Geständnisse einer Teilzeit-Feministin“, Rowohlt Verlag), verheiratet, zwei Kinder.

Foto: privat

Nathalie Klüver:
ist Autorin („Deutschland, ein kinderfeindliches Land?“, Kösel Verlag), Journalistin, Mutter von drei Kindern.